»Das ist … nicht lustig«, sagte dann der Nachbar von Sensenbrink.
»Erschreckend«, sagte der Herr, dessen Idee das nicht gewesen
war.
»Ich hab Ihnen gesagt, dass er gut ist«, sagte Sensenbrink stolz.
»Irre …«, sagte der Hotelreservierer Sawatzki, aber es war nicht
klar, wie er es meinte.
»Unmöglich«, sagte dezidiert der Nachbar von Sensenbrink.
Die Dame Bellini richtete sich auf. Sofort wandten sich ihr die Köpfe
zu.
»Das Problem ist«, sagte sie, »ihr seid hier alle mittlerweile total
verbarthet.«
Sie ließ diese Bemerkung nicht ungeschickt sacken, dann ergriff sie
wieder das Wort, das außer ihr im Moment ohnehin niemand zu
ergreifen wagte.
»Ihr erkennt gute Inhalte nur noch daran, dass der Typ oben auf der
Bühne mehr grinst als die Leute unten im Publikum. Sehen Sie sich in
unserer Comedy-Landschaft doch um: Kein Mensch kann mehr eine
Pointe setzen, ohne dass er sich dabei halb kranklacht, damit jeder
merkt, wo die Pointe ist. Und wenn mal einer halbwegs die Fassung
bewahrt, dann blenden wir das Gelächter aus dem Hintergrund ein.«
»Das hat sich aber bewährt«, sagte einer, der bisher den Mund
gehalten hatte.
»Mag sein«, sagte die Dame, die mir durchaus zu imponieren
begann, »aber was kommt danach? Ich denke, wir sind an dem Punkt
angekommen, an dem das Publikum derlei nur noch als gegeben
akzeptiert. Und der Erste, der den entscheidenden neuen Akzent
setzt, ist derjenige, der langfristig die Konkurrenz abhängt. Oder,
Herr … Hitler?«
»Entscheidend ist die Propaganda«, sagte ich. »Sie müssen eine
andere Botschaft senden als die anderen Parteien.«
»Sagen Sie«, sagte sie, »Sie haben das eben nicht vorbereitet,
oder?«
»Wozu?«, sagte ich. »Das granitene Fundament meiner
Weltanschauung habe ich vor ausreichend langer Zeit verfertigt. Das
versetzt mich in die Lage, jeden beliebigen Aspekt des
Weltgeschehens mit meinem Wissen zu konfrontieren und daraus die
richtigen Schlüsse zu ziehen. Glauben Sie, Führertum lernt man auf
Ihren Universitäten?«
Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Er improvisiert«, strahlte sie, »er zieht das einfach so raus! Und er
verzieht nicht einmal das Gesicht! Wissen Sie, was das heißt? Das
heißt, dass er nicht nach zwei Sendungen einfach nicht mehr weiß,
was er sagen soll. Oder dass er dann zu heulen anfängt, man soll ihm
mehr Autoren geben – oder täusche ich mich da, Herr Hitler?«
»Ich lasse nicht gerne sogenannte Autoren in meiner Arbeit
herumpfuschen«, sagte ich. »Während ich ›Mein Kampf‹ schrieb, hat
Stolzing-Cerny des Öfteren …«
»Ich verstehe langsam, was du meinst, Carmen«, sagte jetzt der
Herr, dessen Idee das nicht gewesen war, und lachte.
»… und wir setzen ihn als Kontrapunkt ein«, sagte die Dame Bellini,
»da, wo er am besten auffällt. Er kriegt einen Dauerauftritt bei Ali
Wizgür!«
»Der wird sich bedanken«, sagte Sawatzki.
»Der soll sich lieber mal seine Quoten ansehen«, sagte Frau Bellini,
»wo sie jetzt sind, wo sie vor zwei Jahren waren – und wo sie
demnächst sein werden.«
»Das ZDF kann sich warm anziehen!«, sagte Sensenbrink.
»Nur in einem sollten wir uns klar sein«, sagte Frau Bellini, und
dabei sah sie plötzlich sehr ernst zu mir.
»Und das wäre?«
»Wir sind uns darüber einig, dass das Thema ›Juden‹ nicht witzig
ist!«
»Da haben Sie absolut recht«, pflichtete ich ihr bei, fast erleichtert.
Da war tatsächlich endlich mal jemand, der wusste, wovon er sprach.