Valerie Solanas wollte Schriftstellerin werden, aber nichts ging voran. Alle waren schuld und Andy Warhol auch. Am 3. Juni 1968 feuerte Solanas drei Kugeln auf Warhol ab.
Valerie Solanas war unzufrieden. Sie war sehr unzufrieden, wie die Dinge in ihrem Land liefen. Sie war unzufrieden mit dem Wirtschaftssystem. Mit ihrer eigenen Leben war Valerie auch unzufrieden: Arbeitslos und wohnungslos hielt sie sich mit Prostitution über Wasser. Und Valerie war auch unzufrieden mit den Männern. Nicht nur mit den Freiern; mit allen Männern. Außerdem war sie auch unzufrieden mit sich selbst.
Eigentlich wollte sie doch Schriftstellerin werden. Und dafür war sie doch extra nach Greenwich Village gezogen, in den Stadtteil von New York, in dem gerade jetzt, 1968, mehr als irgendwo sonst auf der Welt die Kunstszene zuhause war. Und war sie nicht sogar mit Andy Warhol befreundet, der Ikone der Kunstszene? Und ging nicht gerade der Frühling in den Sommer über?
Männer sind wandelnde Fehlgeburten
Dann - der 3. Juni 1968: Die Sonne schien über Greenwich Village. Und Valerie Solanas war unzufrieden. Selbst mit Andy Warhol war sie unzufrieden. Äußerst unzufrieden! Nur so lässt sich erklären, dass sie an diesem 3. Juni, nachmittags um viertel nach vier aus unmittelbarer Nähe drei Schüsse auf Warhol abfeuerte: Die ersten beiden Kugeln verfehlten ihn, die Dritte nicht. Sie durchdrang Warhols Lungenflügel, seinen Magen, seine Leber, die Milz und seine Speiseröhre. Doch auch damit war Valerie Solanas unzufrieden. Als sie später gefragt wurde, ob sie das Attentat bereue, meinte sie schlicht: Sie bereue lediglich, dass sie vorher keine Zielübungen gemacht hatte!
Auf die Frage, welches Motiv sie hatte, verwies sie auf ihr Manifest "SCUM", das sie in den Straßen von New York verkaufte. Grundgedanke darin: Der Mann ist ein totaler Egozentriker, unfähig zu Liebe und Freundschaft, eine wandelnde Fehlgeburt. Deshalb muss das männliche Geschlecht vernichtet werden. Am besten gehen die Männer selbst um die Ecke zum nächsten Selbstmordcenter, wo sie unauffällig, schnell und schmerzlos vergast werden. Später ist von verschiedenen Theoretikern darauf hingewiesen worden, das Manifest sei eine Parodie auf männliche Machtphantasien und Freuds patriarchalische Psychologie. Doch Solanas bestand immer auf die Ernsthaftigkeit ihres Plans. Nur, wenn dem tatsächlich so sein sollte, warum dann mit Andy Warhol beginnen, der damals wohl eine der androgynsten Figuren des öffentlichen Lebens war? Warum nicht zum Beispiel mit dem Macho John Wayne?
Warum nicht John Wayne?
Die einfache Antwort: Valerie Solanas war mit Warhol schlichtweg unzufriedener als mit John Wayne. Solanas hatte Warhol nämlich ein Manuskript zu einem Theaterstück gegeben, und er hat es schlichtweg verschlampt! Verschlampt! Das war Pech für Warhol! Da half es auch nichts, dass er im Prozess gegen sie nicht aussagte. Als sie schon drei Jahre später wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, terrorisierte sie Warhol immer noch mit Telefonanrufen und Morddrohungen. Wie gesagt: Valerie Solanas war unzufrieden: Mit der Welt. Mit sich. Mit Andy Warhol.
Doch letztlich hat sie es Warhol - oder besser gesagt: den 3 Schüssen auf ihn - zu verdanken, dass ihr SCUM-Manifest veröffentlicht wurde: Zwei Monate nach dem Attentat brachte es der Verleger Maurice Girodias heraus. Doch auch mit ihm war sie unzufrieden: Denn eigentlich waren die drei Kugeln, die sie auf Warhol abfeuerte, für ihn bestimmt gewesen. Doch Girodias war am 3. Juni im Urlaub und konnte somit kein Übungsziel für die unzufriedene Valerie abgeben.