-- Ein Boot für den König --
Leutnant James McKenna gab die Ruderpinne des Schiffes an seinen Steuermann zurück und trat nach einem letzten Blick auf den kurzen, dicken Mast mit seinem Lateinersegel unter Deck. Seine Kajüte war nur ein kleiner Verschlag, doch viel mehr durfte er sich als Kommandant eines Kanonenbootes auch nicht erwarten. Zwar hatte sich James sein erstes eigenes Schiff früher etwas anders vorgestellt, doch nun stand immerhin ein erbeuteter französischer Glanzbau unter seinem Kommando und keines der winzigen `Ruderboote`, die der englischen Marine ansonsten als Kanonenboote dienten.
Nein, die CLAIRE war eine schnittige Barca-Ionga, halb eingedeckt und mit einer langen Schiene vor dem achterlich geneigten Mast versehen, auf dem ihr schwerer Vierundzwanzigpfünder herangeholt und gesichert werden konnte.
Daneben besaß sie noch zwei Zwölfpfünder Karronaden auf dem Achterdeck und schließlich noch zwei Drehbassen an ihren Breitseiten. Damit bot sie ein doch recht kampfkräftiges Boot, das mit seinem riesigen Lateinersegel an der gebogenen Spiere auch noch hochseetauglich war und damit jeden Hafen anlaufen konnte. Zur Not von ihren Rudern getrieben. `Auch wenn sie dies wohl nicht so bald beweisen würde` dachte McKenna, während er eine Seekarte hervor holte und auf dem kleinen Tischchen ausrollte.
Die CLAIRE segelte derzeit in relativer Küstennähe und hatte die Aufgabe, auf etwaige Vorstöße der Franzosen zu reagieren. Zumindest sollten sich Napoleon`s Truppen an die Küste Englands heran wagen. Doch dazu würde es innerhalb des nächsten Monats kaum kommen und so sahen sich die fünfundzwanzig Männer an Bord des Kanonenbootes zu langweiligem Patrouillendienst verdonnert. Doch James war im Grunde recht zufrieden damit, auch wenn er es wohl niemals öffentlich laut aussprechen würde. Denn auch wenn er sein erstes Kommando anders vor Augen gehabt hatte, war ihm ein kleines unabhängiges Boot weitaus lieber, als der Befehl über ein Vollschiff. Zumal die meisten anderen Leutnants maximal in der Rolle des ersten Offiziers glänzen konnten, während er nun schon sein eigener Herr und Meister war. Auch wenn seine Ranggenossen vom Achterdeck eines Linienschiffes träumten, war er rundum glücklich mit seiner kleinen schwimmenden Welt. Lächelnd ließ sich James nun auf seine Koje sinken und dachte dabei an seine erste Begegnung mit der CLAIRE.
"Herzlichen Glückwunsch Leutnant" Captain William Harte drückte James Hand und reichte ihm dann einen versiegelten Umschlag, der verdächtig nach einer Bestallung aussah: "Ich weis ihr Geburtstag ist erst in ein paar Wochen, aber ich dachte vielleicht könnte ich ihnen Aufgrund der guten Nachrichten schon jetzt gratulieren. Und bevor sie uns verlassen, werden wir sie noch gebührend verabschieden." "Vielen Dank Sir" erwiderte McKenna und nahm dann gerührt den Jubel der restlichen Offiziere der DIANA entgegen. Danach versprach er noch, zu der Feier heute Abend in das Stammgasthaus des Schiffes zu kommen und ging dann von Bord um zum Hafen gerudert zu werden.
Auf dem Weg dorthin überflog er seine Befehle und suchte, kaum das seine Stiefel den Kai berührten, nach seinem Kommando, der CLAIRE. Es dauerte eine Weile, bis ihm schließlich ein Helfer des Hafenmeisters den richtigen Weg sagen konnte, aber danach eilte der Leutnant mit raschen Schritten zum angegebenen Liegeplatz. Das sein Schiff am Kai lag bewies, dass es nicht sehr groß sein konnte, sein Rang machte das sowieso schon klar, doch auf das, was ihn nun erwartete, war er beim besten Willen nicht vorbereitet gewesen.
Ein Kanonenboot, ein kleines, dem Rumpf nach französisches, Kanonenboot.
Kaum vorhandene Takelage baumelte von dem einzigen Mast, dessen Spiere notdürftig geschient worden war. Das Achterdeck war verwüstet und lediglich ein paar Reste der Reling und eine improvisierte Pinne zeugten von vergangenem Glanz. Ganz zu schweigen davon, dass man das Schiff komplett entwaffnet hatte.
