Wie Musje Morgenroth sich einrichtet.
Der Hahn hatte noch kaum gekräht, da stand Jungfer Abendbrod schon bei ihrem Liebsten und weckte ihn. Guten Morgen, Schatz! sagte der und richtete sich auf. Au weh! ich bin einmal brav zerschlagen. Ach, und mich schläfert noch gewaltig! – Hilft nix, sagte die Jungfer, Ihr müßt absolut aus dem Hause hinaus. Der Wächter hat eben aufgeschlossen, und wenn erst die Bäckerläden sich aufthun, kommt Ihr nimmer unbemerkt fort. – Jesus! schrie da mit einem Mal Musje Morgenroth, und meine Guitarre hab' ich ganz vergessen. Die ist am Ende gestohlen! Ich überleb's nicht! – Und so stürzte er aus der Küche, lief die Treppen hinab und war zur Hausthür hinaus.
Es war lieblich frisch draußen und still; kein Mensch ging auf der Gasse; nur die alten Mütterlein, die nicht schlafen konnten, saßen in den Nachthauben am Fenster und begossen die Blumen, oder gaben dem Vögelchen sein[83] Futter, damit das verschlafne Enkelkind, wenn's endlich aufwachte, seine Blumen frisch und den Liebling im Bauer lustig fände. Musje Morgenroth lief, ohne darauf zu achten, an den Graben und ging dann suchend dem Wässerchen nach. Da war denn der Waschkahn bis zu einem Kameraden hinabgeschwommen, der sich recht breit machte und ihn anhielt, und so mögen sie die Nacht sich eins erzählt haben. Die Guitarre lag unversehrt auf der Ruderbank, die Trockenstange unten im Kahn, und Musje Morgenroth schlug vor lauter Fröhlichkeit ein Rad bis in den Kahn hinein. Darauf nahm er die Stange zur Hand und fuhr wieder den Graben hinauf, ganz stille, daß Keiner das Plätschern hören sollte, band das Fahrzeug am Pfahl wieder fest und sprang mit der Guitarre hinaus.
Wie er dann durch die alte Stadt ging, war ihm zu Muth, als wäre er nie so fröhlich gewesen. Nein, sagte er, ich will heut den Fritz nicht ärgern, will ihm lieber ein Lied singen. Da stellte er sich vor Fritzens Kammerfenster und sang:
Wenn die Hahnen frühe krähen,
Macht sich auf Herr Morgenwind,
Feget aus mit starkem Wehen
Stadt und Flur und Wald geschwind.
Allen Bäumen in der Runde
Schüttelt er das Haar zurecht,
Weckt die Blümelein im Grunde,
Daß sich keins verschlafen möcht'.[84]
Nebel, die an Bergen hangen,
Jagt er ohne Gnade fort.
Kommt Frau Sonne dann gegangen,
Find't sie's sauber allerort.
Will sie ihrem treuen Winde
Geben schönen Dank zum Lohn,
Ist er, daß ihn keiner finde,
Ueber alle Berge schon.
Und daran nahm sich Musje Morgenroth ein Exempel und lief, als er den letzten Ton gesungen hatte, eilig fort in die Nebengasse. Da aber stand er still und sah um die Ecke, wie der Fritz ganz munter den Kopf hinaussteckte und sagte: Ei wer hat mir die schöne Morgenmusik gebracht? – Der Musikant aber lachte vergnügt in sich hinein und ging seiner Wege weiter.
So kam er an ein stattliches Haus, da wohnte eine von seinen Herrschaften drin. Geheimeraths Liese – so hieß die Köchin – stand vor der Thür und sagte: Schönen guten Morgen, lieber Musje Morgenroth! Ihr kommt ja zeitig heut! – Der aber wußte schon, was er darauf zu sagen hatte, stellte sich ganz ernsthaft hin und sprach:
Ich bin in noble Verhältnisse gekommen,
Eine Fee außer Dienst hat mich in Dienst genommen;
Nun muß ich jedoch aus dem Dienste treten
Bei Herr Geheimerath und Frau Geheimeräthen.
Doch Liese bestelle, daß ich bleibe bis in den Tod
Ihr gehorsamer Diener Musje Morgenroth.
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Damit ging er fort und begegnete Geheimeraths Käthe; die fragte ihn ebenso, und der sagte er dasselbe. Dann kam Geheimeraths Dorthe, und dann Geheimeraths Annemarie, und dann Grete, Line und Cläre, und das waren alle Geheimerathsköchinnen, und all denen sagte er dasselbe. Zu allerletzt aber kam er zu Fresco's, und da setzte er sich bei Jungfer Abendbrod in die Küche und trank Kaffee, den sie ihm kochte und aß einen Weck dazu und putzte dann die Stiefel und Schuh von Herr Geheimerath und Frau Geheimeräthin und den zwölf Fräulein und Junkern, wobei er seiner Liebsten ein schönes Lied nach dem andern vorsang.
