Absurd und unwahrscheinlich, doch das explosionsartige Austreten von Fäulnisgasen hat diesen Wal gesprengt. Autorin: Jennifer Güzel
Blut und Schleim kleben an den Häuserfassaden. Die gallertige Masse läuft an Schaufensterscheiben herunter, bedeckt die Gehwege, tropft von Schildern und parkenden Autos. Auf der Straße sammeln sich stinkende Pfützen, die Masse schiebt sich träge die Rinnsteine entlang, immer wieder aufgestaut durch Berge von Eingeweiden. Gigantische Eingeweide, die die Detonation in alle Richtungen geschleudert hat. Wer sich in der Flugbahn von Körpersäften und Gewebefetzen befunden hat, der trieft ebenfalls. Keine Verletzten. Gottseidank. Aber: "Eine Riesen-Sauerei", meint einer der Passanten knapp einer der Passanten. Alle Umstehenden halten den Atem an. Schockiert… nein, das ist es nicht, nicht allein: "Diesen Geruch vergesse ich mein Leben lang nicht!", presst ein anderer hervor. Ja, es hängt ein beißender, bestialischer, infernalischer Gestank über der Straße, haftet an allem und jedem Besudelten.
Da bläst er!
Montag, der 26. Januar 2004, 6 Uhr 30. Die Ximen Straße, eine belebte Geschäftsstraße in der Innenstadt von Tainan, ist bereits von tätigem Treiben erfüllt, als das Ungetüm erscheint. Ein Pottwal - 18 Meter lang, 60 Tonnen schwer - schiebt sich durch den Verkehr - tot und auf die Ladefläche eines viel zu kleinen Sattelschleppers geschnallt - und explodiert. Bummm.
In der nationalen und internationalen Presse, vor allem aber im Internet explodieren in den folgenden Tagen Spekulationen und Verschwörungstheorien: War es ein terroristischer Anschlag? Hat Taiwan biologische Massenvernichtungswaffen entwickelt?
Professor Wang, der Paria
Tatsächlich ist Folgendes geschehen: besagter Pottwalbulle verendete gestrandet an der Südwestküste von Taiwan. Einige Tage später erhielt Professor Wang Jiann-pyng, Pionier und Koryphäe auf dem Gebiet der Walanatomieforschung, einen Anruf und eilte herbei, um das Tier zu bergen und einer Autopsie zu unterziehen.
Es dauert zwei weitere Tage, bis der Koloss endlich auf den Sattelschlepper gehievt und zur Cheng-Kung-Nationaluniversität, der Wirkungsstätte von Professor Wang, unterwegs ist. Der Kadaver hatte also etwa eine Woche am Strand gelegen und war in dieser Zeit - im Zuge innerer Fäulnisprozesse - zu einem mit ranzigem Tran, Buttersäure, Ammoniak und Schwefelwasserstoff gefüllten Pottwal-Ballon mutiert. Ein bisschen Rütteln und "puff" - "Bio-Detonation".
Professor Wang krempelte also die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit. Zusammen mit einem 60-köpfigen Team aus Wissenschaftlern und Freiwilligen benötigte er 10 Tage, bis auch der letzte Fetzen des Walkadavers aufgelesen war. Auf dem Uni-Campus wird der Professor zum Paria: Ihm haftet ein so fürchterlicher Gestank an, dass Studenten und Kollegen einen weiten Bogen um ihn machen. "Es war schon immer schwer für mich, Anhänger zu finden", kommentiert Wang achselzuckend.