`In einem solchen Fall könnte man glatt dazu neigen, die Admiralität zu verfluchen oder über ihren eigenartigen Sinn für Humor zu lästern` seufzte James gedanklich:` Doch ich trinke lieber auf sie. Denn dieser schwimmende ....` nun wollte ihm jedoch kein passender Name einfallen um dieses Boot zu beschreiben. Denn nichts anderes war es, ein kleines Boot. Aber immerhin sein Boot.
Schon ein paar Stunden später stand er vor dem Herrn des Ausrüstungslagers und flehte nach Material aller Art. "Taue sind happig mit Verlaub. Aber vielleicht finde ich noch ein paar Trosse und Leinen, die nicht schon von einem Captain vereinnahmt wurden" erwiderte der Versorgungsmeister mit einem freundlichen Lächeln auf die Anfragen dieses Leutnants: "Doch eine gute Nachricht habe ich für sie. Kanonen, Karronaden, Drehbassen, Mörser und Kanonaden. Die haben wir alle genug lagern. Und scheinbar sind sie derzeit der Erste, der was davon haben will. Also kommen sie mit und suchen sie sich die Besten davon aus."
Dieser Aufforderung kam James natürlich gerne nach. Ein Kanonenboot brauchte einen starken Hammer im Bug, also fischte McKenna flink ein paar Münzen aus seiner Tasche und sicherte sich einen prächtigen Vierundzwanzigpfünder. Als Gewichtsausgleich folgten zwei kleinere Karronaden, kurze Zwölfpfünder, die ihren Platz auf dem Achterdeck finden sollten. Und schließlich kamen noch zwei Drehbassen hinzu, um das ganze abzurunden. Mit diesen Reservierungen verbrauchte James nun den Großteil seines Soldes, den er sich für alltägliche Ausgaben abgezweigt hatte, doch das war es wert. Und sollte es hart auf hart kommen, würde er zur Not auch noch sein mühsam erspartes Kapital anzapfen, um sein Schiff richtig auszurüsten.
Da nun die eine Sache erledigt war, stürzte er sich sogleich auf die zweite, die Crew. Als frisch gebackener Kommandant musste er sich rasch um Leute kümmern und vielleicht hatte er ja Glück und fand ein paar gute, die noch nicht von den großen Schiffen gepresst worden waren.
"Segel in Sicht Sir" meldete der erste Offizier vom Niedergang her und James danke ihm. Dann griff er nach Säbel und Teleskop und ging an Deck. An der Reling fixierte er die gesichteten Segel und wandte sich dann an seinen
Stückmeister: "Mr. Hawk, bereiten sie bitte unsere Karronaden für das Erkennungszeichen vor und laden sie unseren lange Vierundzwanziger mit einer Vollkugel! Mr. Day" rief James dann seinen Ersten: "Flaggensignale vorbereiten! Mit ziemlicher Sicherheit ist es einer von uns, doch falls nicht, werden wir ihn gebührend empfangen. Schiff gefechtsklar machen!"
Wenig später stellte sich nach den gegenseitigen Erkennungszeigen heraus, dass es die LUSHINGTON war, ein englisches Handels- und Passagierschiff auf dem Weg in die Heimat. Also gab es kein Gefecht, sondern nur ein fröhliches passieren.
Dabei präsentierte sich James mit einem gewissen Stolz auf dem Achterdeck der CLAIRE. Seine Freude über sein erstes Kommando verleitete ihn sogar dazu, vor dem anderen Kapitän den Hut zu lüften, was dieser mit einem freundlichen Lächeln erwiderte. Eine Respektsgeste vor einem Kommandanten, selbst wenn dieser nur ein Kanonenboot kommandierte. James gab dadurch der Euphorie, die ihn seit dem Auslaufen gepackt hatte kurz nach und wandte sich an Hawk: "Wo wir die Kanonen schon bereit haben, wollen wir sie doch gleich ausrennen. Was halten sie davon Mr. Hawk?" "Aye Sir" stimmte ihm der einäugige Stückmeister begeistert zu, denn es juckte den erfahrenen Mann schon in den Fingern, die Stückmannschaften etwas in die Mangel zu nehmen.
"Na dann" stellte Leutnant McKenna fest und klatschte begeistert die Hände
zusammen: "Wollen wir mal ein wenig üben, auf das wir dem guten Napoleon ein wenig Ärger bereiten können, wenn wir eines seiner Schiffe vor die Mündungen bekommen!"
