Bernd hörte das Geräusch eines Wagens. Er löschte die Taschenlampe, schob die Jalousie ein wenig zur Seite und sah das Auto auf dem Hof . Sollte das Brenner sein, oder ein ´Arbeitskollege´, der sich des Nachts in fremden Revieren herumtrieb? Nein, es musste Brenner sein. Der skrupellose Bauunternehmer. Diese große und massige Gestalt, die sich aus dem Auto zwängte, passte auf ihn. Kein Zweifel. Doch was wollte er hier um diese Uhrzeit? Vielleicht hatte er etwas vergessen. Bernd sah, wie er prüfend das Haus betrachtete und wie sein Blick am Bürofenster hängen blieb. Konnte er etwas bemerkt haben? Nur jetzt die Ruhe bewahren, dachte Bernd. War ja nicht das erste Mal, dass ihm so was passierte. Und immer war alles gut gegangen.
Warum auch jetzt nicht. Er schaute wieder auf den Hof. Brenner stand immer noch da und schien zu überlegen. Dann löste er sich von der Stelle und kam aufs Haus zu. Bernd seufzte. Er wird wohl in sein Büro kommen. Sicher. Mit der Taschenlampe erhellte er für einen Moment den Raum und nahm die kleine Bronzestatue vom Schreibtisch, welche eine nackte und schlanke Frau darstellte. Er musste sie wohl zweckentfremden. Kunst war vielseitig. Er nahm sie in die Hand und prüfte ihr Gewicht. Hatte die richtige Schwere.
Dann stellte er sich neben die Türe. Sie war unverschlossen, da er sie mit einem Dietrich geöffnet hatte. Brenner würde einen Moment verdutzt sein.
Doch ein schneller Schlag mit der nackten Dame und ... Bernd seufzte noch einmal. Ja, was blieb ihm anderes übrig. Es dauerte nicht lange, bis er schwere Schritte im Flur vernahm. Vor der Türe blieben sie stehen. Er hörte das Geräusch eines Schlüsselbundes und ein erstauntes "Na".
Dann öffnete sie sich. Brenners bullige Gestalt betrat den Raum. Seine Hand ging zum Lichtschalter. Im selben Augenblick ließ Bernd die nackte Schöne auf seinen fleischigen Kopf niedersausen. Für einen Moment hielt Brenner sich noch aufrecht. Dann stürzte er, ein wenig nach vorne gebeugt, seitwärts zu Boden.
Bernd blieb noch einen Augenblick regungslos stehen und blickte auf die Gestalt vor ihm. Er seufzte ein drittes Mal. Sollte er die Arbeit zu Ende machen? Wie konnte er nur solchen Gedanken haben. Natürlich würde er sie bis zum Schluss ausführen.
Er ging wieder zum Wandtresor zurück. Es dauerte doch nicht so lange, wie er befürchtet hatte. Dann öffnete er ihn, voller Spannung, als wäre er ein kleiner Junge am Heiligabend. Doch was war das? Er schüttelte seinen Kopf und rieb sich die Augen. Leere gähnte ihm entgegen.
Das durfte doch nicht wahr sein. Sollte doch ein hundertprozentiger Tipp gewesen sein. Mit einigen zigtausend Euro. Am Fiskus vorbei. Deshalb im Tresor. Dann bemerkte er im unteren Fach, ganz hinten in der Ecke, die Pistole.
´Mist´, ging es durch seinen Kopf. Sollte das ganze ein Witz gewesen sein.
Mit dem gar nicht so lustigen Humor, sich selbst zu erschießen. Er blickte auf Brenner, der noch immer am Boden lag.
Bernd seufzte zum vierten Male. Doch bloß weg von hier. Sein Blick ging nochmals zur Pistole.
Etwas wollte er mitnehmen. Noch ein kurzes Zögern, dann er nahm er sie und steckte sie in seine Tasche. Noch einmal leuchtete er alles ab, um zu sehen, dass er keine Spuren hinterlassen hatte. Über die Gestalt am Boden steigend, verließ er den Raum.
In den Abendnachrichten im Fernsehen hörte er, dass bei einem Einbruch in einem Bürogebäude eine Leiche gefunden wurde. Erschlagen. Wie immer seufzte Bernd auch jetzt. Er musste an die Pistole denken, die er mitgenommen hatte.
Schwachsinn. Am nächsten Tag würde er sie in den Fluss werfen.
