Manche werden diese Erklärung hoffärtig und ruhmredig finden. Man wird mit dem Romandichter Zank suchen, weil er Geschichtsschreiber sein will; man wird ihn zur Rede stellen über seine Politik. Ich komme hier einer Verpflichtung nach, das ist meine ganze Antwort. Das Werk, das ich unternommen habe, wird so lang wie eine Weltgeschichte, und ich war seinen noch verborgenen Sinn, seine Prinzipien und seine Moral schuldig.
Ich muß notwendigerweise jene Vorreden streichen, die geschrieben wurden, um wesentlich vergänglichen Kritiken zu entgegnen, und ich will aus ihnen nur eine Anmerkung erhalten.
Die Schriftsteller, die ein Ziel haben, und wäre es die Rückkehr zu den Prinzipien, die sich eben deshalb schon in der Vergangenheit finden, weil sie ewig sind, müssen stets erst das Gelände säubern. Wer nun seinen Stein für das Gebiet des Denkens herbeiträgt, wer einen Mißbrauch kennzeichnet, wer das Schlimme mit einem Merkmal versieht, damit es ausgemerzt werde, der gilt stets als ›unmoralisch‹. Der Vorwurf der Unmoralität, der keinem mutigen Schriftsteller je erspart blieb, ist übrigens der letzte, der noch übrigbleibt, wenn man einem Dichter nichts mehr zu sagen hat. Wenn er in seinen Schilderungen wahr ist, wenn er vermöge täglicher und nächtlicher Arbeit dahin gelangt, daß er die schwerste Sprache der Welt zu schreiben versteht, so wirft man ihm das Wort ›unmoralisch‹ ins Gesicht. Sokrates war unmoralisch, Jesus war unmoralisch; beide wurden im Namen der Gesellschaft, die sie umstürzten oder reformierten, verfolgt. Wenn man jemanden töten will, so beschuldigt man ihn der Unmoral. Dieses den Parteien vertraute Verfahren ist eine Schmach für die, die es anwenden. Luther und Calvin wußten genau, was sie taten, als sie sich der Verletzung materieller Interessen wie eines Schildes bedienten! Daher haben sie auch ihr Leben zu Ende leben können.
Wenn ich die ganze Gesellschaft kopierte, wenn ich sie in der Unendlichkeit ihrer Gärungen zu fassen suchte, so war es unausbleiblich, daß die eine Dichtung mehr des Bösen als des Guten bot, daß jener andere Teil des Freskos eine schuldbeladene Gruppe darstellte: und die Kritik schreit über Unmoral, ohne auf die Moralität eines dritten Teils aufmerksam zu machen, der bestimmt war, den vollständigen Gegensatz darzustellen. Da die Kritik von dem Gesamtplan nichts wußte, so verzieh ich ihr um so leichter, als man die Kritik so wenig wie das Auge, die Zunge und die Urteilskraft hindern kann, sich zu betätigen. Außerdem ist der Zeitpunkt der Unparteilichkeit für mich noch nicht gekommen. Im übrigen darf ein Autor, der sich nicht darein fügen kann, daß er das Feuer der Kritik wird zu ertragen haben, so wenig schreiben, wie ein Reisender sich auf den Weg machen darf, wenn er auf einen ewig heiteren Himmel zählt. In dieser Hinsicht muß ich nur noch darauf hinweisen, daß die gewissenhaftesten Moralisten sehr daran zweifeln, ob die Gesellschaft so viele gute Handlungen aufweisen kann wie schlechte; in dem Gemälde aber, das ich entwerfe, finden sich mehr tugendhafte Persönlichkeiten als tadelnswerte. Schmähliche Handlungen, Fehltritte und Verbrechen finden von den leichtesten bis zu den schwersten stets ihre menschliche oder göttliche Strafe, die sie vor aller Welt oder im geheimen ereilt. Ich habe mehr getan als der Historiker, ich bin freier. Cromwell blieb hier auf Erden ohne andere Züchtigung als die, die ihm der Denker auferlegte. Und selbst die ist noch von Schule zu Schule strittig gewesen. Selbst Bossuet hat diesen großen Königsmörder geschont. Der Usurpator Wilhelm von Oranien, Hugo Capet, noch ein Usurpator, sterben hochbetagt, ohne mehr Argwohn oder Besorgnisse durchzumachen als Heinrich IV. und Karl I. Das Leben Katharinas II. und das Ludwigs XIV. würden, einander gegenübergestellt, gegen jede Moral sprechen, wenn man sie nämlich vom Standpunkt jener Moral aus beurteilt, die die Bürger regiert; denn für die Könige und die Staatsmänner gibt es, wie Napoleon gesagt hat, eine große und eine kleine Moral. Die »Szenen aus dem politischen Leben« [Fußnote] sind auf diesem schönen Gedanken aufgebaut. Die Geschichte untersteht nicht wie der Roman dem Gesetz des Strebens nach der idealen Schönheit. Die Geschichte ist oder sollte sein wie die Wirklichkeit, während der Roman nach dem Ausspruch der Madame Necker, eines der vornehmsten Geister des letzten Jahrhunderts, »die bessere Welt« sein soll. Aber der Roman wäre ein Nichts, wenn es in dieser erhabenen Lüge nicht die Wahrheit im einzelnen gäbe. Walter Scott war, da er sich den Begriffen eines wesentlich heuchlerischen Landes anpassen mußte, soweit das Menschliche in Betracht kommt, unwahr in der Schilderung der Frau; denn seine Vorbilder waren Schismatiker. Die protestantische Frau hat kein Ideal. Sie kann keusch, rein und tugendhaft sein, aber ihre Liebe, die keine Überschwenglichkeit kennt, wird stets ruhig und geordnet bleiben wie eine erfüllte Pflicht. Es könnte scheinen, als habe die Jungfrau Maria den Sophisten, die sie aus dem Himmel verbannten, sie mitsamt ihren Schätzen des Erbarmens, das Herz kalt gemacht. Im Protestantismus bleibt der Frau nach dem Fehltritt keinerlei Möglichkeit mehr, während in der katholischen Kirche die Hoffnung auf Vergebung sie erst erhaben macht. Deshalb gibt es für den protestantischen Schriftsteller nur eine einzige Frau, während der katholische Schriftsteller in jeder neuen Lage eine neue Frau entdeckt. Wäre Walter Scott Katholik gewesen, hätte er es sich zur Aufgabe gemacht, in aller Wahrheit die verschiedenen Gesellschaften zu schildern, die sich in Schottland gefolgt sind, so hätte vielleicht der Maler Effies und Alices (der beiden Charaktere, die geschildert zu haben er sich in seinen alten Tagen zum Vorwurf machte) die Leidenschaften mit ihren Fehltritten und ihren Strafen und mit den Tugenden, die die Reue ihnen zuweist, anerkannt. Die Leidenschaft umfaßt alles Menschliche. Ohne sie wären die Religion, die Geschichte, der Roman und die Kunst nutzlos.