-- Kanonen vor Spanien --
Stetiger Wind trieb leichte Wellen vor sich her und überzog die Küste mit seinem kalten Hauch. Die CLAIRE fuhr mit stetigem Tempo in den Hafen ein und ihr Kiel durchschnitt die Seen.
Leutnant James McKenna stand auf dem Achterdeck seines Kanonenbootes und musterte die anderen Schiffe, die an ihren Muhringtonnen vertäut lagen.
Neben einer schweren sechsunddreißiger Fregatte schaukelten noch zwei leichtere Schiffe im leichten Seegang. Daneben ankerten noch mehrere Transportschiffe und bildete wirkungsvolle Hindernisse für die vielen Beiboote, die sich durch die Reede bewegten. "Mr. Hawk, sobald wir angelegt haben, möchte ich eine Liste unserer Pulver- und Kugelvorräte haben, wenn's beliebt. Vielleicht kann ich dem Versorgungsoffizier ja dazu bringen unsere Übungsschüsse zu ersetzen." "Aye Sir" erwiderte der Angesprochene und machte sich an die Arbeit. Wenig später befahl McKenna das Segel zu reffen und die CLAIRE nur mit den Riemen zu ihrem Liegeplatz zu pullen. Nachdem das Kanonenboot am Kai angelegt und gesichert war, trat James von Bord und wollte sich gerade auf den Weg zum Versorgungslager machen, als ein steif aussehender Leutnant auf ihn zutrat. "Leutnant McKenna?" wollte dieser wissen und als er eine Bestätigung erhielt, fuhr er fort: "Sir, bitte folgen sie mir. Captain Babbington möchte sie dringen sprechen." "Geben sie mir nur einen Moment" erwiderte der Angesprochene und wandte sich dann an seinen ersten Offizier und den Stückmeister, um die nötigen Aufgaben zu verteilen.
Danach folgte er seinem Ranggenossen.
"Wenn das nicht nach Ärger riecht" ließ sich der Mann am Ruder vernehmen.
Leider etwas zu laut, denn der Erste rügte ihn sogleich. Sie waren zwar nur die Crew eines Kanonenbootes, gehörten jedoch zur Royal Navy und sollten sich genauso geziemt verhalten, wie jede andere Crew.
Captain Babbington empfing seinen Gast in seinem Büro im Hafen. Spartanisch eingerichtet und die wenigen Möbel passend platziert, erinnerte es McKenna sofort an die Tageskajüte eines Linienschiffes. Entweder hatte sich der Hafenkommandant schon so an eine solche Einrichtung gewöhnt, dass er sie auch an Land nicht mehr missen mochte. Oder er wollte wenigstens eine Kopie dessen haben, was er wohl nie erreichen würde. James wusste jedoch inzwischen, dass es letzteres war, da ein fehlendes Bein und mangelnde Seemannschaft, sowie zeitweise kombiniert mit echter Dummheit, den Captain wohl für immer vom Kommando über ein Schiff fern hielten. Nachdem sich die beiden Offiziere nun begrüßt hatten, erklärte Babbington nun, warum er den Leutnant hatte rufen lassen. "Es ist ein dringender Auftrag, der ihres Schiffes bedarf. Und auch ihrer Fähigkeiten" begann der Captain nun: "Einer unserer Ostindienfahrer bricht noch heute Nacht nach Gibraltar auf und er benötigt Schutz. Aus diesem Grund gebe ich ihm die CLAIRE als Eskorte mit."
"Jawohl Sir" erwiderte James: "Mein Schiff wird in ein paar Stunden wieder bereit zum Auslaufen sein. Jedoch möchte ich sie um einen Gefallen bitten Captain." "Um was für einen?" fragte Babbington mit einem misstrauischen Funkeln in den Augen: "Ich hoffe nichts ungebührliches?" "Nein Sir, ich wollte sie nur um die Erlaubnis bitten, meinen Männern einige Stunden Landurlaub zu gewähren. Unser letzter Einsatz war lange genug, um dies zu rechtfertigen und nachdem das Schiff verproviantiert wurde, bleibt noch genug Zeit dafür." "Bitte gewährt, aber wehe sie verspäten sich weil einige ihrer Matrosen besoffen sind. Dann gnade ihnen der allmächtige Herr."
