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德文短篇:Ein Gemälde als Weg zur Liebe

时间:2011-11-07来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: 德文短篇

 Als Karl zum Fenster hinaus schaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem Alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus. 

Zur gleichen Zeit saß Sheryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnelltrasse beträgt die Fahrtzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. 
Sheryll blätterte versunken ihre Unterlagen durch: das hier, das konnte ihr ganz ganz großer Durchbruch werden. Wenn es ihr gelingen würde, mit diesem in vielen Stunden sorgfältig ausgearbeiteten Konzept zu überzeugen und damit Fuß zu fassen in einer der angesehensten und erfolgreichsten internationalen Agenturen -- dann endlich wäre sie am Ziel ihrer Träume angelangt! All ihren Ehrgeiz hatte sie in dieses Projekt hineingelegt -- was sie hier in den Händen hielt, das war einfach perfekt!
Die Wangen der jungen, anmutig aussehenden blonden Frau färbten sich rosig bei der Vorstellung ihres Erfolges. Während sie alles noch einmal durchblätterte und hier und da den allerletzten Schliff anlegte, war all ihre Aufmerksamkeit beansprucht und sie nahm nichts wahr von der vorbei rauschenden lieblich-reizvollen Landschaft. Sie achtete auch nicht auf die Menschen um sich herum. Ein flüchtiger Blick auf ihre Armbanduhr: noch eine halbe Stunde, dann war der Airport Frankfurt erreicht, und dann würde sie in den Flieger nach London steigen und noch heute Abend Paul treffen, der sie mit den namhaftesten Leuten der Branche bekannt machen wollte. Dann würde sie ihnen ihr Konzept präsentieren -- Sheryll war ja so aufgeregt! Sie wollte ganz groß rauskommen, um jeden Preis! 
Karl konnte seinen Blick nicht lassen von der atemberaubend schönen Stimmung, die von der alten Burg mit ihrem mächtigen Turm ausging. Die langsam sinkende Sonne tauchte sie in ein wunderbar warmes goldenes Licht. Im Geiste griff er zu seiner Leinwand, den Farben und Pinseln -- um dieses einmalig schöne Bild festzuhalten. Wie gern würde er das jetzt tun! Aber in nicht mal einer halben Stunde fing sein Dienst an, ihm blieb nicht mehr viel Zeit zum Genießen dieser Schönheit und Ruhe.
Sein Blick fiel auf das Foto an der Wand neben der alten Uhr, ein Familienfoto aus seinen Kindheitstagen.
Seine eben noch so frohe Stimmung trübte sich. Familienidylle? Nein, weit gefehlt -- das war sie hier nur zum Schein. Seine Eltern hatten ihm nie verzeihen können, dass er sein erfolgversprechendes Ingenieurstudium abgebrochen hatte, einfach so, um mehr Zeit und Ruhe zu haben für seine geliebte Malerei, die ihm alles bedeutete. In ihren Augen war er ein "Versager", ein "Träumer", "lebensuntüchtig" -- unfähig, sich in der Gesellschaft einen Platz zu erobern. Es tut weh, ein Versager genannt zu werden, nur weil man der sein will, der man ist, und seinen eigenen Traum verwirklichen möchte. Seine Eltern hatten ihn seit diesem Entschluss als Sohn verstoßen.
"Wage es bloß nicht, noch einmal unser Haus zu betreten und um Geld zu betteln!" Die harten Worte seines Vaters hallten ihm noch in den Ohren.
Natürlich war ihm klar, dass er von seiner Malerei noch nicht leben konnte -- aber was brauchte er schon zum Leben? Ein Dach überm Kopf, eine bescheidene Mahlzeit -- damit war er zufrieden. Wenn er malen durfte, dann konnte er alles um sich herum vergessen und einfach nur glücklich sein.
