Der Tag wollte nur zögerlich beginnen. Man konnte nur ahnen, dass die Sonne am Horizont aufgehen wollte. Nebelschwaden lagen wie ein Leichentuch über das Land. Kein Wind, nicht einmal ein kleiner Windhauch war zu spüren. Die grauen Umrisse der Bäume und Büsche waren nur schemenhaft zu erkennen. Nicht ein Laut war zu hören, selbst die Vögel saßen regungslos im Dickicht. Es war so still, dass man sogar das leise murmeln des weit entfernten Baches vernehmen konnte.
Richard P. öffnete leise die Tür. Er war von großer stattlicher Figur, bedeckt mit einer dunklen Jacke, die Kapuze über sein wirres Haar tief ins Gesicht gezogen. Selbst die Ansicht des hohen Gartenzaunes, nicht weit weg von der großen weißen Villa, die weit entfernt von der sicheren Stadt lag, entzog sich dem Auge des Betrachters. Der Geruch von frisch aufgeworfener Erde lag in der Luft.
Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich und schlich hinaus, die schöne geschwungene Treppe hinunter in den Garten. Er kannte seinen Weg. Und er wusste genau, dass sich ihm nur um diese Zeit die Chance bieten würde, dem Grauen endlich ein Ende zu bereiten. Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihn kein Auge zumachen lassen und nur der eine Gedanke, der Entschluss, diese Tat zu vollbringen, hatten ihm die Kraft gegeben, sich von seinem Lager zu erheben, um das zu tun was jetzt nötig ist.
Er setzte vorsichtig und wohl überlegt seine Schritte über das vom Morgentau bedeckte Gras, den sorgsam und mit viel Mühe gepflegtem Rasen, denn auch nur das leiseste Geräusch konnte ihn verraten. An der riesigen Eiche, deren Wipfel irgendwo im Nebel der Morgendämmerung verschwand, lehnte der aus hartem Stahl gefertigte Spaten. Richard P. griff entschlossen danach und zog ihn an sich. Der Stahl kratzte dabei leicht über einen kleinen Stein. Er zuckte zusammen und schaute, die Augen weit aufgerissen und erschrocken um sich. Würde das jetzt seinen Plan zum scheitern verurteilen? Nein, diese Möglichkeit durfte es einfach nicht geben. Die Stelle, an der die Kreatur erscheinen musste, war nur noch wenige Schritte entfernt. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Vorsichtig, noch vorsichtiger als vorher, schlich er sich dorthin.
Dort musste es sein. Drei seiner Fußabdrücke, mit denen er am Abend zuvor genau diesen Ort markierte, waren ganz deutlich zu sehen.
Er nahm den Spaten fest in die Hand und stellte sich auf die Stelle an der es passieren musste.
Hier musste es ganz einfach passieren! Noch einen Versuch wird es nicht geben. Das Werk muss gelingen. Die Entbehrungen der letzten Tage, die schlaflosen Nächte, die nervliche Anspannung, alles das konnte mit einem Schlag vorbei sein und das Leben würde dann wieder neu beginnen können. Er nahm alle seine Kraft zusammen, die Nerven kaum bändigend, zitterten leicht seine Hände. Voller Konzentration, den Blick nur auf diesen einen Punkt gerichtet, hob er den Spaten hoch über sich in die Luft empor und stand fest und mit voller Kraft, die Muskeln seiner Arme und Beine anspannend, in dem feuchten Gras.
Regungslos stand er so eine scheinbar unendlich lange Zeit da, ohne auch nur eine Bewegung zu machen. Fast drohten die Kräfte schon nachzulassen.
Doch da geschah es. Zuerst ein leichtes, kaum merkliches Erzittern der Erde, der Boden riss nur wenig sichtbar ein. Die Risse wurden größer und größer und der Boden fing an aufzubrechen. Eine kleine Erdscholle wurde nach oben gedrückt, eine zweite und dann quoll immer mehr Erde heraus.
Dann Stille. Eine unheimliche Stille! Richard P. nahm allen Mut zusammen und konzentrierte sich nur auf diesen einen, jetzt noch kleinen Auswurf der Kreatur. Ein leichtes Frösteln überlief seinen Rücken. Doch das Ziel war nahe und einen Rückzug konnte es jetzt nicht mehr geben.
Da! Der Erdhaufen fing an, sich weiter zu bewegen und wuchs zusehends. Unter der Erde mussten ungeheure Kräfte wirken….
… und heraus kam der kleine putzige Maulwurf und schnüffelte um sich herum.
Als der Mann dieses kleine Geschöpf der Natur vor sich sah, verlor sich die Anspannung seines Körpers von einem Augenblick zum anderen. Er nahm langsam den Spaten herunter, drehte sich um und weinte bitterlich.
Von dieser Stunde an lebten beide friedlich nebeneinander, ohne sich auch nur ein Haar zu krümmen. Und das Leben war schöner als je zuvor.