Das Auslaufen der CLAIRE geschah auf die Minute genau und eine halbe Stunde später wieselte das flinke Kanonenboot um seinen Schützling herum, während sich der behäbige Indienfahrer gemütlicher an den Wind legte. "Wie es scheint wird das ein ruhiger Morgen" stellte Leutnant McKenna wenig später nach seinem Frühstück fest: "Was meinen sie Mr. Day?" "Wohl wahr Sir"
stimmte ihm sein Erster zu: "Auch wenn uns die Segeleigenschaften der MELINDA mit Verlaub noch Probleme bereiten könnten." James brummte nur zustimmend, bevor er zu dem großen Transporter hinüber und an dessen Bordwand empor blickte. In der Tat war das Schiff trotz aller Mühe seines Kommandante und seiner Crew nicht gerade ein schneller Segler und lag nur bei wirklich achterlichem Wind ruhig auf Kurs. Und genau das war eben einer der Gründe, weshalb er Schutz erhielt. Schutz eines kleineren, mit für seiner Größe geradezu tödlicher Feuerkraft versehenem Kanonenbottes. Ein Boot das gut mit und am Wind segelt und das der Leutnant mit geschickter Hand zu führen wusste. Aus diesem Grund ließ James die CLAIRE auch immer wieder ihre Position wechseln. Einerseits um den Umgang der Crew mit ihr noch zu verfeinern, andererseits um immer wieder auf eine günstigere Position zu kommen um auf den Angriff eines Feindes reagieren zu können.
Doch das schien derzeit nicht unmittelbar bevor zu stehen. Aus diesem Grund wies James am halben Vormittag die beiden Wachen des Schiffes an, sich nacheinander auszuruhen. Nach einem letzten Befehl an den Ausguck, ja wachsam zu sein und einem laschen Gruß an den Kapitän des Handelschiffes ging James nun ebenfalls unter Deck in seine Kajüte. Dort studierte er noch einmal ihren Kurs auf einer Seekarte und legte sich dann mit einem Buch über den Schiffsbau in seine Hängematte. Insgeheim plante der junge Leutnant nämlich schon länger sein eigenes Schiff bzw. Boot zu bauen und hoffte, diese Pläne irgendwann einmal realisieren zu können. Doch bis dahin blieben es Träume und aus diesem Grund rutschte ihm bald das Buch aus der Hand und er döste ein. Was wohl auch ein wenig damit zusammen hing, dass er letzte Nacht nicht geschlafen hatte.
Doch sein geruhsamer Schlaf dauerte nicht lange und wurde vor der lauten
Meldung: "Segel in Sicht" unterbrochen. Sofort war James wieder hellwach und stand wenig später an der Reling des Achterdecks. Nachdem ihm der Ausgang die Peilung genannt hatte, griff der Leutnant zum Teleskop und richtete es auf das gar nicht mehr so ferne Schiff. Dieses näherte sich ihnen von der spanischen Küste und James fluchte leise, als er die Trikolore offen über dem schlanken Rumpf der Slup entdeckte. "Vermutlich ein Zwölfkanonenschiff Sir" tat der Stückmeister seine Meinung Kund. "Mr. Day, lassen sie gefechtsklar machen" befahl der Kommandant nun und wandte sich dann dem Steuermann zu: "Zwei Strich nach Steuerbord! Dichter an Wind, sobald wir an der MELINDA vorbei sind!" Laut Befehl neigte sich die CLAIRE ihrem neuen Kurs entgegen, bevor sie dicht am entgegenkommenden Wind den Transporter hinter sich ließ und dem Franzosen entgegen strebte. Der Wind stand recht günstig für sie, entschied James, da sein Kanonenboot gut mit beiden Windrichtungen umgehen und die Anderen leicht vertrug. Der Franzose hatte zwar derzeit noch den Vorteil des achterlichen Windes, doch sobald er wendete, um die Breitseite zu präsentieren, würde er diesen verlieren. Doch auch so konnte er seinen beiden Gegner im Vorbeigehen eine Salve aus seinen Batterien schenken. Aber diesen Luxus würde ihm der Leutnant nicht so gönnen, wie er es gerne hätte. "Signal an die MELINDA: So viele Segeln wie möglich setzen!" befahl James und nickte dann den Stückmannschaften der beiden Karronaden zu, die hinter ihm auf dem Achterdeck standen:
