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Eine Gruppe Austauschstudierender aus Shandong, China ist zu Gast bei Felix Senner vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Mit ihm sprechen sie über die Aufgaben und Schwierigkeiten eines Studierendenvertreters als Vermittler zwischen Studierenden und der Universitätsleitung. Ein wichtiges Thema in diesem Interview sind auch die Studiengebühren sowie die Studentenproteste.
Zusammenfassung:
Eine Gruppe Austauschstudierender aus Shandong (China) ist zu Gast bei Felix Senner vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Mit ihm sprechen sie über die Aufgaben und Schwierigkeiten eines Studentenvertreters als Vermittler zwischen Studierenden und der Universitätsleitung. Ein wichtiges Thema in diesem Interview stellen auch die Studiengebühren sowie die Studentenproteste dar.
Interviewer: Hallo, wir sind Austauschstudierende aus China. Für unsere Projektgruppe führen wir
verschiedene Interviews zum Thema „Bildung“. Heute sind wir zu Gast bei Felix
Senner, dem Studentenvertreter des Allgemeinen Studierendenausschusses, kurz
AStA Augsburg. Mit ihm sprechen wir über die Aufgaben und Schwierigkeiten eines
Studentenvertreters als Vermittler zwischen Studierenden und Hochschule.
Guten Tag Herr Senner, können wir jetzt mit unserer ersten Frage anfangen?
Felix Senner: Ja, können wir.
Interviewer: Seit wann sind sie Studentenvertreter der Uni Augsburg?
Felix Senner: Also das bin ich jetzt schon seit zwei Jahren. Momentan bin ich der
Studierendenvertreter in der erweiterten Universitätsleitung, davor war ich der erste
Fachbereichsrat der philosophisch-historischen Fakultät und zuvor war ich in der
Fachschaft Humanistik. Also schon seit vielen jahren und seit zwei Jahren bin ich
gewählter Vertreter
Interviewer: Welche Tätigkeit üben Sie täglich aus?
Felix Senner: Ich führe sehr viele Gespräche täglich um Sitzungen vorzubereiten, ich lese mich in
Gesetzestexte ein, beantworte Emails, lese Emails und informiere mich so über das
politische Geschehen – genau, das sind eigentlich meine Tätigkeiten und an Tagen, an
denen Sitzungen sind, ist eigentlich die Sitzung meine Hauptaufgabe, weil die dauert
drei bis vier Stunden lang.
Interviewer: Wenn Sie in AStA mitmachen, haben Sie sicherlich viele Aufgaben zu erledigen. Gibt
es Konflikte zwischen Ihrem Studium und Ihrer Arbeit in der AStA?
Felix Senner: Ja auf jeden Fall. Ich bin unter der Woche jeden Tag mindestens 10 Stunden an der
Uni und am Wochenende auch manchmal mehr und es beansprucht beides sehr viel
Zeit. Das heißt man muss Prioritäten setzen; manchmal einen ganzen Tag fürs
Studium aufwenden, manchmal einen ganzen Tag für Hochschulpolitik und schauen
das beides ein schönes Gleichgewicht hat. Sonst kommt man im Studium nicht weiter,
oder man kommt in der Hochschulpolitik nicht weiter.
Interviewer: Wenn die AStA Forderungen an die Universität stellt, gibt es Möglichkeiten diese
Forderungen durchzusetzen?
Felix Senner: Also wenn die in den Gremien der Universität nicht abestimmt werden, dort also kein
Gehör finden, dann gibt es eigentlich kein anderes Mittel. Man kann vielleicht über
den Landtag – es kommt auf die Forderungen auch an – aber in der Regel haben wir
eine Mitbestimmung in den Gremien, die verschieden stark ausfällt und da ein Antrag
nicht abgestimmt wird, also nicht verabschiedet wird, dann findet das auch nicht statt.
Interviewer: Als Studentenvertreter vermitteln Sie zwischen den Forderungen der Studenten und
der Universität. Nach welcher Weise beurteilen Sie, welche Forderungen zumutbar
sind?
Felix Senner: Also hauptsächlich ist das so – das hat mehrere Funktionen –zuerst ist das natürlich
so, dass ich durch meine Wahl von vielen Studierenden – die haben mir praktisch
zugetraut, dass ich eine gewisse Entscheidungskompetenz habe bzgl. der Themen, die
für die Studenten eine gewisse Akzeptanz haben und den Themen, die für die
Studenten keine Relevanz haben, aber damit ich da nicht alles alleine entscheide, rede
ich natürlich ständig mit anderen Studierendenvertretern oder Studierenden, die
vielleicht nicht in irgendwelchen Gremien sitzen um herauszuhören: Was ist
gewünscht? Was will man? Aber natürlich muss ich letztendlich selber entscheiden,
wofür ich in den Gremien einstehen möchte und wofür nicht. Im Endeffekt ist die
letzte Entscheidung als immer eine Persönliche: Wofür will man stehen und wofür will
man nicht stehen?
