Johann Keisen liebte Autos, Geld, schöne Frauen und alles, was die Menschheit als Statussymbol braucht. Aber er hasste alle Leute, die diese Dinge besaßen, denn er selbst hatte nichts. Das einzige was er hatte war ein verkommenes Elternhaus und später eine nicht gerade rosige Jugendzeit in einem Heim. Diese traurige Vergangenheit hatte ihn zu dem gemacht, was er heute war: Ein kleiner Gauner. Taschendiebstahl und kleine Trickbetrügereien brachten ihn über die Runden. Von den Lebensmitteln bis zur Kleidung organisierte er sich alles weitgehend in Kaufhäusern. Er war noch nie dabei erwischt worden. Schon aus beruflichen Gründen hatte er eine Art 6. Sinn für alles entwickelt, was nicht legal war, ihm aber dienlich sein konnte.
So waren alle seine Sinne in Alarmbereitschaft, als er über den Parkplatz des großen Bankhauses marschierte und aus den Augenwinkeln sah, wie der uniformierte Fahrer einer Nobelkarosse plötzlich heraussprang und die linke Hintertür aufriss. In strammer Haltung wartete er auf seinen dickleibigen älteren Brötchengeber, der gerade das Bankhaus verlassen hatte.
"Ein ekelhafter Untertan", dachte Keisen verächtlich. Er hasste solche Szenen, denn für untertänige Verbeugungen zeigte er nur Verachtung. Sein Hass aber verwandelte sich plötzlich in Frohlocken. Der Dicke nämlich hatte mehrmals vergeblich versucht, in den Wagen zu steigen und war jedes Mal irgendwo hängen geblieben. Nun schimpfte er laut mit seinem Fahrer, als trüge der die Verantwortung für seinen fetten Wanst. Der Fahrer stand jetzt noch mehr im Zwang und zog wie irrsinnig an der Wagentür, als wolle er sie aus den Scharnieren reißen. Endlich hatte sich der Dicke in die Polster gequetscht.
Johann Keisens Atem stockte. Da war ein schwarzer Gegenstand bei den Verrenkungen des Dicken auf das Pflaster gefallen. Offenbar hatten das weder der Dicke noch sein Fahrer bemerkt. Der gestresste Fahrer knallte die Tür ins Schloss und Keisen glaubte nicht, was sich da vor seinen Augen tat. Eiskalt ging er auf den startenden Wagen zu und als der anfuhr, warf er gekonnt seine Jacke auf dieses schwarze Fundstück auf dem Pflaster. Ein kurzer Blick hatte genügt und Johann Keisen wusste, dass er sich eine dicke Brieftasche geangelt hatte. Als er seine Jacke geschickt wieder aufhob, war nichts mehr von diesem schwarzen Gegenstand auf der Straße zu sehen.
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Ein dicker Schlitten hatte gerade vor dem Gefängnis gehalten und das Gaunergesicht hinter dem Steuer sah gespannt auf das große Tor. "Wenn die pünktlich sind", sagte Kalle zu seinem Kumpel Fiete, der auf dem Beifahrersitz hockte, "dann müßte sich das Loch da gleich öffnen." - "Bin gespannt", antwortete Fiete, "wie Bolle drauf ist". - "Wenn du schön das Maul hältst", grinste Kalle, "haste nich viel zu fürchten!" - "Außer das Gesetz", lachte Fiete, "wer bei Bolle arbeitet, steht immer mit dem Gesetz auf Kriegsfuß." - "Halt´s Maul", grollte Kalle unwirsch, "sonst steckst du wirklich schneller im Dreck als du glaubst".
Axel Bolkow, von seinen Kumpanen kurz "Bolle" genannt, kam nicht zum erstenmal aus dem Gefängnis. Er hatte ständig etwas auf dem Kerbholz, aber auch die besten Anwälte und Verbindungen zu den höchsten Kreisen. So hatte man ihm Betrug, Raub, Mord und Totschlag noch nie nachweisen können. Rasch war er nach Festnahmen wieder auf freien Fuß.
"Bolle" war der Big-Boss im Rotlichtmilieu dieser Stadt. Ein Kerl ohne die geringsten Skrupel, aber wer sich auf seine Seite schlug und zu ihm hielt, hatte finanziell ausgesorgt, .......wenn er nicht im Gefängnis landete. "Da kommt Bolle ja schon", staunte Kalle zufrieden, "die Kerle sind ja heute überpünktlich!"