"Kartätschen in die Rohre! Ihr wartet bis zum letzten Augenblick und wenn wir in Position sind, zerlegt ihm das Ruder!" Seine Anweisungen wurden rasch befolgt und alle Stücke an Bord ausgerannt. Der schwere und lange Vierundzwanzigpfünder auf dem Vordeck kam als erstes zum tragen, denn im Gegensatz zu dem Kanonenboot, besaß die Slup keine Buggeschütze und steckte damit, begleitet von einem lautem Donner, den ersten Treffer des Gefechts ein. "Zu weit nach rechts. Steuer ein Strich nach Backbord!" befahl James, während er die Steuerborddrehbasse persönlich übernahm. In Rekordzeit rannte die Mannschaft der Kanone unter dem Befehl des Stückmeisters ihr Geschütz erneut aus und zerschmetterte dem Franzosen die vordersten Steuerbordstückpforte sowie die Ankeraufhängung. Dieser Treffer verstärkte McKenna noch in seinem Plan rechtzeitig abzudrehen und der Breitseite des Gegners das schmale Heckprofil zu geben. Seine Befehle zum Loswerfen des Segels überschnitten sich fast mit dem Brüllen der Drehbassen, die einige Soldaten aus der Marssaling des Franzosen holten. Dadurch wäre der Ruf an den Steuermann auch beinahe zu spät wahrgenommen. Doch rechtzeitig genug warf sich die CLAIRE durch den Druck ihres Ruders herum und wurde von dem, nun genau von Steuerbord kommenden Wind fast zum kentern gebracht. Dadurch verrissen die normalerweise gut zielenden französischen Kanoniere ihre Schüsse auch und verfehlten das Kanonenboote mit den meisten Kanonen. "Feuer Frei!" brüllte James nach dem letzten Donnern der vorbeigleitenden Slup und kaum war der Pulverdampf des Gegners verflogen, hüllten die beiden bebenden Karronaden das Achterdeck der CLAIRE in dichten Rauch. "Achterkanoniere an die Riemen! Harte Wende, legt euch ins Zeug und pullt" übertönte McKenna den Gefechtslärm, während er zum Bug hastete und dabei einen raschen Schuss aus seiner Pistole abgab: "Segel trimmen und neu ausrichten sobald wir herum sind!" Sie hatten den Franzosen beschädigt. Aber noch hatte er einen Angriff auf ihren Schützling vor Augen und das mussten sie ihm austreiben. Während er einen Toten beiseite rollte, sah James wie sein Boot, unterstützt durch die Riemen wendete und erneut Fahrt aufnahm. Er zielte über den Lauf der Kanone auf das Heck des Franzosen und riss in der Aufwärtsbewegung an dem Seil des Schlosses, dass ihm der Stückmeister gerne überlassen hatte. Die Kanone ruckte zurück, während ihr Geschoss durch die Heckreling der Slup schlug und Splitter über das Achterdeck jagte. Durch die nun wesentlich günstigere Position und einem vorherigen Karronadentreffer, der das Ruder des Franzosen demoliert hatte, war die CLAIRE nun klar im Vorteil. Dieser wurde wenig später noch verstärkt, als die Kanonaden der AMANDA in den Kampf eingriffen. Zwar erzeugten diese mehr Lärm als wirkliche Treffer, doch der Franzose hätte einen Angriff auf sie teuer bezahl und einen Nahkampf vermutlich verloren. Weniger wegen der Waffen des Transporters, sondern mehr wegen des schnelleren Kanonenbootes, dessen Salven er sich in diesem Fall hätte aussetzen müssen. Klug genug das zu erkennen, zog sich der Franzose nach einem letzten Treffer der CLAIRE in sein Heck und einer nur vereinzelten und sehr zaghaften Salve der AMANDA zurück. Zufrieden ließ James nach einer letzten Salve auf die abziehende Slup wieder zum Transporter aufschließen und konnte dann erst seine Aufmerksamkeit den Schäden an seinem Boot widmen. Zwei Tote und vier Verwundete waren verkraftbare Verlustzahlen. Eine Löcher im dreieckigen Segel konnten bald geflickt werden. Nur ein Schuss des Franzosen hatte einige Planken springen lassen, wie ihm Mr. Day wenig später meldete. Kein zu ernster Schaden, auch wenn etwas Wasser eingedrungen war und sie im nächsten Hafen die Reparatur erledigen sollten. "Im Grunde haben wir uns aber gut geschlagen" schloss der erste Offizier. "Es war nicht überwältigend. Aber bedenkt man unsere Feuerkraft" stellte James mit einem zufriedenen Lächeln fest: "haben wir sie sauber geschlagen. Und das sicher nicht zum letzten Mal."
-- Der letzte Kampf der CLAIRE --
In der Reede des Hafens herrschte Hochbetrieb. Indienfahrer und Transporter wurden ent- und beladen und Fregatten und andere Kriegsschiffe verproviantierten sich hier, um die Blockade gegen die Franzosen weiter zu führen. Und kaum lief ein Schiff aus, kam bereits ein neues herein und nahm das bisschen freien Platz ein.