Interviewer: Nach Ihrer Meinung, was für eine Kommunikationsweise funktioniert am besten, um
die Konflikte zwischen den Studenten und der Universität zu klären?
Felix Senner: Am besten ist immer das direkte Gespräch zu suchen, weil wenn man viel über Emails
macht, geht viel von der direkten Kommunikation verloren. Also wenn es einen
Konflikt gibt, am besten das direkte Gespräch suchen, dann kommt man meistens zu
einer Lösung.
Interviewer: Die Augsburger Studenten wollen immer mehr Demokratie an der Uni. Können Sie
uns beschreiben, was eine demokratische Universität ist oder was Ihre ideale
demokratische Universität ist?
Felix Senner: Eine demokratische Universität ist, wenn die Gremien alle demokratisch gewählt
werden. Hier wird eigentlich auch jedes Gremium demokratisch gewählt. Wir fordern
allerdings mehr Demokratie in dem Sinne, dass wir mehr Mitbestimmung wollen. Wir
sind an der Universität 16.00 Studierende und wir wollen natürlich dementsprechend
angemessen repräsentiert sein. Und da ist natürlich immer die Frage: Wie bewertet
man die Freiheit der Forschung und die Freiheit der Lehre, die die Professoren ja
zweifelsohne haben und wie bewertet man das Gut, das man hat, wenn die
Studierenden mitbestimmen dürfen.
Hier in Augsburg haben wir – das muss ich auch sagen – das „Augsburger-Modell“.
Demnach haben wir eine überdurchschnittlich hohe Mitbestimmungsmöglichkeit der
Studierenden in der Hochschulpolitik, gemessen an anderen Universitäten in
Deutschland.
Interviewer: Damit die AStA arbeiten kann, brauchen Sie natürlich auch Geld. Woher kommt das
Geld?
Felix Senner: Das kommt teilweise vom Staat. Das ist aber sehr wenig. Das meiste erwirtschaften
wir selber, durch Semesteropening-Parties oder andere Veranstaltungen aber
eigentlich funktioniert das meiste ehrenamtlich. Also wir bezahlen hier niemand für
die Arbeit die er macht. Deshwegen haben wir auch nicht die Mittel um groß Plakate
drucken zu können. Es fällt also immer alles sehr klein und sparsam aus, was wir
machen. Auch die Rechner die hier rumstehen sind schon viele Jahre alt und
funktionieren deswegen auch teilweise nicht mehr; die brauchen teilweise eine halbe
Stunde bis sie hochfahren. Also viel Geld haben wir nicht.
Interviewer: Wie beurteilen Sie den Bologna-Prozess?
Felix Senner: Also der Bologna-Prozess ist natürlich eine grundlegende Systemänderung an den
Universitäten. Vorher hatten wir dieses geisteswissenschaftliche Ideal – jetzt haben
wir dieses System, das darauf fokussiert ist Studierende möglichst schnell durch eine
Maschine zu schleusen um ihnen danach dann einen Abschluss zu geben. So wie der
Stand des Bologna-Prozesses momentan ist, ist er noch lange nicht ausgereift. Man
muss da noch an allen Ecken und Kanten arbeiten, damit die Studenten besser
studieren können, weil in vielen Studiengängen gibt es noch große Probleme.
Interviewer: Was ist der Unterschied zwischen Bachelor+Master und Diplom?
Felix Senner: Bei Bachelor und Master hat man nach dem Bachelor erstmal einen Abschluss mit
dem man aufhören kann. Beim Diplom hatte man mehr Freiheiten und auch mehr Zeit
das Studium abzuschließen. Man konnte sich in die Lehrveranstaltungen und
Seminare setzen, die einen selber interessiert haben. Beim Bachelor und beim Master
ist es so, dass man weniger Wahlfreiheit hat. D.h. man hat ein Modul und in diesem
Modul gibt es nur eine bestimmte Anzahl von Kursen oder Seminaren, die angeboten
werden, d.h. man kann seine Forschungsschwerpunkte nicht mehr so frei wählen, wie
noch im Diplom oder im Magister. Im Magister ist es eigentlich noch freier gewesen.
Also ich studiere noch auf Magister und ich habe das Gefühl, dass ich noch viel freier
wählen kann.
Interviewer: Ist der Bologna-Prozess ein Anlass für die Einführung der Studienbeiträge?
