"Verflixt und zugenäht, wo sind denn nun schon wieder die Autoschlüssel hin!", hört Aimee Papa fluchen. Gleich darauf wird die Kinderzimmertür ruckartig aufgestoßen. "Hast du wieder die Autoschlüssel versteckt?", verdächtigt er Aimee. Seine Stimme klingt gereizt und vorwurfsvoll. Doch Aimee beteuert, dass sie es nicht war. "Es ist doch immer das selbe", denkt sie, "immer bin ich Schuld, wenn sie ihre Sachen nicht finden. Dabei habe ich noch nie etwas versteckt, ... höchstens mal verlegt."
"Nimm meine solange!", sagt Mama besänftigend. "Sonst kommst du noch zu spät zur Arbeit."
Als Papa weg ist, geht Mama zu Aimee ins Zimmer und schaut sie fragend an, fast so, als erwarte sie, dass Aimee sich schuldig bekennt. "Was soll das? Ich hab sie wirklich nicht", sagt Aimee ärgerlich und denkt: "Es ist nicht zu fassen. Warum glauben sie mir nicht?" Dann setzt Mama noch einen drauf: "Wo wir gerade bei verschwundenen Sachen sind. Ich vermisse seit ein paar Tagen meine Armbanduhr und die Schokoladenkekse, die ich neulich gekauft habe, sind auch nicht mehr da." Jetzt wird es Aimee zu bunt. "Warum zum Kuckuck, bin ich in diesem Hause immer an allem Schuld? Beschuldige ich euch vielleicht meinen neuen Glitzerstift, meine Lieblingshaarspange und meinen Kuschelhasen versteckt zu haben. Die sind nämlich auch spurlos verschwunden", schimpft sie, nur mühsam die Tränen unterdrückend. "Tut mir Leid Aimee, dass ich dich verdächtigt habe. Lass uns gemeinsam nach den verschwundenen Sachen suchen", schlägt Mama vor. "Dabei können wir ja gleich ein wenig aufräumen." Aimee ist sofort einverstanden. Während Mama im Wohnzimmer Ordnung macht, nimmt Aimee sich das Kinderzimmer vor. Sie sammelt das herumliegende Spielzeug auf, stellt alles an seinen Platz, schaut in jede Kiste, jede Schublade, durchsucht jede Ecke, jeden Winkel ihres Zimmers, doch keine Spur von den verschwundenen Sachen.
Schließlich rückt sie noch die schwere Kleiderkommode von der Wand ab, um nachzusehen, ob etwas dahinter gerutscht ist. Doch was ist das? An der Rückseite des Schrankes entdeckt Aimee ein walnussgroßes Loch. Der Boden davor ist voller Kekskrümel. Wie kommen die denn dahin? Das Loch ist zu klein, als dass Aimee mit der Hand hindurch kommt. Also öffnet sie den Schrank und räumt ihre Kleidung Lage für Lage aus. Auf einmal fühlt sie etwas Hartes – der Autoschlüssel. Nach und nach kommen auch andere vermisste Dinge zum Vorschein. Fassungslos schüttelt Aimee ihren Kuschelhasen aus. "Du bist ja voller Kekskrümel, wie ..." Plötzlich hält sie inne, weil ihr vor Staunen der Mund offen stehen bleibt. Ein winziges Männchen, nicht größer als ihr kleiner Finger purzelt auf den Boden. "Au, pass doch auf. Das hat wehgetan." Aimee setzt sich den kleinen Wicht auf ihre Handfläche. "Hast du gerade gesprochen?", fragt sie verwundert. "Ja sicher, oder siehst du hier sonst noch jemanden?" Ganz schön frech für seine Größe, denkt Aimee, stellt sich aber trotzdem höflich vor. "Ich heiße Aimee und wer bist du?" "Ich bin Kuddel Muddel, der Krimskramkobold." "Das passt zu dir," prustet Aimee laut los. Da ruft Mama aus dem Wohnzimmer: "Warum freust du dich so? Hast du etwas von unseren Sachen wieder gefunden?" "Schnell, versteck mich und verrat mich ja nicht", befiehlt der kleine Kobold. Noch bevor Mama die Tür öffnen kann, hat Aimee den frechen Kobold in einen Pulloverärmel gestopft. Auch den Autoschlüssel lässt sie wieder verschwinden. "Hier sieh nur, was ich gefunden habe." Aimee hält ihr die vermisste Haarspange und den verschollenen Glitzerstift entgegen." "Prima, wo waren sie denn? Doch nicht etwa im Kleiderschrank?" "Nein, ich dachte nur, wenn ich schon dabei bin, räume ich den Schrank gleich mit auf. Ach, den Autoschlüssel hast du wohl noch nicht gefunden?", fragt Aimee scheinheilig "Nein, leider nicht, ich such dann mal weiter." Als Mama aus dem Zimmer ist, holt Aimee den Kobold wieder aus dem Ärmel hervor. "Danke, dass du mic Seine Stimme klingt jetzt wesentlich freundlicher "Schon gut, aber sag mal, was willst du eigentlich mit all den Sachen?“ „Nichts weiter. Ich sammle sie auf meinen Streifzügen durch die Wohnung und behalte sie solange bis ich mich an ihnen satt gesehen habe. Meistens bringe ich sie dann irgendwann zurück und hole mir etwas neues.“ „Komisches Hobby, aber jetzt verstehe ich auch, warum manche Sachen spurlos verschwinden und dann irgendwann doch wieder auftauchen und zwar an Stellen, wo man vorher schon tausendmal gesucht hat. Nur wie erkläre ich Mama jetzt die Sache mit dem Autoschlüssel?“ „Leg ihn einfach an einen Platz wo sie ihn bald finden wird.“ „Super Idee!“ Die Gelegenheit ist günstig. Mama ist gerade im Bad. Aimee schleicht in den Flur, legt den Schlüssel halb sichtbar auf den Schuhschrank und huscht lautlos in ihr Zimmer zurück, wo sie, so als wäre nichts gewesen, weiter aufräumt. Kurz darauf hört sie Mama vom Korridor her rufen: „Da ist er ja! Das ist doch nicht möglich! Mindestens hundertmal habe ich hier schon nachgesehen.“ Mama betritt Aimees Zimmer und sieht sie auf dem Boden kniend, fein säuberlich ihre Kleidung einräumend. Aimee dreht sich zu ihr um. „Wo war er denn?“, fragt sie möglichst gleichgültig. „Auf der Schuhkommode“, sagt Mama kopfschüttelnd, „aber frag mich nicht, wie er da hingekommen ist. Naja, Hauptsache, er ist wieder da. Entschuldige bitte, dass ich dich verdächtigt habe.“ Nachdem sich die Aufregung etwas gelegt hat und Aimee wieder allein mit ihrem kleinen Kobold ist, schließt sie mit Kuddel-Muddel ein Abkommen: Er darf im Kleiderschrank wohnen bleiben, muss sich aber mit ihr abstimmen, was er sich ausleihen will.