Am Rand des ganzen Geschehens lagen die kleineren Schiffe vor Anker oder an den äußeren Stegen. Slups, Briggs, Schoner und alle Arten kleinerer Boote.
Und hier hatte auch die CLAIRE ihren Platz gefunden, direkt hinter einer schnittigen englischen Brigg und einem einheimischen Schoner. Leutnant James McKenna saß auf der rechten Karronade des Achterdecks und war gerade dabei, seine Pistole zu reinigen und mit einem neuen Feuerstein zu versehen. Die Fertigkeit dafür hatte er von einem hier stationierten Seesoldaten erlernt, den er bei seiner Ankunft kennen und schätzen gelernt hatte. Seargent William Gates war ein fröhlicher Mann und war seit der Zerstörung seines Schiffes durch die Franzosen hier im Hafen hängen geblieben. Zumindest bis er versetzt wurde oder bis der Hafenkommandant Jame`s Ansuchen, den Seargent auf die CLAIRE zu übernehmen, bewilligt hatte. Bis dahin jedoch besuchte er das Kanonenboot regelmäßig, wenn es in den Hafen einlief, den es seit gut einem Monat als Stützpunkt sein eigen nannte. Und da es bisher keine neuen Order gab, als immer wieder größere Schiffe zu der Blockade zu eskortieren bzw. die Küsten nach durchgeschlüpften, französischen Schiffen abzusuchen, würde die CLAIRE auch weiterhin in messbaren Abständen hier einlaufen.
"Achtung an Deck, die BELLONE signalisiert" meldete in diesem Augenblick der für den Ausguck eingeteilte Matrose und sofort waren alle noch an Bord befindlichen Leute an der Reling und blickten zu der schweren Fregatte hinüber, die soeben in den Hafen eingelaufen war. "Wie lautet die Nachricht?"
wollte James wissen, während er seine Pistolenreinigung fortsetzte. "BELLONE an alle Kanonenboote: Sofort auslaufen und auf Warteposition gehen." "Da ruft die Arbeit wieder" murmelte McKenna, während er seine Waffe verstaute und sich dann an seinen Bootsmann wandte: "Alle Mann zurück an Bord und zwar hurtig!" Der Befehl wurde mit nur wenig lauterer Stimme sofort weitergeleitet und vom Zwitschern der Pfeife begleitet. Die Leute der CLAIRE am Kai beeilten sich, dass an Bord zu schaffen, was noch verladen werden musste, während zwei der Männer in Richtung Hafen rannten, um die Anderen zu holen.
Keine halbe Stunde später waren alle an Bord und zufrieden trat James neben seinen Steuermann: "Klar bei Segel und Schoten! Ins Wasser mit den langen Riemen und dann pullt Männer, pullt uns hinaus!" Die Rudel klatschten fast augenblicklich ins Wasser und dann legte das Kanonenboot ab und wurde von seiner kräftigen Besatzung aus dem Hafen gerudert. Der Stolz der Leute von der CLAIRE brachte sie sogar dazu, zwei andere Kanonenboote zu überholen und als Zweiter dort anzukommen, wo sie sich nun versammelten um auf die BELLONE zu warten. Das schwere Schiff brauchte natürlich etwas länger und bis es heraus kam, waren inzwischen sieben Kanonenboote sowie zwei Schoner versammelt. Auf erneute Flaggensignale der Fregatte hin nahmen dann alle Formation ein und hissten alle verfügbaren Segel, um Kurs auf ihr Ziel zu nehmen.
Die Beute der kleinen, aber feinen englischen Flotte hatte sich noch nicht weit entfernt, wurde jedoch von dem Angriff alles andere als überrascht. Die beiden schweren Fregatten PASTEUR und PICARD fuhren in perfekter Linie und hätten den Angriff vielleicht sogar entkommen können, wenn der Kommandant der BELLONE nicht eine kurz anhaltende steife Briese ausgenutzt und die beiden Schoner zum Abfangen nach vorne geschickt hätte. Wenig später herrschte nämlich Windstille und sorgte dafür, dass die BELLONE gerade noch längsseits zu der hinten fahrenden PICARD kommen konnte. Während sich nun die beiden schweren Schiffe Rahnock an Rahnock auf kürzeste Distanz beharkten, wobei einer der englischen Schoner und eines der Kanonenboote kräftig mitmischten, galt das Interesse der anderen sieben Schiffe der PASTEUR. Diese hatte mit einer ersten rollenden, wenn auch für die Franzosen schlecht gezielten Salve bereits ein Kanonenboot versenkt, wurde nun jedoch von den kleinen, durch ihre Riemen ordentlich in Fahrt gehaltenen Boote beschossen, während sich der Schoner vor ihren Bug gelegt hatte und seine Breitseite schonungslos einsetzte. Pulverdampf hing zwischen den Schiffen und das Krachen der Kanonen und die Schreie der Männer mischten sich zum infernalischen Lärm eines blutigen Gefechtes.
