Ilse hatte an Tante Elisabeth geschrieben und sie gebeten, auch zu kommen. Die Kinder erhoben Einsprache dagegen, und onkel Heinz behauptete, die alte Essigpflaume werde das ganze Fest und die Freude des Wiedersehens stören, aber Frau Gontrau blieb fest. Die einzige Schwester von Fritz und die rechte Tante der Kinder gehörte zu ihnen, und es wäre nicht mehr als recht und billig, sie einzuladen. Ein allgemeiner Jubelschrei brach los, als eine Absage von der alten Dame kam. Sie schrieb ein sauersüßes Briefchen, in dem zwischen den Zeilen zu lesen stand, daß der Hauptgrund ihr Ärger über die Mädchen war, die, ohne sie um Rat zu fragen oder sich an ihre Bemerkungen zu kehren, das Haus eingerichtet hatten und viel zu beschäftigt gewesen waren, um den Besuch bei der Tante zu wiederholen. Sie wolle die Freude des ersten Beisammenseins nicht stören. Sie begreife, daß man da lieber ganz unter sich sein möchte, und zöge es vor, später zu kommen, wenn man für sie mal einen Moment Zeit hätte &c. &c. Sogar Ilse war nahe daran böse auf dies Geschöpf zu werden, das sich stets zurückgesetzt fühlte und in seiner Unzufriedenheit und Böswilligkeit die besten Absichten falsch auslegte. In ihrem Herzen war sie freilich auch froh, daß Tante Elisabeth nicht kam, aber es tat ihr weh, daß die Kinder sich darüber so außerordentlich freuten, und das einsame Wesen, das sich sein Leben selbst verdarb, erregte ihr höchstes Mitleid.
Es war bestimmt, daß das junge Volk zur Bahn gehen sollte. Ilse wollte Schwiegersohn und Tochter in Gesellschaft Ruths, ihres Mannes und onkel Heinz' im Hause erwarten. Letzteren rechnete man so ganz zur Familie, daß er nicht fehlen durfte. Mit seiner gewohnten Heftigkeit hatte er sich zuerst dagegen gewehrt. So 'n alter Knaster gehörte bei solcher Gelegenheit nicht dazu; es ginge ihn nichts an, wenn Sohn und Tochter nach so langer Abwesenheit zum ersten Male die Mutter wiedersähen. Als die Kinder kamen, war es etwas andres, jetzt aber müsse er sich schämen, wenn er auch wieder so unbescheiden wäre, seine Nase mit hineinzustecken.
„Unsinn, onkel Heinz,“ erklärte Ilse, „Mariannes erste Frage würde nach Ihnen sein. Und“ fügte sie leise, nur ihm verständlich hinzu, „nun mein Leo nicht mehr ist, müssen Sie an seiner Stelle sein Kind bewillkommnen, das wissen Sie wohl.“
Da drückte der Professor seiner alten Freundin dankbar die Hand; die Augen wurden ihm feucht, aber um das nicht merken zu lassen, schrie er Karl an, daß die Transparentbuchstaben des „Willkommen“, die über der Ehrenpforte prangten, schief ständen und daß doch nie etwas ordentlich gemacht werde, wenn er sich nicht darum kümmere.
Endlich hielt Ilse ihre blonde Marianne in den Armen, und in ihre Tränen mischte sich Freude über das Wiedersehen und Trauer im Gedanken an den Heimgegangenen.
onkel Fritz machte, nachdem die erste Rührung vorüber war, fröhlich Bekanntschaft mit seinem Schwager von Holten, seinem Neffen Gustav und seinem Nichtchen Irma und frischte sofort mit onkel Heinz alte Erinnerungen auf. Die ganze Gesellschaft schritt paarweise durch sämtliche Räume des neuen Hauses, betrachtete und bewunderte alles und vereinigte sich in fröhlichster Stimmung bei der Abendmahlzeit. Beim Nachtisch stiegen die Raketen im Garten prasselnd in die Höhe, und zwischen den dunklen Bäumen glänzten die Lampions. Das Knallen der Champagnerpfropfen erregte lauten Jubel bei der Jugend, Professor Fuchs brachte den schwungvollsten, wärmsten Toast aus, der je über seine Lippen gekommen war, und an diesem Abend gab es in der ganzen Stadt keine glücklicheren Menschen als Großmutter Ilse Gontrau mit ihren Kindern und Enkeln.
Während der ersten Wochen, die auf die Heimkehr der amerikanischen Familie folgten, herrschte in dem sonst so stillen Haushalt der Frau Gontrau fröhliches Leben und Treiben. Sie bestand darauf, ihre Kinder und Großkinder alle Tage zu sehen, und so wurden eine Menge kleiner Familienfeste gefeiert. Zuweilen nahm auch Tante Elisabeth daran teil, aber sie hatte viel zu tadeln und zu nörgeln. Sie stöhnte über Kälte, wenn die andern es vor Hitze kaum aushalten konnten, und war rauhes Wetter, so fand sie es drückend heiß. In spitzem Ton erklärte sie, daß ihr nichts daran gelegen sei, Besuche zu machen oder zu empfangen. Doch kamen die andern ohne sie zusammen, so fühlte sie sich verletzt und beklagte sich bitter, wenn eine Woche verging, ohne daß jemand aus der Familie sie besuchte. Es war schwer mit ihr umzugehen und ohne Zureden der Großmutter, die Mitleid mit ihr hatte und stets bemüht war, Tante Elisabeth freundlicher zu stimmen, würden sich die andern wenig um sie bekümmert haben.