Als der Sultan aufgestanden war, ging er wie gewöhnlich nach dem offenen Erker, um sich das Vergnügen zu machen, Alaeddins Palast zu betrachten und zu bewundern, erblickte aber nur einen leeren Platz. Im Anfang glaubte er, er täusche sich und rieb sich die Augen; allein er sah so wenig, als das erstemal, obgleich das Wetter sehr heiter, der Himmel rein und die Morgenröte bereits aufgestiegen war. Er blickte rechts und links und sah noch immer nichts. Sein Erstaunen war so groß, daß er lange wie angewurzelt auf derselben Stelle stehen blieb, die Augen starr nach der Seite hin geheftet, wo der Palast bisher gewesen, aber jetzt nicht mehr zu sehen war; denn es war ihm unmöglich, zu begreifen, wie ein so großer und ansehnlicher Palast auf einmal ganz spurlos entschwunden sein solle. Endlich ließ er in aller Eile den Großvezier rufen.
Der Großvezier ließ nicht lange auf sich warten. Er kam in solcher Eile, daß weder er noch seine Leute im Vorbeigehen bemerkten, daß Alaeddins Palast nicht mehr an seiner Stelle stand. Selbst die Pförtner hatten es nicht bemerkt, als sie die Tore des Palastes öffneten. Der Großvezier redete den Sultan also an: »Herr, die Eile, womit man mich berufen hat, läßt mich schließen, daß irgend etwas Außerordentliches vorgefallen sein muß; denn du weißt ja wohl, daß heute Ratssitzung ist, und ich mich meiner Pflicht gemäß ohnehin in einigen Augenblicken eingestellt hätte.« – »Ja,« antwortete der Sultan, »es hat sich wirklich etwas sehr Außerordentliches zugetragen und du wirst es selbst gestehen müssen. Sprich, wo ist der Palast Alaeddins?« – »Der Palast Alaeddins?« erwiderte der Großvezier sehr erstaunt, »ich ging soeben daran vorbei, und mich däuchte, er stand an seinem alten Platz. So gewaltige Gebäude wie dieses ändern ihre Stelle nicht so leicht.« – »Sieh einmal hinaus,« entgegnete der Sultan, »und sag mir dann, ob du ihn gesehen hast.«
Der Großvezier begab sich in den offenen Erker, und es ging ihm, wie dem Sultan. »Herr,« sagte der Großvezier, »du erinnerst dich vielleicht, daß ich die Ehre hatte, dir zu sagen, der Palast, den du mit seinen unermeßlichen Reichtümern so sehr bewunderst, könne bloß ein Werk der Zauberei und eines Zauberers sein; allein du wolltest damals nicht auf mich achten.«
[100]Der Sultan, der dies nicht leugnen konnte, geriet in einen um so größeren Zorn, als sein früherer Unglauben offenbar am Tage lag. »Wo ist er,« rief er, »dieser Betrüger, dieser Schurke? Ich lasse ihm den Kopf abschlagen.« – »Herr,« antwortete der Großvezier, »man muß ihn fragen lassen, wo sein Palast hingekommen ist, denn er allein kann es wissen.« – »Das wäre zu viele Schonung für ihn,« entgegnete der Sultan; »geh und schicke dreißig von meinen Reitern ab, daß sie ihn in Ketten vor mich führen.« Der Großvezier überbrachte den Reitern den Befehl des Sultans und unterrichtete ihren Anführer, wie sie sich zu benehmen hätten, damit er ihnen nicht entwischen könne. Sie gingen ab und trafen Alaeddin fünf oder sechs Stunden von der Stadt auf dem Heimwege begriffen. Der Anführer ritt auf ihn zu und sagte ihm, der Sultan habe großes Verlangen, ihn wieder zu sehen, und deshalb habe er sie abgeschickt, um es ihm zu melden und ihn nach Hause zu begleiten.
Alaeddin hatte nicht die entfernteste Ahnung von dem wahren Grunde, warum diese Abteilung der Leibwache des Sultans zu ihm gekommen war, und ritt getrost weiter. Als er aber noch eine halbe Stunde von der Stadt entfernt war, umringte ihn die Reiterschar, und der Anführer derselben nahm das Wort und sagte zu ihm: »Prinz Alaeddin, mit großem Bedauern haben wir dir zu erklären, daß wir vom Sultan Befehl haben, dich zu verhaften und als Staatsverbrecher vor ihn zu führen; wir bitten dich, es nicht übel aufzunehmen, wenn wir jetzt unsere Pflicht erfüllen, und uns zu verzeihen.«
Alaeddin war äußerst überrascht, denn er fühlte sich unschuldig. Er fragte den Anführer, ob er wisse, welches Verbrechens er angeklagt sei; dieser aber antwortete, weder er noch seine Leute wüßten davon.