Mittlerweile war es acht Uhr geworden; da dachte er: Es wird wohl Zeit sein, daß ich in meine neue Wohnung ziehe; sonst denkt Excellenz Claribella, ich sei ein rechter Siebenschläfer. Beurlaubte sich also bei Jungfer Abendbrod und ging zum Thor hinaus. Wie er nun zu dem kleinen Häuschen kam, lag die alte Excellenz schon im Fenster und sagte gar freundlich: Guten Morgen, Musje Morgenroth! Wo hinaus? – Ich wollte schon zu Ew. Excellenz ziehn, sagte der. – Ah so, meinte die Fee, und die Wagen kommen wohl nach? – Welche Wagen, Excellenz? – Ich meine die Möbelwagen, die Eure fahrende Habe hierher bringen. – Ach du lieber Gott! sagte Musje Morgenroth und hätte fast gelacht, wenn's nicht unschicklich gewesen wäre; all meine fahrende Habe bring' ich mit, und drei Hemden und drei Paar Socken, die ich noch von der Mutter her habe, sind bei der Wäscherin, die wird sie[86] morgen hier herausbringen! – Da fiel die Fee fast in Ohnmacht und schlug einmal über das andre die Hände überm Kopf zusammen vor großmächtiger Verwunderung. Endlich sagte sie: Hier nehmt den Schlüssel zur Gartenthür und klopft nur hinten an der Hausthür; sie geht schon von selbst auf. – Das that er denn, trat in den Garten ein und stieg die kleine Treppe hinten am Haus hinauf und trat hinein. Innen sah's gar wohnlich und hübsch aus; die alte Excellenz kam ihm im Flur entgegen und führte ihn in eine geräumige Kammer; drin stand ein Bett und rings lauter Kleiderschränke und Kommoden, aber alle leer. Ei, sagte Musje Morgenroth, da kann ich meine drei Hemden und die drei Paar Socken bequem unterbringen! – Die Fee that, als hörte sie's nicht, denn sie war filzgeizig; sonst hätte sie dem armen Menschen wohl die Kisten und Kasten mit hübschen Sachen füllen können. Laßt's Euch lieb sein, sagte sie, daß Ihr so viel Gelaß habt; man kann nicht wissen, wozu das einmal nutzt. Wenn's einmal Dukaten regnet oder Bratäpfel oder sonst was Guts, so wißt Ihr gleich, worin Ihr sie sammeln könnt, und dann kommen Die schlecht weg, die keinen Platz haben. – Das leuchtete ihm auch ein und er sagte: Ich will nur den einen Schrank ein bischen bei Seite schieben, sonst kann ich gar nicht zu meinem Bett; und daneben muß auch das Puppenbettchen stehn für mein Pfefferrohr. Das hatte er aber im Vorbeigehn von der Wittwe abgeholt, bei der er seine Schlafstelle hatte.
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Da Ihr Euch nun eingerichtet habt, fing die alte Excellenz wieder an, will ich Euch sagen, was Ihr jeden Tag thun müßt. Morgens ganz früh müßt Ihr in den Garten und die Wege sauber machen, und die Eidechslein und Rosenkäfer beiseit kehren; denn die mag ich nicht leiden. Nachher putzt Ihr die Schuh, die vor meinem Schlafzimmer stehn, und wenn Ihr damit fertig seid, klopft Ihr dreimal an die Thür und sprecht dabei folgenden Vers:
Sonn' ist eben aufgegangen,
Spiegelt ihre goldnen Wangen
In den blitzeblanken Schuhen.
Wollten Excellenz geruhen,
Dero Schlaf nehm' jetzt ein End,
Weil der Kaffee sonst verbrennt.
Und dann bringt Ihr mir meine Kaffeemaschine an die Thür, die singt, wenn der Kaffee fertig ist: »Wie schön leucht't uns der Morgenstern.« Wenn ich gefrühstückt habe, mögt Ihr zu Fresco's gehn; aber zu Mittag seid wieder hier, da müßt Ihr mir das Essen kochen: ein Weinsüppchen, ein Rindsrippchen und ein Eierküchlein mit Pflaumen. Nach Tisch les't Ihr mir die Zeitungen vor und gebt meinem Papagei Geographiestunde. Dann ist der Tag Euer. – Ach, sagte Musje Morgenroth, aber meine Geographie geht nicht weiter als bis zum nächsten Kirchspiel. – Schadet nichts, sagte die Fee, es sind nur allgemeine Kenntnisse nöthig, daß der Lori nicht so gar viehdumm bleibt. Nun wißt Ihr, was Ihr zu thun habt.[88] Zu essen bekommt Ihr, was ich übrig lasse; und da habt Ihr noch ein Tuch, das ist ein Hungertuch, und wenn's einmal nicht reichen sollte, Euch satt zu machen, könnt Ihr an dem Hungertuch nagen; dann haltet Ihr's aus. – Danke schön, sagte Musje Morgenroth; wenn ich einmal recht appetitlich bin, geh' ich zu Jungfer Abendbrod, meinem Schatz. – Wie Ihr wollt, sagte die Fee; aber heimlich war sie recht froh, denn sie war eine gute Wirthin und liebte die Dienstboten zumeist, die am wenigsten aßen.
