Es war einmal ein kleiner Wassertropfen, genauer gesagt ein Wassertropfen-Mädchen, namens Aquarina. Ihr Zuhause war die Wolke Siebenundzwanzig. Jeden Tag schaute Aquarina sehnsüchtig von oben auf die Erde hinab. Sie war noch nicht groß genug, um als Regentropfen zur Erde zu reisen. Doch eines Tages passierte es. Viele ihrer älteren Geschwister und Freunde waren gerade als prasselnder Regen zur Erde unterwegs, während Aqarina wieder einmal von ihrer Wolke aus zuschauen musste. Da zwängte sich plötzlich die Sonne durch die dichten Wolken hervor und zauberte direkt von ihrer Wolke aus einen bunt schillernden Regenbogen, der hinunter bis zur Erde reichte. Neugierig bewegte sich Aquarina auf die farbenprächtige Regenbogenbrücke zu. Doch kaum hatte sie sie berührt, da rutschte sie auch schon aus und mit immer schneller werdender Geschwindigkeit ging es auf der Regenbogenrutsche hinab in die ungewisse Tiefe. Aquarina konnte gerade noch einen Schrei ausstoßen, bevor sie ohnmächtig wurde. Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich hinter einer glatten undurchdringlichen, aber durchsichtigen Wand wieder. Durch das gläserne Gefäß konnte sie erkennen, dass die Sonne längst alle Spuren ihrer Geschwister und Freunde beseitigt hatte. Alles war wieder trocken. Die Regentropfen waren längst verdunstet, stiegen schon wieder zum Himmel hinauf oder waren bereits wieder zu Hause. Einige von ihnen hatten sich aber auch auf eine abenteuerliche Reise in die Erde begeben. Nur sie saß hier fest, gefangen in einem gläsernen Käfig, aus dem es kein Entrinnen gab, denn er war auch oben verschlossen. Aquarina wurde ganz traurig. Sie konnte weder nach Hause zurück noch würde sie einer Pflanze den Durst stillen können. In ihrer Trauer sackte sie völlig in sich zusammen und war nun kein wohlgeformter schöner Wassertropfen mehr, sondern lag als zerplatzte, winzige Pfütze am Boden des Glases. Plötzlich tauchten draußen dunkle Schatten auf, die sich um das gläserne Gefäß legten und Aquarina die Sicht nahmen. "Oh, du bist ja gar kein schöner, schillernder Wassertropfen mehr, du bist ja nur noch ein Wasserspritzer." Ein kleines Mädchen hielt das Glas in den Händen und betrachtete Aquarina von allen Seiten. Sofort richtete sich Aquarina auf. Soviel Stolz hatte sie noch, dass sie sich so etwas nicht sagen lassen wollte. "Ich bin Aquarina von Wolke siebenundzwanzig!", stellte sie sich vor. "Warum hältst du mich hier gefangen? Ich möchte zurück nach Hause. Ich bin noch zu klein für die Abenteuer hier auf der Erde. Bitte lass mich frei!" "Du sprichst?", staunte das Mädchen mit weit aufgerissenen Augen. Als es sich gefangen hatte, sagte es: "Ich heiße Alina und habe dich nach dem Regen an meiner Fensterscheibe gefunden. Einen so schönen regenbogenfarben leuchtenden Wassertropfen habe ich noch nie gesehen, deshalb habe ich dich in dieses Glas gesetzt, damit du nicht verdunstest und ich dich immer wieder anschauen kann. Aber ich wollte bestimmt nicht, dass du so traurig bist. Wie kann ich dir helfen?" "Öffne einfach den Deckel des Glases und stelle mich in die Sonne. Dann finde ich den Weg nach Hause allein und vielen Dank." "Das ist doch selbstverständlich, es war nett, dich kennen zu lernen. Gute Reise!" "Danke, ich habe mich auch gefreut, vielleicht besuche ich dich mal wieder, wenn ich größer bin." Die Sonne hatte trotz des späten Nachmittags noch genug Kraft und so dauerte es nicht lange bis Aquarina wieder auf ihrer Wolke angelangt war. Sie winkte Alina, die noch immer am Fenster stand und zum Himmel hinauf blickte, freundlich zu und als das Mädchen das winzige hell leuchtende Fünkchen in der kleinen weißen Wolke über ihr aufblitzen sah, wusste es, dass Aquarina wohlbehalten zu Hause angekommen war.
Im warmen Licht der untergehenden Sonne gingen Aquarina noch einmal die aufregenden Ereignisse des Tages durch den Kopf und während sie gerade dachte, was für ein großes Glück sie gehabt hatte, fielen ihr die Augen zu und erschöpft sank sie in einen tiefen Schlaf.