Seine Brötchen verdiente er durch allerlei Gelegenheitsjobs. Seit kurzem chauffierte er Sanitäter zu Notfallpatienten oder Unfallstellen. Es war OK und reichte zum Überleben. 
An diesem Tag jedoch sollte sich sein Leben radikal verändern.
Die Einsatzstelle bekam die Meldung: "Bahnhof Limburg - im Zug bewusstlos gewordene Frau! Unplanmäßiger Halt des ICE. Bitte Notversorgung und Transport in die Klinik."
Am Bahnof angekommen, begleitete Karl die beiden Sanitäter zu besagtem Zug, um eventuelle Hilfestellung zu leisten. Ein Bahnhofsvorsteher führte sie zum ICE-Wagen, in dem sich die Patientin befand, und die beiden Sanitäter begaben sich rasch hinein, während Karl mit der Tragebahre auf dem Bahnsteig wartete.
Wenig später trugen sie eine junge Frau aus dem Zug und Karl half, sie auf die Bahre zu legen und dort festzuschnallen. Plötzlich öffnete sie ihre Augen - und Karl durchzuckte es wie ein Strom. Er sah in das Paar wunderschönster und glänzendster blau-grüner Augen, das er jemals gesehen hatte. Er konnte seinen Blick nicht mehr abwenden von diesem lieblichen Gesicht, dessen blass gewordene Wangen von weichem blondem Haar umspielt waren.
Sherylls wohlgeformte Lippen öffneten sich und sie brachte schwach die Fragen hervor: "Wo bin ich? Was ist passiert?" Plötzlich macht sich Erschrecken breit auf ihrem zarten Gesicht: "Ich muss nach Frankfurt, sofort! Zum Flughafen, bitte!"
"Wir fahren Sie in die Klinik, schöne Frau - Sie sind zusammengebrochen und waren ohne Bewusstsein und gehören jetzt erstmal in ärztliche Versorgung - ganz sicher aber nicht in ein Flugzeug!" erwiderte einer der Sanitäter.
Sheryll fühlte sich zu schwach, um zu antworten....... Karl schaute die schöne junge Frau unverwandt an... ihre Erscheinung prägte sich ihm fest ein, die wundervollen blau-grünen Augen, die wieder etwas rosiger werdenden weichen Wangen, ihre sanften vollen Lippen, das weiche Haar.... noch niemals in seinem Leben war er von einer Frau so fasziniert gewesen. Er glaubte sich in einem Traum.
Sie lieferten Sheryll in der Klinik ab - wie gerne wäre er ihr gefolgt... -. aber ein neuer Auftrag tönte durch das Mikrophon: "Fischmarkt 3, Erdgeschoss - älterer Mann mit Atembeschwerden!" Karl bekam alles nur noch wie durch einen Schleier mit - die Realität war für ihn nicht mehr existent. Er musste immer nur an dieses liebliche Gesicht, an diese strahlenden Augen denken. 
Es war 2 Uhr nachts, als sein Dienst beendet war. Nein, unmöglich konnte er jetzt schlafen. Er holte seine Leinwand und die Farbpalette, knipste das Oberlicht an und begann zu malen - er wollte SIE festhalten auf dieser Leinwand, so, wie er sie in Erinnerung hatte, ihr Gesicht, ihre Augen, ihre Nase, ihren Mund.... er malte mit wachsener Leidenschaft und spürte von Sekunde zu Sekunde mehr Liebe in sich - Liebe zu dieser wundervollen Frau, deren Namen er nicht einmal wusste. Aber diese Frau hatte etwas in ihm geweckt, das vorher nicht da war - und eine unbeschreibliche Sehnsucht packte ihn. Er merkte nicht, dass längst die Sonne aufgegangen war, er malte weiter und konnte erst aufhören, als sein Werk vollendet war.
Es wurde ein einmaliges Portrait - das schönste und beste, das er jemals fertig gebracht hatte. Er stellte es mitten im Raum auf - und seine Sehnsucht, vermischt mit der Genugtuung über sein Werk, erreichte ihren Höhepunkt.
