»So sei es!« schrie Nanon und riß die Tür ihres Kämmerchens auf.
Die beiden Liebenden flüchteten erschreckt in den Saal, wo Eugénie ihre Arbeit wieder aufnahm und Charles sich daran machte, im Gebetbuch von Madame Grandet die Litaneien der heiligen Jungfrau zu lesen.
»Seht!« sagte Nanon, »da beten wir nun alle.«
Nachdem Charles seine bevorstehende Abreise angezeigt hatte, tat Grandet sehr eifrig, kam und ging und machte Charles glauben, daß er sich lebhaft für ihn interessiere. Er zeigte sich freigebig in allem, das nichts kostete, nahm es auf sich, ihm einen Packer zu besorgen, und meinte dann, der Mann verlange für seine Kisten zuviel Geld; er wollte also durchaus selber welche anfertigen und nahm recht alte Bretter dazu. Schon früh erhob er sich und sägte, hobelte und nagelte und verfertigte sehr schöne Kisten, in die er alle Habseligkeiten Charles' einpackte. Er übernahm es auch, sie mittels Schiffs die Loire hinunterzubefördern und sie wohlbehalten und rechtzeitig in Nantes abzuliefern.
Seit dem Kuß im Hausgang entflohen für Eugénie die Stunden mit rasender Eile. Zuweilen wollte sie ihrem Cousin überallhin folgen.
Wer diese heftigste, zwingendste aller Leidenschaften gekannt hat, deren Dauer ein jeder Tag verringert, die zittern muß vor dem Alter, der Zeit, vor irgendeiner todbringenden Krankheit, vor all den Zufällen im Menschenleben – wer sie gefühlt hat, diese Leidenschaft, die Liebe, der wird begreifen, welche Qualen Eugénie litt. Oft ging sie weinend in den Garten, der ihr nun viel zu eng schien, zu eng wie der Hof, das Haus, die ganze Stadt – eilte sie doch schon hinaus auf die endlose Weite des Ozeans.
Endlich nahte der Tag vor der Abreise. Am Morgen wurde während der Abwesenheit Nanons und Grandets das kostbare Kästchen, in dem sich die beiden Porträts befanden, feierlich in das einzige verschließbare Fach der Truhe eingestellt, in der auch Eugénies jetzt leere Börse lag. Die Niederlegung dieses Schatzes ging natürlich nicht ohne eine beträchtliche Anzahl von Küssen und Tränen vonstatten. Als Eugénie den Schlüssel an ihrer Brust barg, hatte sie nicht den Mut, Charles zu wehren, die Stelle zu küssen.
»Hier wird er immer ruhen, mein Freund.«
»Und mit ihm immer mein ganzes Herz.«
»O Charles, das war nicht recht«, sagte sie, ein wenig grollend.