Er starrte auf seinen Laptop. Die Ideen schwirrten in seinen Gedanken wie die Bienen um seine Rosenstöcke. Die Sonnenstrahlen suchten ihren Weg durch die Baumwipfel und veranstalteten ein Lichtspiel auf seinem Gartentisch. Wenn er nicht gerade tippte, so strich Jack Voyles sich das schulterlange, braune Haar mit den Fingern aus dem Gesicht, lehnte sich zurück und suchte im Himmel nach spannenden Einfällen für seinen Kurzroman. Der frisch aufgebrühte Kaffee in seinem gelb-blau gestreiften Becher dampfte vor sich hin.
Das Telefon läutete durchs offene Fenster und riss ihn aus seinen Gedanken. Er erhob sich träge, ging über die Terrasse ins Haus und nahm den Hörer ab.
"Hallo?"- Am anderen Ende der Leitung hörte er ein seltsames Rauschen. "Hallo, wer ist denn da?" - wieder nur Rauschen. Plötzlich hörte er eine aufgeregte schlumpfartige Stimme: "Kial pok sama ral... Madela hinda solasiris ...Waraki! Waraki!"
Voyles runzelte die Stirn. "Wie bitte? Ich verstehe Sie nicht. Was wollen Sie? ... Hallo?" Ein Klicken und die Leitung war tot. Völlig verwirrt schaute Voyles auf seinen Hörer und kratzte sich an der Stirn. Er legte auf und ging kopfschüttelnd zurück in den Garten. Dass die Kaffeetasse jetzt leer war, bemerkte er nicht.
In Gedanken versunken starrte er auf die kleinen grünen Männchen, die sich kreuz und quer über seinen Bildschirm bewegten. Dann bewegte er die Maus, um den Bildschirmschoner auszuschalten und weiterzutippen. Das Textdokument, das sich ihm jetzt offenbarte, raubte Voyles den Atem. Er scrollte das virtuelle Papier zweimal nach unten und wieder hoch und rieb seine Augen. Anstatt der zehn Zeilen, die er seit dem frühen Nachmittag geschrieben hatte, schaute er jetzt auf Wörter und Sätze, die nicht von seinen Fingern getippt worden waren. Voyles fuhr hoch und schaute sich um. Wer hatte sich an seinem Laptop zu schaffen gemacht? Er war alleine im Garten. In der Ferne brummte ein Rasenmäher. Die Blacks von nebenan waren schon seit einer Woche im Urlaub. Weit und breit kein Mensch. Er zuckte zusammen. War da nicht gerade was im Gebüsch? Er schlich auf Zehenspitzen an der Hauswand entlang auf die dichte, dunkle Hecke zu. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Plötzlich huschte etwas Schwarzes durch die Blätter, flitzte heraus, zwischen Voyles Beine durch und verschwand hinterm Haus. Starr vor Schreck stand er noch da als ihn bereits der Gedanke durchzuckte, irgendwann dafür zu sorgen, Nachbars Kitty den Garaus zu machen. "Scheiß Katzen", fluchte er vor sich hin.
Er stürzte zurück an seinen Bildschirm. Von der Neugier gepackt las er, was da wie von Geisterhand geschrieben stand:
'Hallo Jack. Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Ich kann dir nicht sagen, wer ich bin, oder woher ich komme. Du kannst mich nicht sehen, aber ich kann dich beobachten. Ich bin sozusagen auf der "anderen Seite des Spiegels".'
Voyles schreckte wieder hoch und drehte seinen Kopf nochmals in alle Richtungen. Sollte jemand versteckte Kameras auf seinem Grundstück angebracht haben? Er las weiter.
'Nein Jack, in deinem Garten sind keine Kameras versteckt.'
Jetzt schnürte sich seine Kehle zusammen. Woher wussten diese Sätze, was er gerade dachte?
'Ich habe auch nicht die Absicht, mich allzu sehr in dein Leben einzumischen. Vielleicht ist es auch gefährlich, mit dir Kontakt aufzunehmen, aber es reizt mich einfach und ich finde das sehr aufregend. Ich kann jeden deiner Gedanken lesen.''
Voyles raufte sich die Haare. "Bin ich denn übergeschnappt?" Er versuchte ruhig zu bleiben und eine rationale Erklärung für dieses unheimliche Phänomen zu finden. War es möglich, sich übers Internet in ein fremdes Textdokument einzuloggen? Selbst wenn es möglich war, wie in aller Welt konnte dieses Phantom seine Gedanken wiedergeben? Sollte er sich auf einen Kontakt einlassen? Wenn ja, wie gefährlich konnte das werden?
Ihm schoss ein Gedanke durch den Kopf. Es ist ein Traum! Aber sosehr er sich in die Backe auch kniff, er wachte nicht aus einem Schlaf auf. Es war Realität. Er war wirklich hinter seinem Haus in seinem Garten, an seinem Gartentisch und da stand sein Laptop. Eine Maschine, die plötzlich lebendig wurde. Es wurde ihm sehr unheimlich zu Mute und er fühlte sich von allen Seiten beobachtet. Der Bildschirmschoner ging wieder an und die kleinen grünen Männchen tanzten in ihrer heilen Welt über den Monitor. Voyles bewegte die Maus. Die Männchen verschwanden und das Dokument öffnete sich. Da waren sie wieder. Seine zehn Zeilen, die er selbst getippt hatte. Der Beginn seines Kurzromans. Nicht mehr und nicht weniger. Sollte es doch ein Hirngespinst gewesen sein? Er starrte noch eine ganze Weile auf seinen Bildschirm aber es rührte sich nichts. Er konnte nicht begreifen was ihm wiederfahren war. Vielleicht hatte er inzwischen so viele Romane geschrieben, dass er Realität und Fiktion nicht mehr auseinanderhalten konnte. Er entschied, den Text zu speichern und den Gartentisch abzuräumen. Vermutlich hatte er zu lange gearbeitet. Mit dem Laptop unterm Arm griff er geistesabwesend zu seinem Kaffeebecher, mit der Absicht den Rest auszutrinken...
Dass er selbst nur eine Schöpfung meiner Gedanken und somit Teil einer Fiktion ist, das ist Jack nicht bewusst. Ich lehne mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und überlege mir, ob es nicht übertrieben war, einen seiner Bildschirmschoner-Männchen bei ihm anrufen zu lassen. Aber nur durch diese Ablenkung konnte ich mich kaffeeschlürfend an seinem Laptop zu schaffen machen, um Kontakt aufzunehmen. Weil Jack mir am Ende leid tat und ich nicht wollte, dass mein erster fiktiver "Held" gleich durchdreht, hab ich mich schnell wieder aus dem Staub gemacht.
Mein Telefon klingelt und reißt mich aus meinen Gedanken...