Würde er sie jemals wiedersehen? 
Sheryll schlenderte zufrieden durch London. Zu dumm, dass sie das Essen verpasst hatte aufgrund dieses unpassenden Schwächeanfalls. Aber sie hatte es sich selber zuzuschreiben - nachdem sie Tag und Nacht an diesem Projekt gearbeitet hatte, musste ihr Körper ja rebellieren - ihre Freunde und Bekannten hatten sie schließlich gewarnt, aber ihre Karriere stand nun mal an erster Stelle. Nichtsdestotrotz war alles gut gegangen - man hatte das Meeting um einen Tag verschoben, und sie hatte ihr Konzept mit großem Erfolg präsentieren dürfen - und jetzt war sie wirklich bester Hoffnung, dass sie den dicken Fisch an Land gezogen hatte. Da - ihr Handy klingelte. "Sheryll Bender?" - "Paul hier. Herzlichen Glückwunsch, Sheryll, du hast das ganze Komitee mit deinem Konzept überzeugt und bekommst den Auftrag - außerdem stehen noch etliche andere Projekte in näherer Zukunft an. Sheryll - du hast es geschafft!" Sie jubelte innerlich laut auf..... dies, dies war der schönste und ergreifendste Augenblick ihres Lebens! 
Karl träumte unterdessen immer noch von der Frau auf seiner Leinwand, in die er sich unsterblich verliebt hatte. Abends lag er im Bett und stellte sich vor, sie sei bei ihm. Er küsste zärtlich ihre Lippen, er strich ihr durch ihr weiches blondes Haar, streichelte sie sanft und liebevoll überall und verwöhnte sie zärtlich mit seinen Händen und Lippen, bis ihre Körper in liebevollen Umarmungen eins würden.
Würde er sie jemals wiedersehen?
Und wenn? Plötzlich verdunkelte sich sein Gesicht. Und wenn? Was wollte sie mit einem wie ihm? Er war ein Versager, ein Träumer, verdiente kaum genug Geld für sich selbst. Was konnte er ihr überhaupt bieten? Seine Eltern hatten Recht gehabt - er war ein Versager, unfähig, eine Frau wie diese jemals für sich begeistern zu können. 
Die Bilder, die er von jetzt an malte, spiegelten seine Gedanken und Stimmungen wider. Er war plötzlich nicht mehr daran interessiert, Landschaften oder Burgen zu malen - jedes einzelne Bild war eine Momentaufnahme seiner Seele, jedes brachte etwas anderes von ihm zum Ausdruck: mal war es Liebe, oder Sehnsucht, oder Zorn, Enttäuschung, oder unendliche Wehmut und Traurigkeit, Angst, oder Zärtlichkeit, oder Bitterkeit. 
Eines Abends klingelte es an der Tür, und sein ehemaliger Schulfreund Pete besuchte ihn. Er war inzwischen erfolgreicher Auktionär und tingelte mit seiner Ware durch ganz Europa. Sie unterhielten sich über alte Zeiten, und Pete wurde aufmerksam auf Karls Bilder.
"Hör mal - die sind gut! Was hältst du davon, wenn ich eine Auswahl auf meine nächste Auktion in Paris mitnehme?" Karl stutzte. "Meinst du wirklich? Ja, von mir aus, such dir aus, was dir am besten gefällt!" Irgendwie schmeichelte Karl der Gedanke, dass seine Bilder einem breiteren Publikum vorgestellt werden sollten. Pete betrachtete sich eingehend Karls Bilder, insbesondere seine Stimmungsbilder sagten ihm sehr zu. Dann sah er das Portrait von der unbekannten Frau. "Du, Karl, das ist genial - das muss ich unbedingt mitnehmen!"
