Die jungen Mädchen waren natürlich in großer Aufregung. Es war der erste Ball, der ihnen bevorstand, und dieses wichtige Ereignis nahm all ihre Gedanken in Anspruch. Einige betrachteten wieder und wieder die duftigen Kleider, andre versuchten besondere Haartrachten, so Flora, die eine Passion dafür hatte, wieder andre probierten die Kleider an, der Sicherheit wegen, wie Nellie meinte, die soeben mit Ilse die Weihnachtskleider von der Schneiderin erhalten hatte. Gerade als beide angekleidet dastanden, kam Lilli hereingejubelt.
»Ich geh mit auf euren Ball!« rief sie, »das Fräulein hat es mir erlaubt. Und mein neues, weißes Kleiderl zieh ich an und die rote Atlasschärpe bind’ ich um, – und ich darf halt mittanzen! Ich freu mich halt zu sehr auf morgen!«
Und sie faßte mit beiden Händchen an ihre Schürze und tanzte zierlich und graziös durch das Zimmer.
Es war schon ziemlich dunkel, und die Kleine hatte nicht bemerkt, wie geputzt Nellie und Ilse waren. Als die erstere Licht anzündete, blieb sie plötzlich überrascht stehen und sah erstaunt von einer zur andern.
»Wie schön schaut ihr aus!« rief sie bewundernd und mit gefaltenen Händen, und fast andächtig sah sie die beiden Mädchen an.
»Weißt, Ilse,« fuhr sie lebhaft fort, »du schaust aus gerad wie des Kaisers Tochter! Ich führ’ dich morgen in den Saal – bitt’ schön!«
Ilse nahm ihren Liebling zärtlich in den Arm und küßte ihn herzhaft auf den Mund. »Du bist ja so heiß, Lilli,« sagte sie und befühlte Stirn und Wange des Kindes. »Fehlt dir etwas?«
»Der Kopf thut mir halt a bissel weh,« entgegnete Lilli, »aber gar nit viel, – gewiß nit,« beteuerte sie, als Ilse sie besorgt ansah. »Morgen thut er nit mehr weh, – morgen geh ich ganz gewiß auf den Ball! Du gehst auch mit,« [pg 163]sagte sie zu ihrer Puppe, die nach ihrer Geberin, Ilse, getauft war. »Aber artig mußt halt sein, sonst wirst in dein Bett gesteckt!« –
»Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew’ger Bund zu flechten
Und das Unglück schreitet schnell.«
Acht Tage später schrieb Flora diese inhaltschweren Worte in ihr Tagebuch. –
Am andern Morgen lag Lilli heftig fiebernd in ihrem Bette. Der herbeigerufene Arzt machte ein ernstes Gesicht. »Sie hat starkes Fieber,« sagte er und verordnete Eisumschläge auf den Kopf, die jede halbe Stunde gewechselt werden mußten. Das lebhafte Kind lag still und teilnahmlos da.
Fräulein Güssow saß recht sorgenvoll an Lillis Bett, die eben etwas eingeschlummert war. Die Vorsteherin beruhigte sie und meinte, daß Lillis ganze Krankheit ein heftiges Schnupfenfieber sein werde, sie habe bei Kindern oftmals ähnliche Fälle erlebt.
Die junge Lehrerin schüttelte ungläubig den Kopf. »Wenn nur der Ball heute abend nicht wäre!« sprach sie seufzend. »Der Lärm im Hause und das kranke Kind – es will mir nicht in den Kopf! – Wenn wir ihn hinausschöben, Fräulein?«
»Sie sehen zu schwarz, liebe Freundin,« entgegnete die Vorsteherin. »Der Lärm wird Lilli nicht stören, wie sollte er aus dem Vorderhause bis hierher in Ihr stilles Zimmer dringen? Bedenken Sie, wie sehr sich die Kinder auf den heutigen Abend gefreut haben; wie grausam wäre es, wollten wir ihre Freude zerstören! Noch sehe ich keine Gefahr und wir können unbesorgt den Ball stattfinden lassen.«