Vor langer Zeit hatte sich ein kleines Eichhörnchen auf den kommenden Winter vorbereitet. Er war auf einen großen, stattlichen Baum geklettert, hatte sich den Weg durch das braun werdende Laub gebahnt und sich eine reife Eichel geschnappt. Mit seiner Beute war es wieder zum Boden geflitzt, um sie in einiger Entfernung zu vergraben. Im kurz darauf begonnenen Winter hatte das Eichhörnchen seinen Proviant aber nicht mehr ausgegraben. Im Frühling wuchs dann eine kleine, noch unscheinbare Eiche aus dem Boden, die über die Jahre und Jahrhunderte zu einem neuen, stattlichen Baum mit dickem Stamm heranwuchs.
Mit der Zeit waren viele Geschichten um die Eiche entstanden. Berühmte Menschen sollten hier im Schatten gesessen haben, viele Paare hatten sich an dieser Stelle ihre Liebe gestanden und noch mehr Ereignisse kannte wohl nur noch der Baum selbst.
Irgendwann hatte man einen großen Zoo um ihn herum gebaut und eine gemütliche Sitzbank in seinem Schatten aufgestellt, auf dem so manch Besucher eine Pause eingelegt hatte. Daneben stand nun ein Schild mit der Aufschrift ‚Der flüsternde Baum‘.
»Was macht eigentlich der flüsternde Baum?«, fragte Sofie ihren Papa, mit dem sie im Schatten der Eiche saß.
Papa, der schon die Erklärungen auf dem Schild gelesen hatte, konnte nun alles an seine Tochter weitergeben.
»Jeder Mensch, der ein Problem hat, nimmt hier Platz und lässt sich die Lösung ins Ohr flüstern. Egal, ob es sich die Idee für eine Geschichte handelt oder wie man jemandem seine Liebe gesteht, der Baum weiß eine Lösung.«
Sofie lachte. »Ich glaube dir kein einziges Wort. Ein Baum kann doch gar nicht sprechen.«
Papa zuckte mit den Schultern. »Ich habe mir das nicht ausgedacht. Es steht hier auf dem Schild.« Er stand auf, um die benutzte Brottüte wegzubringen.
Sofie, die neugierig war, überlegte kurz. »Ich muss heute noch eine kleine Geschichte für die Hausaufgaben schreiben. Mir fällt aber nichts ein. Kannst du mir helfen?« Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen, um das Flüstern, an das sie eigentlich nicht glaubte, besser hören zu können.
Ein sanfter Wind zog auf, lies das Laub der Eiche leise rascheln. »Schreib eine Geschichte über eine sprechende Giraffe, die Menschen mit Ideen hilft.«
Sofie riss die Augen auf. Die Eiche hatte tatsächlich zu ihr gesprochen. Das war so unglaublich. Einen Augenblick später stand Papa wieder vor ihr. »Hast du das gesehen? Da hat gerade eine große Giraffe ihren Kopf in den Baum gesteckt. Sie mag bestimmt die frischen Blätter.«
Sofie sah sich um. Eine Giraffe? Da sah sie das Tier. Es zwinkerte, drehte sich um und ging gemütlich zur anderen Seite des Geheges.