Wie es nun Mittag wurde, ging Musje Morgenroth in die kleine Küche und kochte das Weinsüppchen, das Rindsrippchen und das Eierküchlein mit Pflaumen, und weil er eine Köchin zum Schatz hatte, machte er Alles gar urwürzig und gut, daß die Fee ihn nicht genug loben konnte. Nachher, als er das Geschirr gesäubert hatte, rief sie ihn in ihr Wohnstübchen. Ach, da sah es einmal wundernett aus! An den Wänden erblickte man die ganze Familie der Excellenz Claribella ausgehauen und gestochen, und über dem Sopha hing ihr Taufschein und Einsegnungsschein in goldnen Rahmen, die ganz erstaunlich glitzerten. Der Lori war auch da und schien ein sehr verwöhntes Thier zu sein, denn seine Herrin hielt ihm immer die Stange, auf der er saß. Als nun Musje Morgenroth hereintrat und ihm höflich seine Verbeugung machte, verzog er seinen Schnabel zu einem verbindlichen Lächeln und sagte: Bella, der Mensch gefällt mir. – Er soll dir auch Geographie beibringen, sagte die Fee, hieß Musje[89] Morgenroth sich zu ihr auf einen Stuhl setzen und gab ihm die Staatszeitung und das Intelligenzblatt. Die las er von A bis Z vor, alle Dienstgesuche, Wohnungen, die zu vermiethen sind, vermischte Nachrichten und reelle Heirathsgesuche in einem Strich, und die Fee streichelte unterdeß den Papagei und sagte von Zeit zu Zeit: So! – Wie er nun fertig war, sagte die Fee: Ihr les't ganz erstaunlich gut, Musje Morgenroth. Es wird wohl mit der Geographie eben so gut gehn. Da faßte sich der arme Mensch ein Herz, und weil es nur das Allgemeine sein sollte, fragte er den Lori: Junger Herr, könnt Ihr mir sagen, wie die Erde eingetheilt ist? – Der Lori schwieg auf diese verfängliche Frage mäuschenstill, und Musje Morgenroth beantwortete sich selbst, wie er sich's vorher in der Küche zurecht gelegt hatte: Die Erde ist eingetheilt in Länder, Städte, Flecken und Dörfer. Dann fragte er weiter und schwitzte die hellen Tropfen vor Angst: Und wißt Ihr anzugeben, wie die Flecken eingetheilt werden? – Ja, sagte der Lori, in Tintenflecke, Obstflecke, Fettflecke und Baumflecke. – Hört Ihr? flüsterte die Fee dem Musje Morgenroth zu, er weiß doch gleich Bescheid. – Ach ja, sagte der schwitzende Magister, er hat nur die Marktflecken ausgelassen. – Was ich doch immer schon fragen wollte, sagte der Lori, wo liegt eigentlich das Land, wo der Pfeffer wächst? denn da bin ich geboren. – Ei, erwiederte Musje Morgenroth, und da möchte ich gar zu gern hin. Es muß da so ein hunderttausend Meilen hinterm Berge liegen.[90] Wie er das aber heraus hatte, wurde ihm ganz schlimm; denn er meinte, die Fee wüßt' es besser; sagte also, er bekäme plötzlich heftiges Leibschneiden, er müsse für heut schließen. Damit schien der Lori ganz zufrieden, und die Fee, die ihm immer die Stange hielt, auch, und Musje Morgenroth machte daß er fortkam.
Er lief aber mit der Guitarre geraden Weges zu Jungfer Abendbrod; die fand er in der Küche sitzen und im Kochbuch lesen. Wie sie aber ihres Liebsten ansichtig ward, ließ sie das Lesen, holte ein Viertel von einem Kapaun hervor und ein Glas Wein und ein Stück Kuchen – denn es war dem Herrn Geheimerath sein Geburtstag gewesen – und das setzte sie Musje Morgenroth vor. Dem war das Leibschneiden schon unterwegs vergangen; saß also ganz froh nieder und aß. Dazwischen erzählte er der Jungfer, wie es ihm ergangen. Ach, schloß er, als er eben das letzte Knöchlein benagte, es will mir schon gefallen in den nobeln Verhältnissen, wenn nur die Geographiestunde nicht wär' und in der Kammer nicht so viel Gelaß wär', daß ich mich kaum umdrehn kann. Nu, sagte Jungfer Abendbrod, haltet nur ein Jahr lang aus! Hernach soll's uns schon desto besser gehn. Indem sie das sagte, räumte sie das Geschirr beiseit, und dann setzten sie sich zusammen auf den Küchentisch und sangen die wunderschönsten Lieder, wie: »Puthähnechen, Puthühnechen« etc. und »der Kukuk ist ein alter zisele bumbum basele besele« etc.; aber am schönsten war doch ihr Leibstückchen:
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Pumpelnäs' und Singestert
Saßen auf dem Feuerherd
Ohne Kien und ohne Licht;
Pumpelnäschen, stoß dich nicht!
Und das sangen sie wohl ein Dutzend Mal, und Musje Morgenroth spielte dabei auf der Guitarre und Jungfer Abendbrod ließ ihre Füße im Takt an den Küchentisch baumeln, daß man weit und breit für schweres Geld nichts Schöneres hätte hören können.