"Pullt ihr Kielschweine, pullt!" überbrüllte James den Lärm, während er seine Pistole lud und dann seinem Stückmeister zurief: "Tief zielen Mr.
Hawk! Wir wollen ihnen nasse Füße bescheren!" Der Angesprochene nickte lediglich, während die Kanoniere den schweren Vierundzwanzigpfünder wieder ausrannten und dann ließ er ihn erneut loskrachen. Die CLAIRE befand sich an der Backbordseite der PASTEUR und beharkte ihr Heck und ihr Achterschiff, in der Hoffnung, einen entscheidenden Treffer zu landen, bis der Gegner einmal die richtige Batterie bemannte. Da die flinken Kanonenboote um das größere Schiff herumglitten, mussten die Kanoniere der PASTEUR hin und her huschen, um jeweils die Steuerbord- oder Backbordkanonen auszurennen und abzufeuern. Da dabei ihr gewohnter Rhythmus durcheinander geriet, erzielten sie kaum Treffer. Ganz im Gegenteil zu den beiden Jagdkanonen im Bug der Fregatte, die inzwischen beinah das gesamte Rigg des Schoners weckgeschossen hatte und ihn damit zur Bewegungslosigkeit verdammte, weshalb er nun ganz langsam zur Steuerbordseite des Gegner abdriftete. Unter dem donnernden Hall mehrerer Kanonen zerbarst in diesem Moment eines der anderen Kanonenboote, das sich um das Heck der PASTEUR hatte schleichen wollen und von ihren Achterkanonen getroffen wurde. Der Wunsch nach Rache brandete in den Männern der CLAIRE auf, während McKenna auf das Achterdeck sprang und dem Ruderoffizier zubrüllte, den Bug auf das Ruder der PASTEUER auszurichten.
Just diesen Augenblick, als die CLAIRE wendete, hatte sich die PICARD ausgesucht, um ihren Bug ein paar Grad nach Backbord wandern zu lassen. Sei es eine freie Entscheidung ihres Kommandanten gewesen oder durch den Gefechtsdruck der BELLONE erzwungen worden oder in dem Versuch geboren worden, den zweiten Schoner zu erwischen, der sich gerade zur PASTEUR nach vorne arbeitete, es war im Grunde genommen egal. Denn ihre Bugkanonen donnerten nun auf. Zwei lange Vierundzwanzigpfünder, perfekte Jagdkanonen und gerichtete wie mit dem Lotstrick. Ob ihre Kugeln nur zu wenig Pulver hatten oder absichtlich tief gezielt waren, beide verfehlten den Schoner und schlugen in die CLAIRE ein. Die eine im Bug, wo sie die halbe Stückmannschaft der Kanonen tötete, sowie das vordere Ruderpaar durch Splitter verwundete, und die zweite Mittschiffs, in einer glücklichen Fügung direkt am Fuß des Mastes, wobei ein weiterer Ruderer den Tod fand. Das Glück bezog sich in diesem Fall auf die Franzosen, denn das laute Krachen war ein Geräusch, das James nur zu gut kannte und verfluchte. Der Mast seines Schiffes brach, nicht in einem Moment, sondern schön langsam, wodurch sich die Steuerbarkeit der CLAIRE von gut in schwierig verwandelte. "Kappt die Taue und über Bord mit dem Mast!" brüllte der erste Offizier, während der Leutnant einen hastigen Schuss aus seiner Pistole auf einen Offizier der PASTEUR abgab und sich dann dem Steuermann zuwandte: "Beidrehen, an den Rumpf der Fregatte, bevor sie ihre Stücke richten kann!" Zwar taten alle Männer ihre Pflicht und führten die Befehle augenblicklich aus, doch es war bereits zu spät. Zwei Karronaden auf dem Achterdeck der PASTEUR schickten unter lautem Donner ihre Kartätschen über das Kanonenboot. Was vom Rigg geblieben war, wurde nun zerfetzt und jeder Mann zwischen Achterdeck und Back, der noch nichts abbekommen hatte, ließ nun Blut, Haut oder auch ein Körperteil auf dem Deck zurück. Dazu gehörte auch der Erste, dem zwei Musketenkugeln aus den schrotartigen Kartätschengeschossen das halbe Gesicht weckgerissen hatten, doch er hielt sich noch auf den Beinen. Bis ihm ein französischer Soldat eine dritte Kugel direkt ins Herz jagte und er tot in das Wasser fiel, dass sich bereits im teilweise durchlöcherten Mittelteil der CLAIRE gesammelt hatte. "Über Bord, greift an oder schwimmt zur BELLONE!"
