"Nein, das möchte ich nicht, unser letztes Wasser sollst du nicht so verschwenden", sagte sie.
"Es ist aber nicht unser letztes Wasser", sagte er.
"Ich hab's doch gesehen, wir haben kein Wasser mehr."
"Und ob wir noch Wasser haben!"
Ungläubig schaute sie ihn an. Die Glasflasche erzeugte ein stumpfes Klicken als die Flaschenöffnung gegen ihre Oberzähne schlug. Die Lippen stülpten sich über die ganze Öffnung. Gurgelnd verschwand das restliche Wasser aus der Flasche. Während seine Augen einen kleinen Tropfen beobachteten, der aus ihren rechten Mundwinkel rann, wurde sie ruhiger. Die Flasche nicht absetzend, beobachtete sie ihn. Das dicke Glas machte seinen Kopf unrund, das Gesicht zerfloss zu Brei.
"Es war unser letztes Wasser." sagte er.
"Ich weiß."
"Warum hast Du alles getrunken?"
"Weil es unser letztes war."
"Du hast getrunken, obwohl du wusstest, dass es unser letztes war?"
"Du hast doch gesagt ich soll das Wasser trinken."
"Ich dachte du würdest es nicht tun."
"Und ich dachte Du hättest noch eine Flasche und hast es nur so gesagt. Du hast doch immer eine Reserve irgendwo, bei dir geht nie etwas aus! ..... Hast Du auch Durst?"
Sein Adamsapfel hüpfte wie fieberkrank. " Nein."
"Wo liegt dann Dein Problem?"
"Ich habe kein Problem!"
"Ich auch nicht!"
"Das sehe ich etwas anders."
"Du hast immer alles anders gesehen."
"Woran das wohl lag?!"
"Liebst du mich eigentlich noch?"
"Warum fragst du das gerade jetzt?"
"Einfach so."
Seine Augen starrten in die Luft, als suchten sie dort die Wahrheit zu finden.
"Woran denkst du jetzt?" fragte sie.
"Das ist nicht so wichtig."
"Woher willst du wissen, dass es nicht wichtig für mich ist?"
"Männliche Intuition!"
"Männliche was?"
"IN-TU- I- TI- ON"
"Du hast davon nicht die Spur einer Ahnung!"
"Da wäre ich mir nicht so sicher."
"So? Was werde ich in fünf Minuten tun?"
"Nichts!"
Sie lachte und schaute ihn an. Früher hatte er ihr ungezügeltes Lachen geliebt.
"Du wirst tot sein. Endlich ruhig." sagte er.
"Da wäre ich nicht so sicher!" erwiderte sie.
Er betrachtete die Muskeln ihrer Unterarme. Zu kräftig für eine Frau, dachte er bei sich, aber es wird ihr nichts nützen.
Dann ging alles sehr schnell. Der faustgroßen Stein traf sie an der Schläfe. Seine Hände ergriffen ruckartig ihre Füße und zogen kräftig daran. Klatschend schlug ihr lebloser Körper auf das Salzwasser und versank sofort.
Vorsichtig beugte er sich vor und schaute über die Bootskante in das dunkle Wasser. Mit dem Zeigefinger wies er auf die Wasseroberfläche. " Du kennst mich gar nicht, nicht einmal nach 13 Jahren!" Noch einmal glaubte er ihr Gesicht in der Tiefe erkennen zu können. Er schüttelte sich den Schweiß von der Stirn und zog das helle Tuch um seinen Kopf enger. Mit zusammengekniffenen Augen blinzelte er in die Sonne.
"Aber ein wenig hast du mich doch gekannt!" Kichernd entfernte er die Abdeckung der Luftkammer. Sich langsam vortastend, erreichten seine ausgestreckten Finger das Ziel. Im nächsten Augenblick brachte er eine neue Wasserflasche zum Vorschein. Er öffnete den Schraubverschluss und prostete dem Meer zu. " Ich trink auf dein Wohl meine Liebe."
Wie ein Baby saugte er das kühle Nass in sich hinein. Dabei stellte er sich vor, wie ihm Hunderte Durstige zuschauten. Ihm war als hätte er drei Esslöffel Salz direkt in seinen Magen transportiert... Salzwasser! Die Schlampe hatte das Wasser gegen Salzwasser ausgetauscht. Woher zum Teufel....?
Ein lautes Schiffshorn vertrieb seine Gedanken. Er warf die Flasche weit von sich und streckte den Mittelfinger vor. Wild mit den Armen rudernd versuchte er die Besatzung auf sich aufmerksam zu machen.
"Dort ist ein Boot Kapitän!"
"Wie viel Personen sind an Bord?"
"Eine."
"Ein Mann oder eine Frau?"
Der Matrose wog den Kopf hinter dem Fernglas hin und her. " Ein Mann würde ich sagen."
"Geben sie sich Mühe! Sind sie sicher, dass es nur ein Mann ist?" Noch einmal schaute der Matrose durch das Glas. " Absolut sicher."
Er ruderte wie noch nie in seinem Leben. Das kleine Boot flog wie ein Pfeil über die Wellen und erreichte bald die Yacht. Über die rettende Strickleiter erklomm er das Deck.
Kraftlos sank er auf die blank gescheuerten Mahagoniplanken.
"Herr Boetius?"
Der Name klang unendlich vertraut und doch so fremd aus dem Mund des Kapitäns.
"Woher kennen sie meinen Namen?"
"Herr Boetius, sie sind festgenommen."
Seine Knie gaben nach und sanken auf das glatte Plankenholz zurück. Dann schaute er den Kapitän an.
"Ich soll ihnen ausrichten... es gibt keine männliche Intuition."
Der Kapitän übergab ihm einen Brief. Sofort erkannte er die Schrift seiner Frau. Seinen Mund weit aufreißend, stopfte er den Brief hinein und begann ihn hinunterzuwürgen.
"Nur eine Kopie, Herr Boetius, nur eine Kopie." sagte der Kapitän kopfschüttelnd. " Sie kannte sie besser als sie dachten."