»Was soll aus uns werden?« sagte Madame Grandet zu ihrer Tochter und ließ ihr Strickzeug in den Schoß fallen.
Die arme Mutter hatte seit zwei Monaten soviel Unruhe erlebt, daß die wollenen Überärmel, die sie für den Winter nötig hatte, noch nicht fertig geworden waren. Diese so unscheinbare kleine Tatsache hatte für sie gar traurige Folgen. Da ihr die warme Hülle fehlte, wurde sie bei einem Angstschweiß, den ein Zornesausbruch ihres Mannes ihr verursachte, von einer heftigen Erkältung erfaßt.
»Mein armes Kind, hättest du mir dein Geheimnis anvertraut, so hätten wir Zeit gehabt, nach Paris an Monsieur des Grassins zu schreiben. Er hätte uns den deinigen ähnliche Goldstücke schicken können, und obgleich Grandet sie gut kennt, wäre es vielleicht . . .«
»Aber wo hätten wir denn so viel Geld hernehmen sollen?«
»Ich hätte mein Vermögen verpfändet. Übrigens hätte wohl auch Monsieur des Grassins uns . . .«
»Es ist keine Zeit mehr«, erwiderte Eugénie mit tonloser Stimme. »Müssen wir nicht morgen früh zu ihm ins Zimmer gehen und ihm gratulieren?«
»Aber, mein Kind, warum gehe ich denn nicht zu den Cruchots?«
»Nein, nein! Das hieße mich ihnen ausliefern und uns von ihnen abhängig machen. Übrigens habe ich mein Teil erwählt. Ich habe recht getan und bereue nichts. Gott wird mich beschützen. Sein heiliger Wille geschehe! Ach, wenn Sie seinen Brief gelesen hätten – Sie würden nur an ihn denken, liebe Mutter.«
Am andern Morgen, dem ersten Januar 1820, gab die entsetzliche Angst, deren Beute Mutter und Tochter geworden waren, ihnen die allernatürlichste Ausrede ein, um nicht feierlich in Grandets Zimmer erscheinen zu müssen. Der Winter 1819/1820 war außergewöhnlich streng; der Schnee drückte schwer auf die Dächer.
Sowie Madame Grandet hörte, daß ihr Mann sich in seinem Zimmer rührte, sagte sie: »Grandet, laß doch von Nanon – bei mir ein wenig Feuer machen; der Frost ist so stark, daß ich unter der Decke sogar friere. Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich mich schonen muß. Übrigens«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »wird Eugénie sich hier bei mir ankleiden. Das arme Kind kann sich eine Krankheit holen, wenn sie sich bei solchem Wetter in ihrem kalten Zimmer anzieht. Wir werden dir dann drunten im Saal beim Kaminfeuer unsere Neujahrswünsche darbringen.«
»Ta ta ta ta, welche Sprache! Wie du das Jahr schon anfängst, Madame Grandet? Du hast noch nie so viel auf einmal gesprochen. Ich denke doch, du hast nicht etwa schon in Wein getunktes Brot gegessen, wie?«