befahl James, während er sich den Uniformrock vom Körper riss und ein Entermesser in den Gürtel schob. Während die Männer über die Reling flankten, feuerte er noch einmal verbissen eine der Drehbassen ab und sprang dann mit dem Steuermann als letzter von Bord, bevor eine zweite Salve aus den Jagdkanonen der PICARD der CLAIRE ein rasches Ende bereitete.
Der Kampflärm erhielt, durch das Wasser gedämpft, einen fast nebensächlichen Charakter. Doch James war sich sehr wohl bewusst, dass die Schlacht noch nicht geschlagen war und aus diesem Grund zwang er sich zu schnellen Bewegungen und dankte wieder einmal allen Göttern, dass er schwimmen und tauchen konnte. Ein dumpfes, doch immer noch deutlich hörbares Krachen übertönte nun eine kurze Feuerpause und dann klatschte etwas großes, langes ins Wasser. McKenna identifizierte es bereits als Mast, noch bevor ihm ein Segel in den Weg klatschte. Die langsam einkehrende Atemnot ignorierend zog der Leutnant das Entermesser aus seinem Gürtel und schnitt ein Loch hinein, durch das er hindurchschlüpfte, um an die Wasseroberfläche zu gelangen.
Die Situation dort hatte sich drastisch geändert. Der Mast, auf den er nun kletterte, gehörte der PASTEUR und war, wie er nach einem kurzen Blick feststellte, ihr Besanmast gewesen. Einem überlebenden Toppgast der Franzosen den Knauf des Messers über den Schädel ziehend arbeitete sich James nun daran empor und sprang dann zur Bordwand der Fregatte hinüber. Der achtersten Stückpforte mit einem schnellen Hieb die Luke verschließend, kletterte er hinauf zum Achterdeck und zog sich mit einem lauten Brüllen über die Reling, während er einem überraschten Franzosen das Entermesser zwischen die Rippen jagte. Mit einem Ellbogenschlag drängte James einen Kanonier zurück, bevor ihn ein Pistolenschuss herum riss und danach das Achterdeck unter dem Einschlag eines Karronadentreffers erbebte.
Der Kampf dauerte nicht so lange wie gedacht, wurde aber umso härter ausgefochten. Einer der englische Schoner ging unter, als sein Pulvermagazin explodierte und überschüttete damit die PASTEUR mit Feuer und Splittern.
Enterer, Überlebende der versenkten Kanonenboote und Soldaten der BELLONE, die inzwischen die Kapitulation der PICARD entgegen genommen hatte, strömten an Bord der Fregatte und auch wenn es zu Beginn ziemlich unwahrscheinlich erschienen war, strich auch sie bald die Flagge.
Die Gefangenen beider Schiffe wurden danach auf die arg zusammengeschossene PASTEUR verladen, während die PICARD mit einer Prisencrew ausgestattet, Kurs auf England nahm. Auf dem zweiten Schiff sammelten sich ebenfalls alle überlebenden Männer der versenkten englischen Boote und unter dem Kommando des ehemaligen Kommandant des zweiten Schoners, der durch schwere Schäden inzwischen ebenfalls gesunken war, führte Leutnant James McKenna als provisorischer erster Offizier das Schiff in Richtung Gibraltar.
Zwar war die PASTEUR in bemitleidenswertem Zustand, doch überraschenderweise hatten ihre Vorratslager alles verhältnismäßig gut überstanden, sodass niemand hungern musste und die Offiziere, beider Seiten, genüsslich in der Heckkajüte speisen konnte. Noch dazu, wo der Raum durch verschiedene Treffer nicht nur all seine unterteilenden Schotten verloren hatte, sondern durch die Zerstörung der Heckgalerie auch einen improvisierten Balkon erhalten hatte. Auf diesem bezeugten die überlebenden Offiziere dann auch ihren Respekt gegenüber all der gefallenen Männer und gedachten ihrer gesunkenen Schiffe. Ein Ritual, dass ihre Heimfahrt etwas leichter machte, auch wenn die meisten von ihnen nicht wussten, wie es mit ihnen weitergehen sollte, sobald sie im Hafen angelangt waren.