In einem kleinen, von neugierigen Augen unentdeckten Teil des Zauberwalds befand sich mitten auf einer ‚Lichtung ein kleiner, unscheinbarer See. Hier drehten sich die Uhren anders, warZeit nicht so wichtig, wie an anderen Orten. Am Ufer sangen die Grillen und Heimchen in einem gemeinsamen Chor ein schwermütiges Lied und luden zum Verweilen ein. Zwischen den Zweigen und Bäumen hatten kleine Spinnchen unermüdlich ihre Netze gesponnen, um dem geneigten Zuhörer einen Platz zum Sitzen bieten zu können. Doch niemand kam. Der See war viel zu abgelegen und kein einziger Weg führte hierher.
Die kleine Lichtung war das Reich eines noch kleineren, plüschigen Monsters. Phil lag unter einem großen Pilz, der ihn vor Regen und auch vor der Sonne schützen sollte. Sein goldbraunes Fell sollte weder unnötig verfilzen, noch die goldbraune Farbe ausgeblichen werden.
Phil hatte seine großen Augen fest geschlossen. Hin und wieder hätte man ihn schnarchen hören können, wenn denn jemand in der Nähe gewesen wäre. So störte er aber nur den lieblichen Gesang der Heimchen und Grillen.
»Pst!«, machte irgendwann eine leise Stimme. »Pst! Phil, es ist Zeit. Du musst aufwachen.« Es brauchte drei Anläufe, bis das kleine Monster die Augen öffnete und sich verträumt umsah. Wo war nur diese Stimme hergekommen? »Ach, mein lieber Phil.«, sagte sie mit einem kleinen Lachen auf den Lippen. »Du weißt doch ganz genau, wo ich bin.«
Phil streckte sich, gähnte einmal laut und überprüfte, ob seine Monsterhörner am richtigen Platz saßen. Er stand auf und warf einen Blick auf die Oberseite des blauen Pilzhutes, unter dem er geschlafen hatte.
»Hallo, Frau Schnecke. Es freut mich sehr, die hier zu sehen. Vielen Dank, dass du mich wach gemacht hast. Ist es Zeit?«
Die kleine Schnecke nickte.
»Tja, dann werde ich wohl beginnen.« Phil ging ans Ufer und patschte dreimal auf die stille Oberfläche, die wie ein Spiegel wirkte. Kleine Wellen breiteten sich im Kreis aus, bis sie einmal über den ganzen See gewandert waren. Dann wurde es wieder still.
Phil stand auf und beobachtete das Wasser. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sich etwas tat. Aus der Tiefe näherte sich ein kleines Licht. Ein Anglerfisch tauchte auf und streckte dem Monster seine Lampe entgegen.
»Ich möchte mich für deine unermüdliche Hilfe bedanken, die du mir jeden Tag anbietest.« Er strich dem Fisch über den schuppigen Kopf. »Ich weiß das sehr zu schätzen.«
Phil wandte sich ab und beobachtete die Umgebung. Schnell wurden ein paar Tiere auf das Licht aufmerksam. Kleine, bunte Schmetterlinge kamen herbei und führten wilde Freudentänze auf. Das kleine Monster beobachtete sie genau und wählte einen von ihnen aus.
»Komm her zu mir, mein kleiner Freund.« Phil streckte den Arm aus. Ein roter Schmetterling landete und wartete auf seine Aufgabe.
»Bring deinen unerschöpflichen Frohsinn in die Welt und mach ein trauriges Monster glücklich.« Er drehte sich zum See. Auf der Oberfläche erschien das traurige Gesicht eines grünen Monsters, das sich gerade ein paar Tränen aus den großen Augen wischte. Der Schmetterling nickte und flog mit einem lustigen Liedchen auf den Lippen davon.
»Das hast du gut gemacht.«, lobte die Frau Schnecke. »Wenn es doch nur mehr Monster deiner Art geben würde, dann wäre der Zauberwald noch schöner, als er es eh schon ist.«
Während der Anglerfisch langsam wieder abtauchte, zogen sich die Schmetterlinge in den Schutz des Waldes zurück.
Schon wollte sich Phil wieder unter den Pilz legen und ein weiteres Nickerchen machen, denn seine Aufgabe kostete ihn viel Kraft. Doch Frau Schnecke hatte etwas anderes im Sinn.
»Heute musst du zwei Aufgaben lösen. Es gibt da noch ein kleines Monsterchen, das so unglücklich ist, wie kein anderes.«
Phil drehte sich zum See. Vor ihm tauchte ein blaues Monster auf. Es weinte nicht nur, es sah verzweifelt aus. »Wo hat es nur seine Monsterhörner gelassen? Die darf kein Monster verlieren. Ohne sie sind wir unvollständig.« Am Liebsten hätte Phil sofort angefangen zu weinen, so sehr tat ihm leid, was er sah. »Das braucht den mächtigsten Zauber, den ich beherrsche.«
Er griff zu einer Pusteblume, die vor seinen Füßen wuchs, schloss die Augen und murmelte ein paar unverständliche Worte. Dann blies er die Samen fort und blickte ihnen nach, wie sie langsam über den See schwebten. »Gib dein Bestes, großer Zauber.«
Die Samen begannen zu leuchten, senkten sich langsam auf das Abbild des traurigen Monsters ab und versanken im Wasser. Dort erlosch ihr Licht.
Kaum war es wieder dunkel geworden, wurde das blaue Monster glücklicher. Es strich sich über den Kopf. Es griff in seine Tasche und holte zwei Milchhörnchen hervor, die es sich auf den Kopf setzte. Das Monster grinste. Es hatte endlich wieder zwei Hörner auf dem Kopf.
Phil lächelte zufrieden und gähnte. »Aber jetzt brauche ich Schlaf, damit ich Morgen wieder jemandem die Traurigkeit vertreiben kann.« Er legte sich unter den Pilz und schlief sofort ein.
»Ich wünsche dir süße Träume, mein kleines Glücksmonster.«, sagte die Frau Schnecke. Sie zog sich in ihr Haus zurück und suchte nach dem nächsten Monster, das Hilfe brauchte.