Felix Senner: Nein, die Studienbeiträge wurden schon früher eingeführt und die rühren daher, dass
man mehr Geld für die Universitäten gebraucht hat. Der Staat wollte nicht alleine für
die Finanzierung der Universitäten aufkommen. Deshalb funktioniert es so, dass
Studierende durch ihre Beiträge Haushaltslöcher stopfen im Budget des Freistaates,
weil der sich dadurch natürlich Geld einspart.
Interviewer: Deuten die Demonstration auch an, dass die Studierenden Angst haben, weil durch
die Modularisierung die Konkurrenz verstärkt?
Felix Senner: Auf jeden Fall auch. Das ist mit ein Grund.
Interviewer: „Der Grundgedanke der Protestaktion ist die Chancengleichheit, denn Bildung ist ein
Menschenrecht und muss unabhängig von sozialer Herkunft zugänglich sein", wie
beurteilen Sie diese Satz?
Felix Senner: Das ist auch mein größter Grund, warum ich die Studentenproteste unterstütze. Den
durch die Studiengebühren ist der Zugang zu den Universitäten nicht mehr
sozialgleich, weil Familien aus sozial schwächeren Umgebungen können ihre Kinder
nicht mehr so leicht zu studieren schicken, weil 500 Euro macht für die sehr viel aus.
Studierende mit reicheren Eltern ist das mehr oder weniger egal, ob sie 500 Euro im
Semester zahlen, aber für arme Studierende ist das eben ein großes Hindernis, wenn
sie ein Studium bewältigen wollen.
Interviewer: „Die Augsburger Studenten kämpfen für die öffentliche Finanzierung des
Bildungssystems, vor allem die Abschaffung sämtlicher Bildungsgebühren, und den
damit verbundenen freien Bildungszugang für alle Bevölkerungsschichten." Was
muss sich noch ändern, damit der freie Zugang zur Bildung ermöglicht wird?
Felix Senner: Das System muss sozialer werden. Momentan schauts so aus, dass mit der Regierung,
die wir im Moment haben – aus CDU und FDP – diese Änderungen nicht erreichen
können. Vielleicht ist ein Regierungswechsel nötig. Vielleicht müssen die Studierenden
der Regierung einmal zeigen –in einer Wahl – dass wir ein politisches Gewicht haben
und vielleicht wird dann mehr auf unsere Meinung gehört.
Interviewer: Ich habe gehört, dass einige Studenten wegen des starken Drucks durch das Studium
zum Alkohol greifen oder sogar Drogen nehmen. Ist das wahr? Kannst du einige
Vorschläge zur Lösung des Problems machen?
Felix Senner: Also es ist defintiv so, dass die psychischen Belastungen stark gestiegen sind die
Nachfrage nach psychischer Betreuung ist - wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe
– in den letzen Jahren um 30% gestiegen und wir versuchen auch durch die
Studentenbeiträge hier eine weitere Stelle für die psychologische Betreuung der
Studenten einzurichten. Das liegt natürlich an dem Notendruck und dem ständigen
Prüfungsdruck und auch an der Gesellschaft die wir haben, dass der psychische Druck
für den einzelnen – nicht nur die Studenten –gestiegen ist. Ich weiß, dass der
Alkoholismus unter den Studierenden groß ist –von Drogen habe ich in meinem
nähren Umfeld jetzt noch nichts gehört. Aber es ist auf jeden Fall so, dass die
psychischen Belastungen gestiegen sind.
Interviewer: In Deutschland weiß ich, dass die Studentenorganisationen oder Vereine viele Rechte
haben. Zum Beispiel, können die Studenten von der Uni fordern, die
Studentengebühr zu reduzieren. Aber in China wird die Studentenunio von der
Universität gesteuert. Warum glauben Sie bestehen zwischen den Ländern so große
Unterschied diesbezüglich?
Felix Senner: Ich denke, dass die Idee einer Gesellschaft in Deutschland und in China sehr
unterschiedlich ist. Wir sind durch unsere Geschichte quasi dazu verpflichtet so viel Demokratie und Mitbeteiligung von allen zu ermöglichen und mir ist auch sehr
bewusst, dass die Studierenden in Deutschland es im Vergleich zu anderen Ländern
sehr gut haben. Man muss nur einmal in die europäischen Nachbarländer schauen.
Da haben wir Deutschen es im Vergleich sehr gut. Das vielleicht auch mit ein Grund,
warum die Studentenproteste in Deutschland viel geringer ausfallen als in England.
Da protestieren jeden Tag zehntausende.
Interviewer: Wir danken Herrn Senner für dieses interessante Gespräch.