- "Nein!" widersprach Karl. "Dieses Bild werde ich niemals verkaufen!" Pete überlegte einen Augenblick lang. Dann antwortete er: Du brauchst es auch nicht zu verkaufen - lass es mich ausstellen, damit die Leute sehen, wie du malen kannst. Allein das zählt. Vielleicht bekommst du aufgrund dieses Bildes mehrere Portraits in Auftrag?"
Karl war zuerst hin- und hergerissen, ließ sich aber schließlich dazu überreden, Pete das Bild zu überlassen. "In acht Tagen hast du es wieder - dann bin ich zurück aus Paris. Versprochen!"
Er war damit einverstanden - schließlich war das Bild seiner Angebeteten unauslöschlich in sein Herz gebrannt. 
Sheryll hatte ihr erstes eigenes Projekt erfolgreich zuende gebracht und war nun auf dem Weg nach Paris, um dort ein neues Projekt in Angriff zu nehmen. Sie war happy, natürlich, und ihr Ehrgeiz war noch genauso groß wie am Anfang. Aber irgendwie fühlte sie sich ausgepowert. Die Arbeit hatte ihr unheimlich viel Spaß gemacht. Gleichzeitig fühlte sie sich innerlich leer, wusste aber nicht wieso und weshalb. In Paris sollte sie mit einer Design-Firma zusammenkommen. Sie flog einen Tag früher, um noch Zeit zu haben, sich die Stadt anzuschauen. Es war ihr erster Besuch hier. Paris - die Stadt der Liebe. Liebe? Daran zu denken hatte sie in den vergangenen Jahren ihres Studiums und des Aufbaus ihrer Karriere nicht einmal die Zeit gehabt. War es das, was ihr in ihrem tiefsten Herzen fehlte - die Liebe? Sie beobachtete verstohlen die verliebten Pärchen, die eng umschlungen durch die Parks gingen, sich umarmten und küssten - und irgendwie machte sich Wehmut in ihrem Herzen breit. Eine Wehmut, die sie bisher gar nicht gekannt hatte - aber plötzlich war sie da. 
Auf einmal blieb Sheryll wie angewurzelt stehen und hatte das Gefühl, den Boden unter ihren Füßen zu verlieren. Ihr Blick fiel in ein Schaufenster eines Auktionshauses, und - nein, sie traute ihren Augen nicht - da sah sie ein Bild von SICH. Das konnte doch nicht möglich sein. Sicherheitshalber kniff sie sich in den Arm, schloss ihre Augen dabei und öffnete sie wieder: nein, unfassbar, es war immer noch da - ein Bild, das sie, Sheryll zeigte. Sheryll betrat das Auktionshaus und betrachtete das Bild aus der Nähe - dabei wurde ihr ganz, ganz anders. Sie hätte nicht beschreiben können, welche Empfindungen sie dort beim Anschauen ihres Portraits übermannten - das war nicht einfach ein Portrait, darin kamen gewaltige Gefühle zum Ausdruck, darin war Liebe zu lesen. Jedes Detail war derart liebevoll dargestellt und ausgedrückt - sie hätte niemals Worte dafür finden können. Ihr kamen Tränen in die Augen.
Sie hielt Ausschau nach dem Auktionär. Als sie ihn endlich fand, fragte sie ihn: "Wer hat dieses Portrait gemalt?"
Pete antwortete: "Ja, ist es nicht wundervoll - sehen Sie, daneben stehen noch mehr Bilder von diesem Künstler, er lebt in Deutschland."
Erst jetzt stutzte Pete und erkannte mit wachsender Überraschung in Sheryll die Darstellung des Portraits. 
Sheryll ging zurück zu dem Bild und nun betrachtete sie auch die Bilder daneben. In jedem einzelnen erkannte sie Gefühle, Leben, Tiefe, Leidenschaft. Sie hätte sich nicht vorstellen können, einmal angesichts von Bildern derartig tiefen Empfindungen ausgesetzt zu sein, zumal sie sich bisher nie sonderlich für Malerei und Kunst interessiert hatte. Die Zeit verging, und sie merkte es kaum, so fasziniert war sie vom Anblick dieser Bilder und vor allem - ihres Portraits.
