„Irma!“ rief er leidenschaftlich. „Du bist das schönste, das entzückendste Wesen von der Welt. Und für mich wirst du das ewig bleiben. Aber ich wünschte, ich wäre an Stelle des Barons von Hochstein ein armer Teufel, zu dem du dich herablassen müßtest.“
Sie schaute ihn fragend und tief errötend an.
„Meine Eltern sind sehr stolz,“ fuhr er fort. „Unser Stammbaum reicht zurück bis in die Zeit vor den Kreuzzügen. Die Glieder meiner Familie haben sich immer nur mit dem allerältesten Adel verbunden; der Schlag würde meine Eltern vor Schreck rühren, wenn sie erführen, daß ich mich mit einem Mädchen verloben will, das nicht zum Hochadel gehört. Sie haben mir bereits eine steinreiche Erbtochter aus einem Geschlechte bestimmt, das eben so vornehm ist wie das unsere.“
„Und du?“ fragte Irma atemlos.
„O, ich geb' auf das alles nichts und werde das häßliche Freifräulein von Staufenberg nie heiraten, das verspreche ich dir.“
„Aber dann wird aus unsrer Verlobung nichts!“ seufzte Irma, „deine Eltern werden nie ihre Einwilligung geben.“
Er nahm ihre kleinen Hände in die seinen und streichelte sie.
„Das werden sie sicher nicht, geliebte Irma, wenn wir sie ohne weiteres mit dem fait accompli überfallen und erschrecken. Ich muß sie ganz allmählich darauf vorbereiten, und dann werden sie ohne Zweifel nachgeben. Wir müssen warten, das ist alles, um was ich dich bitte. Hast du mich nicht so lieb, um etwas Geduld zu haben?“
„Aber meine Eltern und Großmama,“ stammelte Irma.
„Glaube mir, Liebling. Durch zu frühes Reden würden wir alles verderben. Wenn du mich liebst, so gelobe mir zu schweigen.“
Irma war sich innerlich bewußt, daß sie nicht recht tat, aber sie vermochte nicht, seinem heißen Drängen zu widerstehen; sie war von den äußeren blendenden Eigenschaften des jungen Barons so betört, daß sie ihm schließlich alles versprach, sogar ein Stelldichein in der nächsten Woche.
Solange sie bei ihm war, vergaß sie ihre Bedenken und gab sich dem Glück des Augenblicks hin, aber als sie allein nach der Stadt zurückkehrte, konnte sie sich eines Gefühls der Furcht und Beklommenheit nicht erwehren. Zum erstenmal in ihrem Leben tat sie etwas Heimliches, Unaufrichtiges, etwas, was die Ihrigen niemals gutheißen würden.
Heftig erschrak sie, als in der Nähe ihrer Wohnung Agnes plötzlich auf sie zutrat.
„Wo kommst du her, Irma? Ich war bei Großmama, die sagte mir, du hättest mich zu einem Spaziergang abholen wollen. Wie ein Hase lief ich nach Hause, dort hatte dich aber niemand gesehen.“
„Ich bin spazieren gegangen,“ murmelte Irma.
Sie wurde furchtbar rot, und Agnes schaute sie verwundert und forschend an.
„Allein?“ fragte sie. „Und du sagst Großmama, daß du mich abholen wolltest.“
„Ich ... ich bekam plötzlich Lust, allein zu gehen.“
„Wie komisch du bist! Was hast du? Was bedeutet das? Ich verstehe dich nicht.“
„Mach doch nicht so 'nen Sums daraus,“ rief Irma, in ihrer Verlegenheit plötzlich sehr reizbar werdend und nicht mehr wissend, wie sie sich herausziehen sollte. „Geht's dich was an, wenn ich mal allein spazieren gehen will? Dir hab' ich doch keine Rechenschaft abzulegen.“
„Aber Irma!“ sagte Agnes, im höchsten Grade erstaunt und gekränkt.
Schweigend schritten sie nebeneinander her. Agnes war zu entrüstet, um zu sprechen, aber als sie eine Weile später verstohlen nach ihrer Cousine schaute, sah sie, daß diese bebte und ihr die Augen voll Tränen standen. Sofort fühlte sie ihren Zorn schwinden.
„Irmachen,“ begann sie freundlich. „Sag mir doch, warum du so betrübt bist. Ich bin deine Freundin, mir kannst du vertrauen.“
Zum Glück befanden sie sich in einer stillen Straße, denn Irma konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
„Ich kann nicht, Agnes,“ stammelte sie fast schluchzend, „frag mich nicht.“
Die Andere forschte nicht weiter. „Komm mit zu mir,“ bat sie. „Die Eltern und Maud sind ausgegangen. Auf unsrem Zimmer kannst du dich erholen.“
Irma folgte willig. Als sie in dem gemütlichen, hellen Mädchenstübchen saßen, küßte Agnes ihre Cousine und fragte noch einmal teilnehmend:
„Kannst du mir wirklich nicht sagen, was dir fehlt, Liebling?“
„Ich kann nicht, ich darf nicht.“
Agnes schwieg.
„Gelobst du mir bei allem, was dir heilig ist, keinem Menschen ein Sterbenswörtchen zu sagen?“ flüsterte Irma.
„Das versteht sich wohl von selbst, ich bin doch deine Freundin.“
„Auch Ludwig nicht?“
Agnes zögerte. „Ist's etwas, was mich gar nichts angeht, Irma?“
„O gewiß, es geht einzig und allein mich an.“