Fortschritt: um 1900 wird das Dröhnend der Motoren lauter, die Fahrzeuge werden schneller, und erstmals wird das Auto integraler Bestandteil eines Verbrechens. Autor: Thomas Grasberger
Der Fortschritt hat wohl immer zwei Seiten – eine strahlende und eine eher dunkle. Nehmen wir das Paris um 1900. Eine pulsierende Stadt, lebendig, laut, ziemlich schmutzig, aber auch recht innovativ – wie die 48 Millionen Besucher der fünften Weltausstellung erleben durften. Entlang der Seine reihten sich 50 Pavillons und 80.000 Stände, alle großen Nationen waren bei der Leistungsschau in der französischen Metropole vertreten. Und allerlei Spektakel war geboten. Zum Beispiel ein Riesenrad mit einem Durchmesser von 100 Metern. Oder der "Rollsteig" – ein laut ratterndes hölzernes Band – auf dem die Besucher stehend das Zentrum der Ausstellung umrunden konnten. Und der eindrucksvolle Eiffelturm war natürlich auch noch da, als eisernes Überbleibsel der letzten Pariser Weltausstellung, elf Jahre zuvor.
Fortschritt
Freilich, auch die Kehrseite war im Jahr 1900 kaum zu übersehen. Elendsquartiere, Armutsprostitution und jede Menge Kriminalität gab es in Paris. Verbrechen war ein florierendes Gewerbe, das sich, wie alle anderen Gewerbe im Kapitalismus auch, am technologischen Fortschritt zu orientieren hatte, um nicht abgehängt zu werden.
Als Inbegriff des Fortschritts aber galt damals das Automobil. Und das wurde immer schneller. So brauchte 1901 der Sieger für das Rennen von Paris nach Bordeaux nur mehr 6 Stunden und 10 Minuten. Die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 85 km/h. Drei Jahre zuvor waren es noch 38 km/h gewesen. Eine rasante Entwicklung! Und so war‘s nur eine Frage der Zeit, bis auch die Unterwelt die Vorzüge dieser technologischen Neuerung nutzen sollte.
Am 27. Oktober 1901 war es so weit: In Neuilly-sur-Seine, einem westlichen Vorort von Paris, wurde Kriminalgeschichte geschrieben. Der weltweit erste Einbruch, bei dem ein Auto Verwendung fand. Passenderweise wurde in eine Autowerkstatt eingebrochen, wie man zwei Tage später der französischen Tageszeitung Le Matin entnehmen konnte.
Ein Meilenstein der Kriminalgeschichte
In jener Nacht von Samstag auf Sonntag, zwischen zwei und drei Uhr morgens, hatte ein Automobil an der Ecke der Avenue du Roule und der Rue de Sablonville angehalten. 20 Minuten lang hörten die Nachbarn den Motorenlärm – dann verschwand das Fahrzeug wieder. Als der arme Herr Barriquand, einer der beiden Eigentümer, am nächsten Tag seine Werkstatt aufsperrte, musste er erkennen, dass er beraubt worden war. Die Diebe hatten das Tor aufgebrochen und dann kräftig ausgeräumt. Zwei Kupfer-Scheinwerfer, zwei Laternen, vier Platinrohre, ein Spannungsmessgerät, 64 amerikanische Bohrer und eine große Anzahl von Zündkerzen. Gesamtwert: an die 1500 Francs. Auch die Kassenschublade brachen die Täter auf, aber sie enthielt nur Briefmarken ... die haben sie natürlich auch mitgenommen. Klar, wenn man schon mal da ist und obendrein ein Auto dabei hat …