Pete beobachtete sie schweigend. Schließlich näherte er sich der jungen Frau. "Gefallen Ihnen die Gemälde?"
"Bitte sagen Sie mir, wer ist der Maler, und wo wohnt er?" Pete gab ihr Auskunft, dass der Künstler sein Freund Karl Schneider aus Limburg war, einem kleinen Ort an der Lahn. 
In Sherylls Kopf überschlugen sich die Gedanken. Jemand, der sie so gut malen konnte, der musste sie sehr gut kennen - aber wer kannte sie so gut? Wie war das möglich? Mit einem Mal war es, wie wenn ein Blitz sie durchzuckte. Plötzlich konnte sie sich an ein Paar tiefblauer Augen erinnern, die sie ansahen und immer wieder ansahen..... es war damals, vor ein paar Monaten, bevor sie ihren großen Durchbruch in London hatte..... als sie im ICE zusammengebrochen war und irgendwo auf der Strecke aus dem Zug getragen und in die Klinik gefahren werden musste... dieser Sanitäter oder Fahrer oder wer das war, mit seinen blauen Augen, die sie so liebevoll ansahen..... Der Ort an der Lahn..... Plötzlich durchströmte sie ein ganz warmes Gefühl, unerklärlich, das sie in dieser Form noch nicht erlebt hatte.
Konnte es sein, dass dieser Mann...?
Sheryll erinnerte sich, wie wütend sie damals gewesen war über diesen Schwächeanfall. Nur ihre Karriere hatte sie im Kopf gehabt - wieso waren ihr diese tiefblauen Augen überhaupt nicht aufgefallen, und wieso erinnerte sie sich gerade jetzt an diese Augen? 
Sheryll wendete auf dem Absatz und sagte zu Pete: "Ich möchte dieses Bild kaufen!" - "Tut mir sehr Leid", erwiderte Pete, "aber es ist unverkäuflich. Der Maler will es nicht verkaufen."
"Ich zahle alles dafür, was Sie wollen!" - "Sorry, es geht wirklich nicht! Ich habe es meinem Freund hoch und heilig versprochen, es wieder mit zurück zu nehmen." Sheryll überlegte einen Augenblick lang. "Geben Sie mir das Bild, ICH will es dem Maler persönlich zurück bringen!"
Pete zögerte nur wenige Sekunden lang, sah abwechselnd auf das Portrait und die junge Frau vor ihm, dann machte sich ein Lächeln über seinem kantigen Gesicht breit: "OK, schöne Frau! Aber bitte geben Sie mir vorher Ihren Namen und Ihre Adresse - dann soll es mir recht sein!" 
Plötzlich war der Auftrag in Paris gar nicht mehr so wichtig für Sheryll. Sie erledigte ihre Präsentation, so gut sie es konnte, und hoffte, sich baldmöglichst auf den Heimweg nach Deutschland machen zu können. Sie wunderte sich über sich selber: War ihr ihre Arbeit, ihre Karriere nicht bis vor kurzem noch über alles gegangen? Hatte sie je mehr gebraucht? Was war das, was da jetzt in ihr vorging? 
Ihr Herz überschlug sich fast, als sie in Limburg vor dem Haus der genannten Adresse stand, die Stufen hinaufging und bei dem angegebenem Namen klingelte. Leider tat sich daraufhin nichts. Sie klingelte ein weiteres Mal. War er nicht daheim? Kurzerhand setzte sie sich mit dem Bild auf dem Schoß auf die Stufen vor die Tür, um zu warten.... irgendwann musste er ja heimkommen, dachte sie. Aber er kam nicht. Nach etwa einer Dreiviertel Stunde kam eine ältere Frau auf den Hauseingang zu. "Wen suchen Sie denn?" - "Herrn Karl Schneider!". Die alte Frau schwieg einen Moment, dann erwiderte sie: "Den Maler? Den haben sie vor ein paar Tagen in die Uniklinik Mainz gebracht - mehr weiß ich nicht!" 
