"Kann ich es mit auf mein Zimmer nehmen?", rief die vierjährige Annalena zu ihrem Vater und meinte ein kleines Babybündel, das sorgsam eingepackt auf der Gartenliege vor dem Ferienhotel lag. "Das hat der Osterhase extra für mich hingelegt. Ja, es ist mein Brüderchen!"
Inzwischen gab es einen turbulenten Menschenandrang auf der grünen Osterwiese. Die Sonne strahlte schon sehr warm vom Himmel, und die Hotelgäste hatten sich zum Osterspaziergang versammelt. Doch nun sahen sie neugierig auf das Baby, das wie ein Bündel geschnürt, auf einer mollig dicken Babydecke lag, mit seinen winzigen Ärmchen ruderte, und munter vor sich hin gluckste. Direkt davor hockte ein quirliges Mädchen, betätschelte das Menschlein und rief immer wieder: "Das ist mein Brüderchen vom Osterhasen! Ja, ist meins! Mein Osternest habe ich schon allein gefunden!"
Annalenas Vaters versuchte, seine Tochter von der Kuschelliege weg zu ziehen. Es gelang ihm aber nicht, Annalena schrie aus Leibeskräften: "Ich habe es beim Osterhasen bestellt. Ja! Heute ist Ostern und er hat es mir gebracht. Ich nehme es mit aufs Zimmer."
Als Annalenas Mutter aus der Hoteltür trat, hörte sie schon von weitem ihre kleine Tochter lärmen. Als sie vernahm, was Annalena so laut schrie, war es ihr ein bisschen peinlich, dass irgendwer ihrer Annalena ein Ammenmärchen vom Osterhasen, der Osternester und Ostergaben auf die grüne Wiese legt, erzählt hat. Ich hätte Annalena aufklären müssen, dass Hasen keine Geschenke bringen und erst recht keine Babys, gestand sie sich ein. Sogleich nahm sie Annalena zärtlich in die Arme und beruhigte ihr kleines Mädchen. "Das ist nicht dein Brüderchen, Annalena. Es hat auch nicht der Osterhase gebracht. Wie soll ein Hase ein Baby getragen haben? Und wo soll er es her geholt haben?"
Durch Annalenas fröhliches Gesicht zog ein dunkler Schatten. Aber die Mutter redete liebevoll mit ihr und versprach der Tochter, sicher würde sie ihr bald ein Brüderchen schenken, ganz bestimmt. Und zwar sie selbst - nicht der Osterhase.
Plötzlich kam die Mutter des Babybündels mit einem Fläschchen Fencheltee angerannt. Sie drängte sich durch die schaulustige Menschenmenge und hob das Kind sanft in ihre Arme. Als sie den Nuckel in den drolligen Babymund gesteckt hatte, setzte rundherum anheimelnde Stille ein. Alle schauten befangen auf den lutschenden Säugling und vergaßen den geplanten Osterspaziergang. Annalena schmiegte sich dicht an die Frau, die dem Baby die Nuckelflasche reichte und fragte laut: "Darf ich bitte das Osterbündel mal spazieren fahren? Nur solange, bis mir Mama ein Brüderchen schenkt. Vielleicht klappt es ja schon zum nächsten Osterfest."