Am andern Morgen stand Alaeddin in aller Frühe auf. Der afrikanische Zauberer bewillkommte ihn aufs freundlichste. »Wohlan, mein lieber Junge,« sagte er mit lächelnder Miene zu ihm, »heute werde ich dir schöne Sachen zeigen.« Er führte ihn zu einem Tore hinaus, an großen und schönen Häusern, an prächtigen Palästen vorüber, von denen jeder einen sehr schönen Garten hatte. Bei jedem Palaste, an dem sie vorbeikamen, fragte er Alaeddin, ob er ihm gefiele, und Alaeddin, der ihm gewöhnlich zuvorkam, sagte, sobald er wieder einen andern sah: »Ach! lieber Oheim, dieser ist noch viel schöner als alle bisherigen.« Indes gingen sie immer weiter, und der listige Zauberer, der dies nur tat, um den Plan, den er im Kopfe hatte, ausführen zu können, nahm Gelegenheit, in einen dieser Gärten zu treten. Er setzte sich neben ein großes Becken, in das durch einen bronzenen Löwenrachen kristallhelles Wasser sprudelte, und er stellte sich ermüdet, damit Alaeddin ebenfalls ausruhen sollte. »Lieber Neffe,« sagte er zu ihm, »du wirst ebenso müde sein, wie ich; laß uns hier ein wenig ausruhen, um neue Kräfte zu sammeln.«
Als sie sich gesetzt hatten, zog der afrikanische Zauberer Kuchen und Früchte hervor, die er als Mundvorrat mitgenommen hatte, und breitete sie auf dem Rande des Beckens aus. Er teilte einen Kuchen mit Alaeddin und ließ ihn Früchte wählen. Während dieses kleinen Mahles ermahnte er seinen angeblichen Neffen, sich von dem Umgange mit Kindern loszumachen, dagegen sich an kluge und verständige Männer anzuschließen, dieselben anzuhören und von ihren Unterhaltungen Nutzen zu ziehen. »Bald,« sagte er, »wirst du ein Mann sein, wie sie, und du kannst dich nicht früh genug daran gewöhnen, nach ihrem Beispiele verständige Reden zu führen.« Als sie die kleine Mahlzeit vollendet hatten, setzten sie ihren Spaziergang durch die Gärten fort, die bloß durch schmale Gräben getrennt waren. Unvermerkt führte der afrikanische Zauberer Alaeddin ziemlich weit über die Gärten hinaus und durchwandelte mit ihm die Ebene, die ihn allmählich in die Nähe der Berge leitete.
Alaeddin, der in seinem Leben nie einen so weiten Weg gemacht hatte, fühlte sich durch diesen Marsch sehr ermüdet und sagte: »Wohin gehen wir denn, lieber Oheim? Wir haben die Gärten schon weit hinter uns und ich sehe nichts mehr als Berge. Wenn wir noch länger so fortgehen, so weiß ich nicht, ob ich noch Kräfte genug haben werde, um in die Stadt zurückzukehren.« – »Nur den Mut nicht verloren,« antwortete der falsche Oheim; »ich will dir noch einen andern Garten zeigen, der alle, die du bis jetzt gesehen hast, weit übertrifft; er ist nur ein paar Schritte von da, und wenn wir einmal dort sind, so wirst du selbst sagen, daß es dir sehr leid gewesen wäre, wenn du ihn nicht gesehen hättest.« Alaeddin ließ sich überreden, und der Zauberer führte ihn noch sehr weit, indem er ihn mit verschiedenen anmutigen Geschichten unterhielt, um ihm den Weg weniger langweilig und die Ermüdung erträglicher zu machen.
Endlich gelangten sie zwischen zwei Berge von mittelmäßiger Höhe, die sich ziemlich gleich und nur durch ein schmales Tal getrennt waren. Dies war die merkwürdige Stelle, wohin der afrikanische Zauberer Alaeddin hatte bringen wollen, um einen[18] großen Plan mit ihm auszuführen, weshalb er von dem äußersten Ende Afrikas bis nach China gereist war. »Wir sind jetzt an Ort und Stelle,« sagte er zu Alaeddin; »ich werde dir hier außerordentliche Dinge zeigen, die allen übrigen Sterblichen unbekannt sind. Während ich jetzt mit dem Stahl Feuer schlage, häufe du hier trockenes Reisig zusammen, damit wir ein Feuer anmachen.«
Als das Reisig aufloderte, warf der afrikanische Zauberer Räucherwerk hinein. Dicker Rauch stieg empor, den er bald auf diese, bald auf jene Seite wendete, indem er allerlei Zauberworte sprach, von denen Alaeddin nichts verstand.
In diesem Augenblick erbebte die Erde ein wenig, öffnete sich vor dem Zauberer und Alaeddin, und ließ einen Stein hervorscheinen, mit einem in der Mitte versiegelten bronzenen Ringe, um ihn daran heraufzuheben. Alaeddin erschrak und wollte die Flucht ergreifen. Allein er war zu dieser geheimnisvollen Handlung notwendig, darum hielt ihn der Zauberer zurück, zankte ihn tüchtig aus und gab ihm eine so derbe Ohrfeige, daß er zu Boden fiel. Zitternd rief er: »Mein Oheim, was habe ich denn getan, daß du mich so grausam schlägst?« »Ich bin dein Oheim, der jetzt Vaterstelle an dir vertritt, und du darfst mir in nichts widersprechen. Aber,« sagte der Zauberer, »fürchte dich nicht, mein Sohn; ich verlange nur, daß du mir gehorchst, wofern du dich der großen Vorteile, die ich dir zudenke, würdig machen und sie nutzen willst.« Diese schönen Versprechungen des Zauberers beruhigten den ängstlichen und erzürnten Alaeddin ein wenig. »Du hast gesehen,« fuhr der Zauberer fort, »was ich durch die Kraft meines Rauchwerks und die Worte, die ich sprach, bewirkt habe. Vernimm jetzt, daß unter diesem Steine ein Schatz verborgen liegt, der für dich bestimmt ist und dich dereinst reicher machen wird, als die größten Könige der Welt. Dies ist so gewiß wahr, daß keinem Menschen auf der ganzen Welt außer dir erlaubt ist, diesen Stein anzurühren oder wegzuheben, um hinein zu gelangen. Ja ich selbst darf ihn nicht berühren oder auch nur einen Fuß in dieses Schatzgewölbe setzen, wenn es geöffnet sein wird. Deshalb mußt du genau ausführen, was ich dir sage.«
Alaeddin, immer noch voll Verwunderung, vergaß alles, was vorgefallen war. »Nun gut, lieber Oheim,« sagte er, »was soll[19] ich tun? Befiehl nur, ich bin bereit zu gehorchen.« – »Komm her,« sagte der afrikanische Zauberer, »fasse diesen Ring an und hebe den Stein in die Höhe.« – »Aber Oheim,« erwiderte Alaeddin, »ich bin zu schwach, um ihn zu heben: du mußt mir helfen.« – »Nein,« versetzte der afrikanische Zauberer, »du bedarfst meiner Hilfe nicht; du mußt ihn allein aufheben. Sprich nur den Namen deines Vaters und deines Großvaters, wenn du den Ring in die Hand nimmst.« Alaeddin tat, wie der Zauberer gesagt hatte, hob den Stein mit Leichtigkeit auf und legte ihn beiseite.