Die Falschheit der Bussi-Bussi-Gesellschaft am Hof von Versailles ging Molière auf die Nerven. Doch wie konnte man ihr entkommen? Am 4. Juni 1666 hatte seine Komödie "Der Menschenfeind" Premiere.
Was wäre ein strahlender Münchner Sommertag ohne Biergärten? Und was wäre ein angesagter Münchner-Biergarten ohne Münchner Schickeria? Das Haar goldig gesträhnt, die Haut gebräunt wie ein krosses Händl, genießen die Schickimickis die warmen Sonnenstrahlen und warten auf ihr nächstes Opfer. "Da ist die 'Soundso'! Mei ist die fett geworden!" Doch sobald sich das Opfer ahnungslos nähert, fliegen ihm statt der eben geäußerten kritischen Worte schon die Bussis um die Ohrwatscheln. "Bussi, Bussi ... mei, gut schaust aus!" So sans halt die Münchner.
Ein Grantler aus Frankreich
Könnt man meinen. Aber es gibt auch einen anderen Prototyp des Münchners: den Grantler. Während die Schickimickis sich in der Abendsonne aalen, sitzt er einsam mit seinem Radi im hintersten Schattenwinkel des Biergartens, zischt eine Maß nach der anderen und schimpft auf die Schlechtigkeit der Menschen und die Falschheit der Bussis. Der Grantler sollte indes seine Abende nicht im Biergarten verbringen, sondern lieber im Theater. Dort trifft er unter Umständen auf einen Seelenverwandten namens Alceste, der in Frankreich, dem Mutterland der Bussis, lebt und sozusagen ein "Grantler comme il faut" ist.
Alceste hat die falschen Schleimereien seiner adligen Freunde satt. Er will sich nicht mit den anderen Höflingen im Licht des Sonnenkönigs aalen, wenn er dafür auf seine Integrität verzichten muss. Da bleibt er lieber einsam im Schatten und geigt jedem die Meinung, der sie nicht hören will. Auch seiner koketten Geliebten Célimène. Die findet dieses Verhalten freilich ungalant, aber die moralische Verbohrtheit ihres Verehrers irgendwie auch süß. Und Alceste wiederum findet Célimènes Augenaufschlag so süß, dass er ihr jede böse Lästerei und jedes falsche Bussi verzeiht ... Molière, der geistige Vater von Alceste und Célimène, konnte dagegen vielen Leuten am Hof des Sonnenkönigs ihr falsches Verhalten wohl nicht verzeihen.
Allein unter Hofschranzen
Am 4. Juni 1666 feierte sein Stück "Der Menschenfeind oder der griesgrämige Verliebte" Uraufführung. Vielleicht lugte Molière kurz vor Beginn heimlich in den Zuschauerraum, um sich am Anblick der ahnungslosen Hofschranzen zu erfreuen, denen er gleich seine beißende Gesellschaftskritik um die gepuderten Ohren knallen würde. All diese Wichtigtuer, die sich gegenseitig schön taten und sich hinterrücks verleumdeten. All diese aufgeblasenen Affen mit ihren verlausten Perücken und überschminkten Posaunenengel-Köpfen, die meinten, etwas Besseres zu sein, als er, der kleine Theaterkünstler. Dabei besaß er Bildung! Ja sogar ein Jurastudium, wie heutige Forscher vermuten.
Aber was noch viel wichtiger war: Molière besaß Humor. Auch wenn er, wie oft angenommen wird, selbst dieser Alceste war, dieser Grantler und Menschenfeind, so hatte er dennoch eine gehörige Portion Selbstironie. Denn auch Alceste, der von einem Leben fernab der Gesellschaft träumt, ist nicht frei von Eitelkeit und Selbstüberschätzung, die beim Publikum für Lacher sorgen. Und am Ende muss er erkennen, dass seine Geliebte Célimène, obwohl Opfer eines Skandals geworden, keine Lust hat, mit ihm zusammen ein Dasein als Einsiedlerpaar zu fristen.
So bleibt Alceste scheinbar nur die völlige Einsamkeit, vor der er sich insgeheim wohl doch fürchtet. Denn im Grunde wünscht er sich, wie alle grantigen Menschenfeinde, nur eins: dass einer seinen Sonnenplatz aufgibt, sich neben ihn in den hintersten schattigen Winkel setzt, ihm ein ganz und gar ernst gemeintes Bussi auf die Backe drückt und sagt: Mei, gut schaust aus!