In einer kleinen Höhle, die sich unter einer dicken Wurzel eines mächtigen Baums befand, war ein leises Gähnen zu hören. Unter einer warmen Bettdecke regte sich etwas.
»Ist es denn schon wieder so weit? Das kann gar nicht sein. Ich bin doch gerade erst ins Bett gekrochen.«
Die Decke wurde von einer blau behaarten Hand ein Stück angehoben. Ein Auge lugte darunter hervor und warf einen Blick auf die Uhr. »Du meine Güte. Es ist ja schon viel später, als ich gedachte habe. Ich habe verschlafen.«
Die Bettdecke wurde zur Seite geworfen, rutschte von Bett und fiel auf den Boden. Ein kleines, blaues Monster mit großen Augen sprang auf, stolperte über seine zu großen Füße und rutschte mit dem Bettvorleger bis ins Badezimmer. Mit vor Schmerz verzerrtem Blick stand es auf, rieb sich die Knie und stand auf. Es sah in den Spiegel. »Du meine Güte, schaust du schlecht aus. Du hättest gestern viel früher ins Bett gehen sollen.«
Das Monster lächelte schief und dachte an die vergangene Nacht zurück, in der es noch lange am Schreibtisch gesessen und Bilder gemalt hatte. »Es macht halt einfach so viel Spaß, dass ich jedes Mal die Zeit vergesse.«
Es lief in die Küche, schnappte sich ein zwei Milchhörnchen und steckte sich diese in eine Umhängetasche. Dann verließ es eilig das Haus und machte sich auf den Weg zur Arbeit.
Das kleine blaue Monster musste quer durch den großen Zauberwald laufen. Es lebte auf der einen Seite und kümmerte sich auf der anderen um das Herbstlaub, das bunt angemalt werden musste. Das war eine wirklich schöne und kreative Arbeit, die mit unterschiedlichsten Farben zu tun hatte.
Der Zauberwald Express kam am Monster vorbei. Eine riesig große Nacktschnecke, auf deren Rücken eine Kabine mit Sitzen befestigt war, raste um die Kurve. Sie hinterließ eine Schleimspur, in der ein normales Monster hätte ertrinken können.
»Wartet auf mich! Ich komme!« Das kleine Monster nahm die Beine in die Hand und rannte los. Mit letzter Kraft sprang es in die Kabine und setzte sich auf einen leeren Platz. »Puh! Fast wäre ich zu spät zur Arbeit gekommen. Ich muss mir wohl einen Wecker anschaffen. Ich kann es mir nicht erlauben, zu spät zu kommen, sonst bekomme ich vom Herrn des Zauberwalds Ärger und verliere meine wichtige Aufgabe.«
Das kleine Monster sah aus dem Fenster und erfreute sich an den Bäumen, Blumen und Sträuchern, die am Wegesrand wuchsen. Doch irgendwann bekam es ein ungutes Gefühl. Es wusste zuerst nicht was es war. Erst nach ein paar Sekunden fiel ihm auf, dass es sich beobachtet fühlte. Es drehte sich um. Alle anderen Fahrgäste, Hexen, Monster, kleine Feen, Geister und Gnome starrten es mit offenen Mündern an.
»Was ist los mit euch?«, fragte das kleine Monster unsicher. »Sitzt eine Spinne auf meinem Kopf? Habe ich Kaffeeflecken in meinem Fell?« Es lachte. So ein Blödsinn. Für Kaffee war an diesem Morgen gar keine Zeit mehr gewesen. »Ich bin doch nur ein ganz normales Monster.«
Weil es keine Antwort bekam, verließ das kleine Monster seinen Platz und ging durch die Sitzreihen. Die anderen Fahrgäste wichen verängstigt zurück.
»Was soll denn das? Ich fahre jeden Tag mit dem Zauberwald Express. Ein paar von euch sollten mich deswegen kennen. Ich habe doch niemals jemandem etwas getan.«
Das kleine Monster war völlig irritiert. Es spürte eine Mischung aus Angst, Frust und Ärger, die es nicht so einfach ignorieren konnte. »Jetzt sagt mir endlich, was hier los ist.«
Ein Gnom hob zitternd die Hand und zeigte auf den Kopf des Monsters. »Du siehst so anders aus. Es gibt keine Monster ohne Hörner. Was bist du?«
Wie? Keine Hörner? Das konnte gar nicht sein. Das kleine Monster fuhr sich mit den Händen über den Kopf. Tatsächlich war das nichts außer dem weichen, blauen Fell.
»Upsi. Ich habe sie in der Eile heute Morgen auf dem Nachttisch vergessen.« Es griff in seine Tasche, holte die Milchhörnchen aus der Tasche und biss an beiden je ein Ende ab. Dann setzte es die Hörnchen auf den Kopf. »Besser so?«
Erleichtertes Aufatmen ging durch die Fahrgastkabine. Jetzt sah es wieder wie ein richtiges Monster aus.