Da Alaeddin sah, daß seine Leute viel schwächer waren, als die Reiterschar, und ihn sogar verließen, so stieg er vom Pferde ab und sagte: »Hier bin ich, vollziehet euern Befehl. Übrigens kann ich versichern, daß ich mir keines Verbrechens bewußt bin, weder gegen die Person des Sultans, noch gegen den Staat.« Man warf ihm sogleich eine sehr dicke und lange Kette an den Hals und band ihn damit auch mitten um den Körper, so daß er die Arme nicht frei hatte. Der Anführer stellte sich nun[101] wieder an die Spitze des Zugs, einer der Reiter aber faßte das Ende der Kette und führte so, hinter dem Anführer hinreitend, Alaeddin, der zu Fuß folgen mußte, mit fort. In diesem Zustande wurde er in die Stadt gebracht.
Als die Reiter in die Vorstadt kamen und man Alaeddin als Staatsverbrecher daherführen sah, glaubte jedermann, es werde ihn den Kopf kosten. Da er aber allgemein beliebt war, so ergriffen die einen Säbel und andere Waffen, und die, welche keine hatten, bewaffneten sich mit Steinen und folgten den Reitern nach. Einige von den Hintersten schwenkten um und machten Miene, sie auseinanderzusprengen; allein die Volksmasse wurde so groß, daß die Reiter sich glücklich schätzten, wenn sie nur den Palast des Sultans erreichten, ohne daß Alaeddin ihnen entrissen wurde. So gelangten sie endlich an den Platz vor dem Palaste, wo sie sich alle in einer Linie aufstellten und gegen die bewaffnete Volksmasse Front machten, bis ihr Befehlshaber und der Reiter, welcher Alaeddin führte, in den Palast eingetreten waren und die Pförtner das Tor hinter ihm geschlossen hatten.
Alaeddin wurde sofort vor den Sultan geführt, der ihn mit dem Großvezier auf einem Balkon erwartete. Sobald er ihn sah, befahl er dem Scharfrichter ihm den Kopf abzuhauen, ohne daß er ihn anhören oder irgend einen Aufschluß von ihm haben wollte.
Der Scharfrichter bemächtigte sich Alaeddins, nahm ihm die Kette ab, breitete sofort ein Leder, das mit dem Blute von unzähligen Verbrechern befleckt war, auf den Boden, hieß ihn niederknieen und verband ihm die Augen. Hierauf zog er sein Schwert, holte weit aus, ließ es dreimal in der Luft blitzen und schickte sich an, den Todesstreich zu führen, indem er nur noch auf ein Zeichen vom Sultan wartete, um Alaeddin den Kopf abzuschlagen.
In diesem Augenblicke bemerkte der Großvezier, daß das Volk die Reiter überwältigt hatte und auf den Schloßplatz gedrungen war, ja sogar, daß einige die Mauern des Palastes an mehreren Stellen mit Leitern erstiegen und bereits anfingen, sie niederzureißen, um eine Öffnung zu machen. Er sagte daher zum Sultan, ehe er das Zeichen gab: »Herr, ich bitte dich, daß du den[102] Schritt, den du zu tun im Begriff bist, reiflich überlegen mögest. Du läufst Gefahr, deinen Palast erstürmt zu sehen, und wenn dies Unglück geschehe, so könnte es unheilbringende Folgen haben.« –
Als der Sultan die heftige Aufregung unter dem Volke sah, erschrak er dermaßen, daß er augenblicklich dem Scharfrichter den Befehl gab, sein Schwert wieder in die Scheide zu stecken, die Binde von Alaeddins Augen wegzunehmen und ihn freizulassen. Zugleich befahl er seinen Trabanten auszurufen, daß er Alaeddin Gnade schenke, und jedermann sich nun entfernen möge.
Als nun das Volk sah, daß der Sultan Alaeddin Gerechtigkeit widerfahren ließ und ihn begnadigte, entwaffnete sich sein Zorn, der Aufruhr hörte auf und es gingen alle einer nach dem andern nach Hause.
Sobald Alaeddin sich wieder in Freiheit sah, schaute er nach dem Balkon hinauf, und als er den Sultan bemerkte, so rief er ihm in rührendem Tone zu: »Herr, ich bitte dich, mir zu der bereits erwiesenen Gnade noch eine neue zu schenken und mich wissen zu lassen, was mein Verbrechen ist.« – »Was es ist, du Schurke!« erwiderte der Sultan; »weißt du es noch nicht? Komm einmal hier herauf, so will ich dir es zeigen.«
Alaeddin ging hinauf und trat vor den Sultan. Er führte ihn an den offenen Erker.
