»Du irrst,« entgegnete sie, »nicht Fräulein Raimar, sondern du selbst hast dich lächerlich gemacht. Denke einmal zurück, wie du dich benommen hast. – Uebrigens,« fuhr sie fort, »du darfst nicht so trostlos sein und dir nicht allzuschwere Gedanken [pg 68]darüber machen. Wenn du morgen verständig bist, ist alles vergessen. Die Mädchen haben dich alle lieb.«
»Nein, nein,« rief Ilse, »mich hat niemand lieb! Ich weiß es wohl! – Ich bin dumm und ungeschickt und ich will fort – zu meinem Papa!«
»Wenn du so sprechen willst, Ilse, dann verlasse ich dich. Du weißt, wie sehr ich dich lieb habe, dergleichen kindische Reden aber will ich nicht von dir anhören. Soll ich gehen? – willst du vernünftig sein?« –
Ilse schwieg und die junge Lehrerin wandte sich der Thür zu. Als sie im Begriffe war dieselbe zu öffnen, eilte Ilse auf sie zu.
»Bitte, bleiben Sie,« bat sie und hielt sie an der Hand fest.
»Von Herzen gern, wenn du mich ruhig anhören willst.«
Sie setzte sich auf einen Stuhl am Fenster und nahm Ilse in den Arm.
»Wie heiß du bist, du böser Trotzkopf,« sagte sie und streichelte ihr liebevoll die erhitzten Wangen. »Nellie, gieb Ilse ein Glas Wasser.«
Die Angeredete hatte stumm und still am andern Fenster gelehnt und der Freundin lautes Schluchzen mit heimlichen Thränen begleitet, jetzt sprang sie hinzu und reichte das Gewünschte.
»Trink einer kühle Schluck, er wird dir ruhig machen,« redete sie herzlich zu. »Du mußt nie wieder sagen, daß wir dir nicht liebten, du böse, böse Ilse! – Nicht mehr weinen darfst du, komm, ich mache deine Gesicht kalt.«
Und sie tauchte einen Schwamm in das Wasser und kühlte damit Ilses brennende Augen und Wangen.
»Nun, mein Kind,« fragte Fräulein Güssow, als Ilse sich etwas beruhigt hatte, »was gedenkst du zu thun?«
»Ich muß heute noch abreisen,« entgegnete sie, »hier bleiben kann ich nicht.«
[pg 69]
»Also noch immer möchtest du mit deinem Kopfe die Wand einstoßen. Der Gedanke, daß du nachgeben mußt, daß es an dir ist, um Verzeihung zu bitten, kommt dir gar nicht in den Sinn! Du hast Fräulein Raimar bitter gekränkt, denkst du nicht daran, sie wieder zu versöhnen? Sprich!«
»Nein,« rief Ilse und warf den Kopf zurück, »Fräulein Raimar hat mich beleidigt und furchtbar gekränkt! Ich bitte sie nicht um Verzeihung! Noch niemals habe ich jemand um Verzeihung gebeten – und ich thue es auch jetzt nicht! Nein!«
Das war wieder ein trotziger, böser Ausfall von ihr, dennoch verlor Fräulein Güssow nicht die Geduld, sie blieb ruhig und sanft.
»Du batest niemals um Verzeihung, Ilse? Das wundert mich; aber du hast deinem Papa ein gutes Wort gegeben, wenn du unartig warst und er dir zürnte.«
»Meinem Papa!« wiederholte Ilse und sah höchst erstaunt die junge Lehrerin an. »Niemals hat er mir gezürnt, er war immer, immer gut, ich konnte machen, was ich wollte.«
»So,« sprach Fräulein Güssow und meinte jetzt den Schlüssel zu Ilses Eigensinn in des Vaters zu großer Nachgiebigkeit gefunden zu haben. »Und die Mama, war auch sie stets damit zufrieden, was du thatest, – kränktest du sie niemals? Sage einmal aufrichtig.«
Ilse blickte nachdenklich vor sich hin. Sie konnte nicht leugnen, sie hatte dieselbe oftmals durch ihren Widerstand gekränkt.
»Ich glaube, daß ich es that,« sagte sie zögernd.
»Und dann sagtest du: vergieb mir, liebe Mama, nicht wahr?«