Nach kurzer Untersuchungshaft öffnete sich für Bolkow auch heute wieder das Tor. Bolle kam zum Wagen und machte einen gut gelaunten Eindruck: "Hallo Jungs, schön, dass ihr pünktlich da seid." - "Ist doch klar Boss", knurrte Kalle, der am besten wusste, was die Uhr geschlagen hätte, wäre er nicht pünktlich gewesen. "Bolle" haute sich auf die Rückbank und schlug Fiete auf die Schulter: "Na, alte Spitzmaus, hatt´ste auch Sehnsucht nach mir?" - Fiete lächelte säuerlich und nickte: "Sicher Boss." - Kalle fragte: "Soll ich gleich zur "Herberge" oder........" - "Wenn du nochmal so dämlich fragst, dann.....was denn sonst, Mensch. Aber nu mal flott!"
Natürlich bereitete man "Bolle" im "Milieu" einen entsprechenden Riesenempfang. Die "Herberge" war sein Laden in dem alle Orgien liefen, wenn es heiß hergehen sollte. Heute war so ein Tag. Die vielen Mädels, die Bolle sein Eigentum nannte, die ihn und seine Kumpane fürchteten und deshalb für sie "anschafften", waren heute sehr um das Gelingen der Feier und um die Gunst des Bosses bemüht.
Dennoch - - es war nur Barbara, zu der es ihn zog. Seine Barbara war für ihn mehr als nur sein bestes "Pferd im Stall". Barbara war ein blendend aussehendes Mädchen, eine Edelnutte, die es sich leisten konnte, ihre Freier auszuwählen. Die tolle Barbara lebte in einem Prachtbau, hatte eine gute Schulbildung und liebte an ihrem Job die extremen Honorare. Aber auch sie kannte die echte Liebe und hatte ihr Herz an Axel Bolkow verloren. Heute war Axel endlich wieder da und alle Geschäfte der Welt konnten nun warten. Bolle und Barbara waren unzertrennlich.........
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Geld, sehr viel Geld! Was Johann Keisen hier sah, konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Die dicke Brieftasche in seinen Händen war mit großen Scheinen gefüllt, als handele es sich bei diesem enormen Betrag um das Monatsgehalt vieler hochdotierter Direktoren eines Weltkonzerns. Keisen konnte es nicht glauben - dieses viele Geld ausgerechnet in seinen Händen! Nein, er träumte nicht, hatte die vielen Scheine schon mehrmals gezählt und kam immer wieder auf das gleiche unglaubliche Resultat. Johann Keisen war jetzt ein reicher, gemachter Mann. Dieser Betrag, der sich in der schwarzen Geldbörse befunden hatte, würde ihm bei richtiger Anlage, ein sorgenfreies Leben garantieren. An diesem Fund musste etwas faul sein, denn kein normaler Mensch hebt einen derartigen Betrag von einer Bank ab, um ihn persönlich zu transportieren. Skrupel jedoch kannte Keisen nicht. Ihm war gleichgültig, um was für eine Art Geld es sich hier handelte, solange es nur in seinen Händen blieb. Nun konnte er sich alles leisten! Frauen, mit denen er immer reichlich Probleme hatte, sollten nun nicht mehr länger auf ihn warten! Er besorgte sich gleich drei Zeitschriften und studierte die Kontaktanzeigen. Das Leben konnte beginnen.
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Ingrid hatte Johann Keisen gezeigt, wie schön das Leben an der Seite einer Frau sein kann. Doch nach sechs Wochen war die anfängliche Zärtlichkeit der Habgier gewichen. Mit Regina, Lisa und Rosi war es dann nicht anders gewesen. Alle hatten ihn über den Tisch gezogen und Johann Keisen war schnell die Lust an solchen Weibern vergangen.
Die "Indra-Bar" aber hatte es ihm angetan, denn schon oft war ihm dort eine ungewöhnliche Frau begegnet, an der er trotz aller vorheriger Enttäuschungen Gefallen gefunden hatte. Nun nahm er seinen Mut zusammen: "Darf ich Sie zu einem Drink einladen?" - "Warum nicht", hörte er sie mit betörender Stimme sagen und war erstaunt, dass es so leicht gelaufen war. "Meine Freunde nennen mich Hannes", sagte er leichthin, obwohl er sich nicht eines einzigen Freundes rühmen konnte. "Barbara", sagte sie nur schlicht. "Kann es sein, dass wir uns hier schon einmal begegnet sind", gurrte sie verführerisch, nachdem sie sich eine Zigarette in den Mund gesteckt und er ihr Feuer gereicht hatte. Keisen nickte heftig und war naiv genug fast zu verraten, dass er ewig nur ihretwegen hier antrabte. Nein, er war kein Macho und von Frauen verstand er nichts. "Es ist nett, dass wir beide uns hier gefunden haben", schmeichelte sie wie eine Katze und Keisen lief das Herz über. Wie er es deutete, signalisierte sie ihm unaufhörlich ihre Sympathie. "Barbara", sagte er nach der vierten Flasche Champagner, "du bist die Traumfrau für mich. Mit dir würde es sich lohnen, das weitere Leben gemeinsam zu gestalten". - "Warum nicht", sagte sie wieder und Keisen staunte, wie einfach das abermals gelaufen war. "Weißt du, Geld spielt keine Rolle", lallte er schon etwas und erzählte seinem Schwarm die ganze Geschichte seines Vermögens.