Alaeddin sah hinaus und erblickte den ganzen Platz, den sein Palast sonst eingenommen hatte, da er aber nicht begreifen konnte, wie er hatte verschwinden können, so machte ihn dieses seltsame und überraschende Ereignis so bestürzt, daß er dem Sultan kein einziges Wort erwidern konnte.
Der Sultan wiederholte voll Ungeduld die Frage: »Sag mir doch, wo der Palast und meine Tochter ist?« Endlich brach Alaeddin das Stillschweigen und sagte: »Herr, ich sehe wohl, daß der Palast, den ich erbauen ließ, verschwunden ist, kann dir aber nicht sagen, wo er sein mag. Nur so viel kann ich versichern, daß ich keinen Teil an diesem Ereignis habe.«
»Mir liegt nichts daran, was aus deinem Palaste geworden ist,« antwortete der Sultan. »Meine Tochter ist mir millionenmal lieber. Du mußt sie mir zurückgeben, sonst lasse ich dir den Kopf abschlagen.«
[103]»Herr,« antwortete Alaeddin, »ich flehe dich an, daß du mir vierzig Tage Frist gebest, um meine Maßregeln zu treffen, und gelingt es mir in dieser Zeit nicht, so gebe ich dir mein Wort, daß ich selbst meinen Kopf zu den Füßen deines Thrones niederlegen will, damit du nach Belieben darüber verfügest.« – »Ich bewillige dir diese Frist von vierzig Tagen,« erwiderte der Sultan; »aber glaube ja nicht, daß du meine Gnade mißbrauchen und meinem Zorn entfliehen könnest. In welchem Winkel der Erde du sein magst, ich werde dich zu finden wissen.«
Alaeddin ging mit gesenktem Haupte über die Höfe des Palastes und war so beschämt, daß er es nicht wagte, die Augen aufzuschlagen. Die vornehmsten Hofbeamten, von denen er keinen einzigen beleidigt hatte und die vorher seine Freunde gewesen, waren jetzt weit entfernt, sich ihm zu nähern oder ihm eine Zufluchtsstätte anzubieten; nein, sie kehrten ihm den Rücken, damit sie ihn nicht sehen mußten und er sie nicht erkennen möchte. Alaeddin kannte sich selbst nicht mehr und war seines Verstandes nimmer mächtig. Diejenigen, die in freundschaftlicher Verbindung oder sonst in einem Verkehr mit ihm gestanden hatten, wurden von wahrhaftem Mitleid ergriffen. Er blieb drei Tage in der Stadt, indem er sich bald nach dieser, bald nach jener Seite hin wendete und nichts aß, als was ihm mitleidige Menschen reichten, im übrigen aber keinen Entschluß faßte.
Endlich, da er in diesem elenden Zustande nicht länger in einer Stadt verweilen wollte, wo er früher den vornehmen Herrn gespielt hatte, entfernte er sich aus derselben und schlug den Weg nach dem Felde ein. Er vermied die großen Heerstraßen, und nachdem er in schrecklicher Ungewißheit mehrere Felder durchirrt hatte, kam er mit Anbruch der Nacht an das Ufer eines Flusses. Hier faßte er einen Gedanken der Verzweiflung. »Wo soll ich jetzt meinen Palast suchen?« sagte er bei sich selbst. »In welcher Provinz, in welchem Lande, in welchem Teile der Welt werde ich ihn und meine vielgeliebte Prinzessin wiederfinden, die der Sultan von mir fordert? Dies wird mir nie gelingen; deshalb ist es besser, ich befreie mich auf einmal von all diesen Mühseligkeiten und dem bittern Kummer, der mein Herz zerfrißt.« Schon hatte er den Entschluß gefaßt, sich in den Fluß zu werfen, doch glaubte er als guter und frommer Muselmann dies nicht[104] tun zu können, bevor er sein Gebet verrichtet hätte. Indem er sich nun dazu anschicken wollte, näherte er sich dem Rande des Wassers, um sich der Landessitte gemäß die Hände und das Gesicht zu waschen. Da aber die Stelle etwas abschüssig und naß war, so glitt er aus und wäre in den Fluß gefallen, wenn er sich nicht noch an einem kleinen Felsstück gehalten hätte, das etwa zwei Zoll hoch hervorragte. Glücklicherweise besaß er noch den Ring, den der afrikanische Zauberer ihm an den Finger gesteckt hatte. Diesen Ring rieb er ziemlich stark an dem Felsen, als er sich daran hielt, und augenblicklich stand derselbe Geist vor ihm, der ihm in dem unterirdischen Gewölbe erschienen war, wo der afrikanische Zauberer ihn eingesperrt hatte. »Was willst du?« sagte der Geist; »ich bin bereit, dir zu gehorchen als dein Sklave und als Sklave aller derer, die den Ring am Finger haben, sowohl ich, als die andern Sklaven des Ringes.«