Im Garten fanden sie die ganze Gesellschaft beisammen. onkel Heinz und Hans waren an einem abgesonderten Tisch mit der Bereitung einer Riesenbowle beschäftigt. Verschiedene Flaschen Rheinwein, ein paar Flaschen Champagner, Teller mit Erdbeeren, Pfirsichen und andern Früchten, standen vor ihnen. Die Damen umringten den Professor und wollten ihm einige Anweisungen geben, er aber erklärte, er sei stets wegen seiner Bowlen berühmt gewesen und könne ohne Hilfe fertig werden. Trinken dürften sie davon, um die Zubereitung brauchten sie sich aber nicht zu kümmern. Tante Elisabeth sagte mit saurer Miene, daß sie es ganz unpassend fände, wenn junge Leute so viel tränken, worauf ihr Bruder Fritz lachend erwiderte, sie habe ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht, wenn sie annähme, daß sie allein etwas davon bekäme.
Am andern Ende des Gartens saßen die Studenten. Irma konnte nicht anders; sie mußte dann und wann verstohlen hinsehen, und ihr Herz begann ungestümer zu schlagen, als sie Hochstein aufstehen und von einigen seiner Kommilitonen gefolgt auf sie zutreten sah.
Er näherte sich Frau Gontrau, verbeugte sich ehrfurchtsvoll und begann:
„Haben Sie etwas dagegen, gnädige Frau, wenn wir die jungen Damen und Herren Ihrer Gesellschaft einladen, an einem improvisierten Balle teilzunehmen?“
Aus dem Speisesaal des Hauses erklangen heitere Tanzweisen, und beim Schein der mittlerweile angezündeten Lampen drehten sich verschiedene Paare fröhlich im Kreise.
„Habt ihr Lust, Kinder?“ fragte Ilse freundlich.
„Ach ja, Großmama!“ rief daß junge Volk entzückt. Selbst Floras Augen glänzten, aber sie schlug sie nieder und fragte Gustav sittsam, ob er gern tanze.
Nachdem die gegenseitigen Vorstellungen stattgefunden, bot Baron Hochstein Irma den Arm, und die junge, fröhliche Schar wollte sich entfernen, als der Professor rief:
„Das ist alles gut und schön, aber nach dem Tanze kommen Sie her, meiner Bowle Ehre zu erweisen, ich lade die Herren Studenten zu einem altmodischen Rundgesang ein, an dem wir alle teilnehmen wollen.“
Ein ohrzerreißendes „Vivat“, dann stürmten die jungen Leute in den Saal.
Fritz Müller, der mit seiner Frau dem Tanz zusehen wollte, blieb vor Tante Elisabeth stehen und sagte, ihr lachend den Arm bietend:
„Komm, Schwesterlein mein, wollen wir mal probieren, ob wir das Walzen noch nicht verlernt haben?“
„Du tätest besser, dich nicht so verdreht anzustellen,“ versetzte die alte Jungfer giftig. „Sieh lieber, was deine Töchter treiben; ich für mein Teil finde es mehr als unpassend, die jungen Mädchen mit unbekannten Studenten tanzen zu lassen und noch dazu Maud, die Braut sein will.“
Fritz wurde dunkelrot; die sanfte Marianne schaute ihre Schwägerin vorwurfsvoll an, Großmutter Ilse aber kam beiden zuvor:
„Sie sollten sich schämen, Elisabeth,“ rief sie heftig. „Daß Sie selbst sich nicht amüsieren können und alles verurteilen, was einfache, schlichte Menschen nett finden und gern mögen, ist Ihre Sache, aber ich verbitte mir ernstlich, daß Sie gegen einen meiner Gäste gehässige Bemerkungen machen. Ich hab' es gut geheißen, daß die jungen Mädchen tanzen — nehmen Sie daran Anstoß, so behalten Sie Ihre Bedenken für sich, wir werden uns jedenfalls nicht daran kehren.“
Erschrocken schwieg Elisabeth. Sie fürchtete sich ein bißchen vor Frau Gontrau, die ihr noch immer am höflichsten und freundlichsten entgegenkam. Die Augen der alten Dame blitzten vor Zorn und für einen Moment lebte die alte, aufbrausende Ilse wieder auf.
„Ich darf doch wohl sagen, was ich für unpassend finde,“ stammelte Elisabeth, in ihrem Innern noch viel zu entrüstet, um nachzugeben.
„Nicht, wenn keiner danach fragt,“ entgegnete Ilse. „Sie haben schon mehr als zuviel Kritik geübt. Geh nur mit Marianne, Fritz. Ruth und Heinrich haben auch die Absicht, sich in den Saal zu begeben. Wer weiß, wenn die Bowle ganz fertig ist, kommen onkel Heinz und ich vielleicht auch auf ein Weilchen und gucken zu. Was meinen Sie, Herr Professor?“
„Vortrefflich, Frau Ilse! Wenn mein dummes Bein mir nicht so aufspielte, würde ich Ihnen allen einen Hornpipe(1) vortanzen, daß Sie Ihr blaues Wunder erleben sollten.“
Heiter gingen die andern ins Haus. Ilse widmete ihre Aufmerksamkeit einen Augenblick der Bowle und schaute dann nach Fräulein Müller. Steif und kerzengerade saß diese auf ihrem Stuhl. Frau Gontrau, die ebenso rasch versöhnt war, wie sie heftig werden konnte, fürchtete, die alte Jungfer doch zu hart angefahren zu haben, und hatte schon wieder Mitleid mit dem einsamen Wesen, das so unglücklich in seiner Ecke saß, während alle andern sich gut unterhielten. Der Professor schüttelte den Kopf, als sie sich zu ihr wendete und freundlich sagte:
„Sie müssen nicht böse sein, Elisabeth, weil ich zornig war. Sie sind mein Gast, und es würde mir leid tun, wenn ich Sie gekränkt hätte.“
Fräulein Müllers Mienen wurden nicht sanfter, als sie in sauersüßem Tone erwiderte:
„Ach, Frau Gontrau, mir gegenüber brauchen Sie sich wirklich nicht zu entschuldigen. Auf mich kommt's nicht an. Jeder darf mich ungestraft beleidigen. Wenn die Mädchen mich auslachen und Karl frech zu mir ist und mich zum Gespött macht, haben alle ihre Freude dran. Um mich kümmert sich niemand, und Sie brauchen es auch nicht zu tun.“