Schon in der Frühe um vier Uhr erhob er sich, steckte die Pistole in seine Tasche und begab sich nach draußen. Es war kühl, doch nicht kalt. Als er an der Brücke angelangt war, bemerkte er plötzlich, dass ein Streifenwagen langsam neben ihn daherfuhr. Sein Herz begann zu klopfen. Jetzt nur keine Panik. Viele Leute sind um diese Uhrzeit schon unterwegs. Und wie ein Penner sah er ja nicht aus. Mit Erleichterung sah er, wie das Auto wieder schneller fuhr. Doch auf der Höhe der Brücke blieb es wieder stehen. Er konnte jetzt nicht einfach zurückgehen. Kurz bevor er den Streifenwagen erreicht hatte, stieg ein Polizist aus dem Wagen.
´Weitergehen´, hämmerte es in Bernds Kopf. Der Polizist kam auf ihn zu. Er lächelte.
"Na, so früh schon unterwegs." Seine Stimme war freundlich.
Bernd nickte und schaffte es zurückzulächeln. "Kleiner Spaziergang am frühen Morgen tut immer gut."
Der Polizist, ein schon älterer Jahrgang, blickte ihn aufmerksam an. Er schien zu überlegen. "Frische Morgenluft tut immer gut. Doch zeigen Sie mir mal Ihre Papiere."
´Verdammt´. er hatte keine bei sich. Sie waren in seiner anderen Jacke. Er war sicher, dass der Polizist seine Nervosität bemerkt hatte. Trotzdem versuchte er, so gut es nur ging, ganz normal zu erscheinen. Er lachte sogar ganz kurz auf. "Meine Papiere? Sind zu Hause. Wer denkt schon immer daran, sie jedes Mal mitzunehmen."
Hätte jetzt weglaufen einen Sinn? Nein, wohl nicht.
Auch der andere Polizist war aus dem Auto gestiegen und kam auf sie zu.
"Jaja. Wer denkt schon immer daran. Na, dann legen Sie mal Ihre Hände auf das Brückengeländer und ganz schön die Beine auseinander. Sie kennen das doch bestimmt, oder?"
Was blieb ihm anderes übrig.
"Schau, schau, was wir da haben", sagte der ältere Polizist und hob die Pistole in die Höhe. "Na, dann kommen Sie mal mit."
Und die Handschellen klickten um seine Gelenke. Nun saß er in einer Zelle und wartete auf den Hauptkommissar. Gegen Abend kam er endlich.
"Ja", sagte er. "Sieht nicht gut aus."
Bernd musste an Brenner in seinem Büro denken. Er wollte schon eine Erklärung abgeben, als der Kommissar sagte: "Warum muss immer gleich drauflosgeballert werden." Er zeigte auf die Pistole, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
Bernd begriff nicht. Was hatte er mit der Pistole zu schaffen, die er doch bloß mitgenommen hatte. Er war sich sicher, dass man ihn wegen dem Einbruch bei Brenner vernehmen würde.
"Ich verstehe nicht, Herr Kommissar. Die Pistole da, habe ich mir vor kurzem angeschafft. Hat mir irgendjemand verkauft. Hab seinen Namen vergessen. Ist natürlich unklug, solche Dinger zu besitzen. Ich weiß. Doch ..."
Der Kommissar nickte. "Ja, es ist unklug. Denn mit dieser Pistole wurde vor zwei Wochen ein Mann erschossen. Und nur Ihre Fingerabdrücke sind darauf zu sehen. Wo waren Sie in der Nacht vom 13. zum 14.?"
Bernd dachte krampfhaft nach. Er wusste es nicht. Er konnte auch kein Alibi herbeizaubern. Er fühlte Schweiß auf seiner Stirn.
"Herr Kommissar, ich habe mit dem Mord nichts zu schaffen, glauben Sie mir. Ich..."
Er verstummte.
Der Kommissar schaute ihn fragend an.
"Ja..."
Bernd überlegte. Sollte er ihm alles erklären. Aber dann wäre er auf jeden Fall geliefert. Man könnte es bei Brenner als Mord auslegen.
"Ach nichts", sagte er. "Und ohne meinen Anwalt sage ich nichts mehr."
Der Kommissar nickte. "Geht in Ordnung."
Vier Monate sind seitdem vergangen. Morgen wird die Hauptverhandlung sein.
Die Anklage wegen Mordes an einen Kneipenwirt, den er nicht begangen hatte.
Vielleicht standen die Chancen ja nicht so schlecht. Zumindest glaubte es sein Rechtsanwalt. Bewiesen muss es doch erst werden.