Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufsehen unter den Leuten; die möchten gern wissen, was wir uns zu sagen haben, da ich ihnen so unklug vorkomme. Sie kann getrost glauben, ich werd' auch nie klug werden. Wie soll ich Klugheit erwerben, mein einsamer Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr erlebt? – Im Winter war ich krank; dann macht' ich ein Schattenspiel von Pappendeckel, da hatten die Katze und der Ritter die Hauptrollen, da hab' ich nah an sechs Wochen die Rolle der Katze studiert, sie war keine Philosophin, sonst hätt' ich vielleicht profitiert. Im Frühjahr blühte der Orangenbaum in meinem Zimmer; ich ließ mir einen Tisch drum zimmern und eine Bank, und in seinem duftenden Schatten hab' ich an meinen Freund geschrieben. Das war eine Lust, die keine Weisheit mir ersetzen konnte. Im Spiegel gegenüber sah ich den Baum noch einmal und wie die Sonnenstrahlen durch sein Laub brachen; ich sah sie drüben sitzen, die Braune, Vermessene; an den größten Dichter, an den Erhabenen über alle, zu schreiben. Im April bin ich früh drauß' gewesen auf dem Wall und hab' die ersten Veilchen gesucht und botanisiert, im Mai hab' ich fahren gelernt mit zwei Pferd', morgens mit Sonnenaufgang fuhr ich hinaus nach Oberrad, ich spaziert' in die Gemüsfelder und half dem Gärtner alles nach der Schnur pflanzen, bei der Milchfrau hab' ich mir einen Nelkenflor angelegt, die dunkelroten Nelken sind meine Lieblingsblumen. Bei solcher Lebensweise, was soll ich da lernen, woher soll ich klug werden? Was ich Ihrem Sohn schreib', das gefällt ihm, er verlangt immer mehr, und mich macht das selig, denn ich schwelge in einem Überfluß von Gedanken, die meine Liebe, mein Glück ausdrücken, wie es ihm erquicklich ist. Was ist nun Geist und Klugheit, da der seligste Mensch wie ich ihrer nicht bedarf? –
Es war voriges Jahr im Eingang Mai, da ich ihn sah zum erstenmal, da brach er ein junges Blatt von den Reben, die an seinem Fenster hinaufwachsen, und legt's an meine Wange und sagte: »Das Blatt und deine Wange sind beide wollig«; ich saß auf dem Schemel zu seinen Füßen und lehnte mich an ihn, und die Zeit verging im stillen. – Nun, was hätten wir Kluges einander sagen können, was diesem verborgnen Glück nicht Eintrag getan hätte; welch Geisterwert hätte diesen stillen Frieden ersetzt, der in uns blühte? – O wie oft hab' ich an dieses Blatt gedacht, und wie er damit mir die Stirne und das Gesicht streichelte, und wie er meine Haare durch die Finger zog und sagte: »Ich bin nicht klug; man kann mich leicht betrügen, du hast keine Ehre davon, wenn du mir was weismachst mit deiner Liebe.« Da fiel ich ihm um den Hals. – Das alles war kein Geist, und doch hab' ich's tausendmal in Gedanken durchlebt und werde mein Leben lang dran trinken wie das Aug' das Licht trinkt; – es war kein Geist, und doch überstrahlt es mir alle Weisheit der Welt; – was kann mir sein freundliches Spielen ersetzen? – was den feinen durchdringenden Strahl seines Blicks, der in mein Auge leuchtet? – Ich achte die Klugheit nichts, ich habe das Glück unter anderer Gestalt kennen lernen, und auch was andern weh tut, das kann mir nicht Leid tun, und meine Schmerzen, das wird keiner verstehen.
So hell wie diese Nacht ist! Glanzverhüllt liegen die Berg' da mit ihren Rebstöcken und saugen schlaftrunken das nahrhafte Mondlicht. – Schreib' Sie bald; ich hab' keinen Menschen, dem ich so gern vertraue, denn weil ich weiß, daß Sie mit keinem andern mehr anbindet und abgeschlossen für mich da ist, und daß Sie mit niemand über mich spricht. – Wenn Sie wüßt', wie tief es schon in der Nacht ist! Der Mond geht unter, das betrübt mich. Schreib' Sie mir recht bald.