Schon am gleichen Abend war er mit zu ihr ins warme Nest gehüpft und hatte sich endlich geborgen gefühlt. "Wollen wir ein Leben lang zusammenbleiben?" Diese Frage, die ihr ein anderer nicht einmal im Suff gestellt hätte, war von ihm ernst gemeint. - "Warum nicht", lächelte Barbara auch dieses Mal hintergründig. Während der nächsten Tage zeigte die tolle Barbara viel Verständnis für seine Sorgen und Nöte und fand immer eine Lösung für jedes Problem. "Nein, vor dir, meine Barbara brauche ich kein Geheimnis zu wahren, bei dir zerfließt mir das Herz auf der Zunge", hatte er getönt und zärtlich ihren schönen Körper gestreichelt. - "Ja, mein teurer Hannes", hatte sie geflötet, "das soll es doch auch, das muss es sogar!"
Kuschelig war es und der Champagner schmeckte heute besonders gut. Barbara und Johann saßen gemütlich auf der Couch ihrer Luxuswohnung und vor ihnen lagen die dicken Scheine, die Johann mitgebracht hatte. Sie beratschlagten, wie man seinen Reichtum noch vermehren konnte. Barbara hatte sehr gute Ideen zur lukrativen Geldanlage, was ihn enorm beeindruckte. "So richtig habe ich es nicht verstanden, mein Liebling", sagte Johann und gähnte hemmungslos, "Du musst mir das morgen noch mal genau erklären, denn ich verstehe nicht viel von solchen finanziellen Transaktionen. Aber heute bin ich totmüde".
Barbara wusste ganz genau, dass "Bolles" Tropfen, die er ihr neulich auf den Tisch gestellte hatte, ihre Wirkung nicht verfehlen würden. Schließlich konnte sie sich auf einen Mann wie Axel Bolkow hundertprozentig verlassen! Sie legte ihren Kopf an Johanns Schulter, streichelte ihm zärtlich über das Haar und sagte leise: "Nun schlaf, mein Prinzchen, schlaf endlich ein!" Das waren die letzten Worte, die Johann Keisen wie aus weiter Ferne hörte.
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Dunkelheit lag an der Stelle der Stadt, wo sich der Fluss unter der kleinen romantischen Brücke hindurchschlängelt. Das Schlagen der Wellen war zu hören und Eva und Heinz saßen frisch verliebt auf der Parkbank, hielten sich fest im Arm und rieben ihre Wangen zärtlich aneinander. Mehr wurde heute daraus nicht, denn Eva starrte plötzlich auf das Ufer am Flüsschen: "Sieh mal, ich glaube, da drüben liegt ein Toter", sagte sie entsetzt und aus war es mit den Gefühlen füreinander. - "Quatsch", sagte Heinz genervt, "Du immer mit Deinen Horrorvorstellungen! Das ist nur zusammen gekehrtes Laub!"-
"Seit wann hat zusammengekehrtes Laub denn Arme und Beine?", fragte Eva aufgeregt. Beide fassten sich nun bei der Hand und wollten Gewissheit. Es waren nur wenige Schritte bis zum Wasser. "Verdammt, Du hast recht", rief Heinz erschrocken, "komm schnell, da vorn habe ich vorhin eine Notrufsäule gesehen!"
Kurz darauf wurden Polizeiwagen und Rettungswagen der Feuerwehr an die Böschung gefahren und Scheinwerfer begannen das Ufer abzuleuchten. Die gesuchte Leiche lag mit dem Gesicht im Wasser. "Irgendwelche Personalien zu erkennen?", fragte ein Polizeibeamter. - "Nein", antwortete ein Kollege, "noch nichts Brauchbares gefunden." - "Hey, ich glaube, diesen Mann kenne ich", rief ein Feuerwehrmann rüber, "der lebt in meiner Gegend in einer Gartenlaube und ist so was wie ein Penner. Bei unserem Bäcker hat er sich eine Zeit lang immer das alte Brot zusammengeschnorrt!" - "Weißt Du, wie der Kerl heißt?" - "Nicht genau, aber in unserer Straße nannten sie ihn alle Hannes Kreisen oder so ähnlich..........."
Am nächsten Tag konnte man in der Zeitung lesen, dass eine männliche Leiche bei der Brücke am Fluss gefunden worden war. Bei dem Toten handelte es sich, wie man inzwischen herausbekommen hatte, um einen gewissen Johann Keisen, den bisher niemand vermisst hatte.........