"Tut mir Leid, falls ich Sie in eine schlimme Verwirrung gestürzt haben sollte", begann er, "aber ich wusste heute Morgen selber nicht, dass Herr Wolters ein Kollege von mir ist. Er hat als verdeckter Ermittler mit Stommel bei der Aufdeckung eines Rauschgiftringes zusammengearbeitet. Die Gangster sitzen jetzt alle im Gefängnis, nur..." "... Stommel haben sie vorher noch umgebracht ... ich konnte ihm nicht mehr helfen", ergänzte Sebastian Wolters bitter. Er lächelte Inga müde an. "Danke, dass du mir die Arbeit gegeben hast. So konnte ich am unauffälligsten Kontakt zu Stommel halten. "Aber ...", fuhr er unsicher fort und blickte in ihre Augen, "da ist noch etwas." Ingas Verkrampfung löste sich. Stattdessen stieg ein warmes Gefühl in ihr auf. Sebastian nahm ihre Hand und fuhr lächelnd fort: "Es hat mir bei dir sehr gefallen. Darf ich vielleicht bleiben?"
"Kennen Sie diesen Mann?" Der Kriminalbeamte mit der dröhnenden Stimme, der sich Müller nannte, hielt Inga Seewald ziemlich unfreundlich ein Foto unter die Nase.
Inga griff nach dem Papierabzug und erschrak zutiefst, als sie das junge Gesicht mit den feinen Zügen sofort erkannte. "Ja natürlich, das ist Sebastian ...
Sebastian Wolters, er hilft mir gelegentlich aus ... hier in meiner Gärtnerei", antwortete sie mit einem Zittern in der Stimme, "ist ihm etwas passiert?" "Im Gegenteil", sagte Müller grob. "Er steht in dringendem Tatverdacht, einen brutalen Mord begangen zu haben. Mehrere Zeugen haben ihn gesehen, wie er vor einer halben Stunde aus einem Büro direkt in Ihrer Nachbarschaft geflüchtet ist. Und in jenem Büro fand man Karl Stommel - tot. Sie kannten Stommel?" Inga schüttelte den Kopf. "Nein ... eigentlich nicht ... nur so vom Sehen ...", antwortete sie mit schwacher Stimme.
"Ist auch egal ... er war Privatdetektiv", fuhr der bullige Kriminalbeamte in unvermindertem Dröhnebass fort. "Wie es aussieht, wurde er erschlagen. Mit einem schweren Aschenbecher. In seinem Schreibtisch hatte er ausgerechnet das Foto dieses Mannes." Er musterte Inga durchdringend. "Hier ist dieser Wolters wohl nicht zufällig aufgetaucht? Es gibt Zeugen, die behaupten, dass er in diese Richtung lief ..." Inga schüttelte wieder den Kopf. Sie trat widerspruchslos beiseite, als der Kriminalbeamte mit zwei Uniformierten im Schlepptau in ihre Wohnung trat und routiniert sämtliche Zimmer durchsuchte. Sie konnte es einfach nicht fassen, war wie gelähmt. Sebastian - ein Mörder?
Der junge Mann war erst vor ein paar Wochen bei ihr aufgetaucht. Er hatte urplötzlich mit einem unbefangenen Lächeln im Gewächshaus gestanden und gefragt, ob sie vielleicht Arbeit für ihn hätte. Er kam genau zum richtigen Zeitpunkt, denn kurz zuvor hatte ihr Verlobter sie mit der Gärtnerei einfach sitzen lassen. Und so kam es, dass Sebastian ihr gelegentlich bei der Arbeit half. Dabei hatten die beiden sich schnell miteinander angefreundet. Wenn Inga ehrlich war, hatte sie sich sogar ein bisschen verliebt. Und jetzt diese ungeheure Anschuldigung!
Erst lange nachdem die Beamten verschwunden waren, machte sie sich wieder an ihre Arbeit, war aber nicht richtig bei der Sache, während sie mit den Pflanzen hantierte, sondern hing selbstvergessen ihren Gedanken nach. Wenn sie es sich genau überlegte, wusste sie kaum etwas von Sebastian, denn er redete nicht besonders viel. Dafür arbeitete er geschickt und ordentlich. Nur gelegentlich stellte er die eine oder andere Frage. Jetzt fiel Inga plötzlich wieder ein, wie er sich vor einiger Zeit auch einmal nach ihrem Nachbarn Stommel erkundigt hatte. Sie versuchte, sich die Szene wieder in Erinnerung zu rufen. War da nicht etwas Lauerndes in seinem Blick gewesen? Sie wusste es nicht mehr. Ratlos hob sie die Schultern und seufzte.
Sie hatte sich eigentlich immer sehr wohl gefühlt in Sebastians Nähe. Seine Gegenwart ließ den Schmerz über die Trennung von ihrem Verlobten überraschend schnell verblassen. Aber jetzt war sie völlig durcheinander. Der Gedanke, dass Sebastian ein Mörder sein sollte, machte ihr schreckliche Angst, und auf einmal spürte sie, dass sie weinte.
Inga hob den tränenverschleierten Blick und sah durch die offene Gewächshaustür in den Garten. Augenblicklich stockte ihr Atem. Sebastian lehnte dort halb verborgen an einem Apfelbaum. Er sah total fertig aus, wie er da stand und um sich blickte. Da trafen sich plötzlich ihre Augen. Inga erstarrte. Ihr Herz begann wie wild zu rasen, als er sich langsam von dem Baum löste und mit zögernden Schritten auf sie zuging. Sein Gesicht war ernst, fast finster. Nicht eine Spur von dem Lächeln, das sie immer so in seinen Bann gezogen hatte. Der Gedanke, einem gefährlichen Mörder zu begegnen, raubte Inga fast den Verstand.
Langsam wich sie zurück. Der Blumentopf, den sie in den zitternden Händen gehalten hatte, fiel zu Boden und zersprang krachend in tausend Stücke.
Sebastian Wolters hob die Hände.
"Das habe ich mir gedacht, dass ich Sie hier antreffe, Herr Kollege, mit Ihnen muss ich unbedingt reden!" Die volltönende Stimme in ihrem Rücken ließ Inga augenblicklich herumfahren. Hinter ihr stand der Kriminalbeamte, der sie am Morgen mit dieser schrecklichen Nachricht überfallen hatte. Er war offensichtlich unbemerkt durch den Nebeneingang hereingekommen. "Aber vorher muss ich wissen, ob Sie sich ihrer reizenden Chefin schon offenbart haben", dröhnte er. "Nein? Dann will ich ein bisschen helfen." Er wandte sich an Inga.