Auf die Katastrophe des Ersten Weltkriegs antwortet Karl Kraus mit der bitterbösen Realsatire "Die letzten Tage der Menschheit“. "Ich habe gemalt, was sie nur taten; die grellsten Erfindungen sind Zitate." Autorin: Justina Schreiber
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Die Gasangriffe, der zähe Stellungskampf - was sie nicht sofort tötete, zermürbte die Soldaten. Und daheim hungerten die Familien. Die Lage war letztlich hoffnungslos. Aber für die beiden hauptverbündeten Mittelmächte, das deutsche und das österreichisch-ungarische Kaiserreich, gab es kein Zurück. Das Verheizen von Menschen und Material ging weiter; unterstützt von einem Propagandaapparat, den heuchlerische Kriegsberichterstatter und andere Claqueure mit einseitigen Berichten fütterten. Kritischere Texte verhinderte die Zensur.
Im Frevel geeint
Deshalb konnte der österreichische Satiriker Karl Kraus seine bitterböse Abrechnung auch erst nach dem Waffenstillstand veröffentlichen. Aber immerhin gleich vier Wochen später, am 13. Dezember 1918, brachte er den Epilog als ersten Teil seiner monumentalen Antikriegstragödie "Die letzten Tage der Menschheit" in einer Sondernummer seiner Zeitschrift "Die Fackel" heraus. So eilig hatte er es, diesen apokalyptischen Abgesang, der zu großen Teilen heute noch aktuell wirkt, unter die Leute zu bringen. Es ihnen endlich um die Ohren zu hauen, was er von ihnen hielt, von den Mächtigen, die "mit Munition regieren", von den Fabrikanten, die vom Sterben profitieren, von den Kriegstreibern und Höflingen, die die "Sprache durch ihr Sprechen beschmutzen", von all den Händlern, Helden und Bombenwerfern. Hüben wie drüben hätten sie – so lässt er eine "Stimme von Oben" predigen - "im Frevel geeint, von Süden bis Norden / den Geist nur verwendet, um Leiber zu morden / und einverständlich von Osten bis Westen / die Luft mit Rache und Rauch zu verpesten".
Karl Kraus entwarf ein fast visionäres Szenarium. Ein letztes Mal treten die zynischsten aller Subjekte auf: Journalisten schießen Fotos anstatt Sterbenden zu helfen; fliehende Generäle holpern mit dem Automobil über Leichen; und ein Ingenieur namens Abendrot präsentiert stolz seine neueste Erfindung: per Knopfdruck tötet er geräuschlos Tausende von Soldaten. Am Horizont erscheinen Flammenwände und später, als das Inferno einsetzt, das die Erde und ihre Bewohner komplett zerstören wird, regnet es Blut und Asche. Der Mars schickt ein Meteoritenbombardement samt Weltendonner.
"Ich habe es nicht gewollt"
Was für eine Herausforderung für Regie und Bühnenbild! Aber das war nicht das Problem des Verfassers. Vielmehr knabberte Karl Kraus an der Frage, wer genau für den Terror und Horror auf den Schlachtfeldern verantwortlich zu machen wäre. Lange dachte er: das jüdische Großbürgertum, speziell Kapital und Presse, und noch spezieller der "Antichrist" Moriz Benedikt, seines Zeichens Chefredakteur der Neuen Freien Presse in Wien. Aber in dem Epilog, den er im Sommer 1917 schrieb, modifizierte Kraus (übrigens selbst zum Katholizismus konvertierter Jude) erstmals seine antisemitischen Attacken. Nicht der Jude als solcher, sondern die Menschheit an sich sei schuldig. Denn gibt es neben den Großkotzigen nicht unzählige schweigende Kleingeister, die die Katastrophe nicht verhinderten?
Der Autor selbst spielte natürlich eine Sonderrolle. Während Millionen jubelten und / oder starben, dokumentierte er ja den Aberwitz des Krieges für seine in der Tat einzigartige Tragödie von den "letzten Tagen der Menschheit". Bei der Uraufführung des Epilogs sprach Karl Kraus denn auch den allerletzten Satz, mit dem Gott das Drama höchstpersönlich abschließt, indem er Wilhelm II., den deutschen Kaiser, zitiert, der seine Hände so verlogen in Unschuld wusch: "Ich habe es nicht gewollt." So klingt bitterböse Ironie!