Die Arbeit der Fruchtbringer erstreckte sich nicht nur auf Verdeutschungsversuche von Fremdwörtern, sondern beinhaltete auch Grammatik, Lexikographie und Dichtung, Sprach- und Literaturkritik, Geschichtsschreibung, kunstvolle Prosa und Übersetzungen. Autor: Martin Trauner
"Lol". - Nie gehört? Klingt wie Chinesisch? - Kein Wunder, das Wort ist der Jugend vorbehalten. Aus dem Englischen "Laughing out loud" entstand das Akronym lol. Selten so gelacht. "Akronym"? Ist auch nicht mehr ganz so geläufig? Akronym kommt aus dem Griechischen und heißt, na ja, man nimmt halt die Anfangsbuchstaben und kreiert daraus ein neues Wort. Kreiert? Ja, wieder so ein Fremdwort. Kommt aus dem Lateinischen und ... Genug damit. Unsere ganze Sprache scheint durchsetzt mit allerlei Fremdwörtern, die wir selbst schon kaum verstehen und noch schlimmer wird's, wenn wir ein vermeintliches Fremdwort auch noch falsch benutzen. Zum Beispiel "Public Viewing": Wir schauen beim Public Viewing Fußball an, der Amerikaner schaut sich beim Public Viewing die tote Oma an. "Public Viewing" bedeutet nämlich nichts anderes als das Ausstellen eines aufgebahrten Leichnams.
Public Viewing 1617
Das Kreuz mit den fremden Worten ist wahrlich kein Privileg moderner Zeiten. Schon Anfang des 17. Jahrhunderts kritisierten deutsche Gelehrte ihre "alamodischen" Landsleute: "Ihr wollet die edle Sprache, die euch angeboren, sogar nicht in Obacht nehmen?" Und den Gelehrten schwante schlimmes: Sprachverfall ist Sittenverfall! Dagegen muss man etwas tun. Nur was? - Da traf es sich gut, dass die wichtigsten protestantischen Fürsten und Adeligen, also die Gelehrten ihrer Zeit, am 24. August 1617 zu einem "Public Viewing" zusammen kamen. Public Viewing? Ja, hier stimmt der Begriff tatsächlich. Man traf sich bei einer Leichenschau.
Ludwig von Köthens Schwester war beim Spazierritt vom Pferd gefallen und hatte den Sturz nicht überlebt. Also rief man alle Verwandten und Bekannten zum schwesterlichen Schloss nach Weimar, um der Toten die letzte Ehre zu erweisen. Ludwig, wie der Name schon sagt, kam aus Köthen und: er kam zu spät. Als er in Weimar eintraf, war die Schwester schon unter der Erde. Also fand man sich zu einem verspäteten Leichenschmaus ein und debattierte, äh: Entschuldigung, "erörterte" die Unbill der Zeit: die fremden Einflüsse auf die deutsche Sprache.
Eine fruchtbringende Gesellschaft
Flugs gründet man unter dem Vorsitz von Ludwig eine Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der man die Muttersprache Deutsch pflegt und hegt, redet und schreibet. Und man findet einen hintersinnigen Namen für den Verein, man nennt sich die "fruchtbringende Gesellschaft". Fruchtbringend? Ja, das ist eine Übersetzung aus dem Lateinischen, fruchtbringend heißt "germinans" und das klingt doch irgendwie nach germanisch, nach Deutsch. Aber halt nur im Lateinischen...
Gut sechs Jahrzehnte waren der fruchtbringenden Gesellschaft vergönnt. Bei den heiteren Zusammenkünften versuchten die gelehrigen adeligen Männer die Flut der Fremdwörter mit dem passenden deutschen Ausdruck einzudämmen. Ob ihnen Erfolg beschieden war? Darüber rätselt die Forschung bis heute. Aber man hat herausgefunden, dass die ehrenwerten Mitglieder viel brieflich korrespondierten, und das gerne auf Französisch.