Von den ersten Micky-Maus-Heften, die am 29. August 1951 in Deutschland erschienen, musste die Hälfte an Kinder verschenkt werden. Bald waren Eltern und Lehrer entsetzt über Micky, Donald und Co., und die Kinder waren begeistert.
Heute ist das kaum noch zu glauben: Es gab einmal eine Zeit, die hieß die 80er-Jahre, da stand der Ausdruck "Micky-Maus-Heftchen-Lesen" noch sprichwörtlich für: "keiner sinnvollen Tätigkeit nachgehen". Ganz alltäglich war der Satz vieler Mütter an ihre lieben Kleinen: "Liest Du mal wieder Micky Maus-Heftchen, statt Deine Hausaufgaben zu machen?" Obwohl, so viele Micky Maus-Heftchen lasen die Kinder der Achtziger gar nicht. Die haben viel lieber am Computer gespielt. Doch diese Kisten waren noch so neu in den Kinderzimmern, dass die Eltern noch gar nicht genug Zeit gehabt hatten, da Vorurteile aufzubauen. Bei Micky Maus war das anders: Die bunten Heftchen existierten schon lange!
Als allerdings am 29. August 1951 das allererste Micky Maus-Heft im eigens für den deutschen Markt gegründeten Ehapa-Verlag erschien, gab es wohl noch kein Kind, das von seinen Eltern derart gemaßregelt wurde. Schon allein deswegen, weil die kleinen Racker noch gar nicht so heiß auf die vollkommen in Farbe gedruckten Heftchen waren: Von der ersten Ausgabe wurde nur die Hälfte der Auflage am Kiosk verkauft. Um die heranwachsende Generation trotzdem zu infizieren, wurden die restlichen Hefte umsonst an Schulkinder verteilt. Glücklich zu schätzen ist jenes Kind, das dieses Geschenk bis heute behalten hat; denn ein gut erhaltenes Exemplar dieses Papierkonglomerats geht bei Ebay schon mal gern für sage und schreibe 6.000 Euro - über den Internetladentisch. Was für eine Wertsteigerung! Und da soll mal einer sagen, Micky-Maus-Heftchen-Lesen sei von keinem Wert!
Inhaltlich zollen die Micky-Maus-Comics der kapitalistischen Erziehung allerdings keinen Tribut: Klar, da ist Dagobert Duck, der reichste Mann - tschuldigung: die reichste Ente der Welt, die eigens das alte Schloss von Entenhausen abreißen ließ, um auf der exponiertesten Stelle des Städtchens seine private Goldbadeanstalt zu errichten. Doch ist er deswegen ein Held? Nein, ganz im Gegenteil: Ein geiziges Ekel ist er, der nur Augen für sein Geld hat. Der wirkliche Held ist auch nicht Micky Maus: Der ist schon wieder zu cool und irgendwie auch zu androgyn! Nein, die wahren Fans zittern und fühlen mit Donald Duck, Dagoberts Neffen: dem ewigen Verlierer.
Schon im allerersten deutschen Micky Maus-Heftchen versucht er seinen eigenen Neffen Tick, Trick und Track - damals noch Rip, Rap und Rup - zehn Mark abzuluchsen, damit er sie seiner Angebeteten Daisy für wohltätige Zwecke schenken kann! Ja, so sehen Helden aus: Gewitzt, verwegen und doch auch kleine Gauner - und alles nur der Liebe wegen. Das ist Größe, das ist echt! Und über jedes Gemecker von Eltern erhaben.
Doch inzwischen hat sich das ohnehin alles geändert: Micky Maus-Comics zählen auch in Deutschland zum Kulturgut - dank der Übersetzungen von Erika Fuchs. Die promovierte Kunstgeschichtlerin legte Donald, Micky und Co. Zitate von Schiller und anderen deutschen Klassikern in den Mund. Und erfand ganz nebenbei Sätze wie "Dem Ingeniör ist nichts zu schwör!" - inzwischen längst tief im allgemeinen Wortschatz verankert.
Die Vereinigung der "Donaldisten", 1976 in Hamburg gegründet, veranstaltet jährliche Expertentreffen zu Themen wie "Die Auswirkungen des Permutations-Syndroms auf die Lebensqualität in Entenhausen" oder "Die Panzerknacker AG - Mythos und Wirklichkeit". Wo hier Micky-Maus-Heftchen-Lesen aufhört und Hausaufgaben machen beginnt, das kann wohl keiner mehr genau sagen!