Sheryll erschrak.
Sie eilte zum Bahnhof und nahm den nächsten Zug Richtung Mainz und fragte sich dort durch, bis sie das Uni-Klinik-Gelände erreichte. An der Rezeption verwies man sie an die Oberschwester der Intensivstation betreffenden Klinikteils. Die aber hatte offensichtlich keinen guten Tag, denn sie fuhr Sheryll barsch an: "Sind Sie eine Angehörige? Wir dürfen nur Angehörige zu Herrn Schneider lassen." Den Bruchteil einer Sekunde dachte Sheryll nach, bevor sie antwortete: "Ich bin seine Verlobte!" - Die Oberschwester wurde noch eine Stufe unwilliger: "Und dann kommen Sie erst jetzt? Seit Tagen versuchen wir, Angehörige von Herrn Schneider zu erreichen - bis jetzt ist niemand gekommen!" - "Was fehlt ihm denn?" - "Das müssen Sie Dr. Brendow fragen." Das Bild immer noch fest unter ihrem Arm gepresst, sieht sie einen Weißkittel aus dem Zimmer herauskommen, das die Oberschwester ihr genannt hatte. "Dr. Brendow?" - "Ja, kann ich ihnen helfen?" - "Mein Name ist Sheryll Bender. Was fehlt meinem Verlobten, Herrn Schneider?" Sheryll wunderte sich über sich selbst, wie sie von einem wildfremden Mann als von ihrem "Verlobten" reden konnte.
"Er hatte einen Tumor im Gehirn. Wir haben ihn operiert, können aber noch nichts Näheres sagen, ob sich eventuell Metastasen gebildet haben könnten. Wir müssen weitere Untersuchungen abwarten." - "Darf ich zu ihm?" - "Wir haben ihn gerade auf Normalstation verlegt - er schläft - gehen Sie ruhig hinein, Zimmer 106. Sie sind eh die erste, die ihn hier besucht. Aber nicht so lange, bitte!" 
Sheryll betrat klopfenden Herzens das Krankenzimmer. Was mache ich hier eigentlich? schoss es ihr durch den Kopf. Ihr Blick fiel auf den jungen Mann, der mit geschlossenen Augen im Bett lag. Einem Impuls folgend nahm Sheryll ihr Portrait und tauschte es gegen ein an der Wand hängendes Bild aus. Dann setzte sie sich ein Stück weit weg auf einen Stuhl und betrachtete diesen Mann. 
Als Karl die Augen öffnete, fiel sein Blick auf SEIN Bild, das seine Angebetete darstellte. War Pete hier gewesen, während er schlief? Wie umsichtig von ihm, dass er ihm das Bild hierher ins Krankenzimmer gebracht hatte. Ein Lächeln umspielte sein Gesicht, dann nickte er wieder ein.
Sheryll stand langsam auf und ging auf sein Krankenbett zu. Er gefiel ihr, dieser Mann - ganz besonders aber gefielen ihr die Gefühle und Leidenschaften, die er in diesem sowie in den anderen Bildern ausgedrückt hatte und die sicher ein Spiegelbild seiner Seele waren. Dadurch wurde ihr dieser Mann dort ganz besonders interessant und wertvoll, und sie wollte ihn unbedingt näher kennen lernen. Sie hatte das Gefühl, dass sich ihr Herz längst mit dem Seinen verbunden hatte.
Aber vielleicht bildete sie sich das alles ja nur ein? Vielleicht war Karl Schneider nur ein Profi-Maler, der x solcher Portraits und Bilder gemalt hatte, so wie sie selbst ihre Konzepte ausarbeitete - ohne Gefühl oder Leidenschaft, einfach nur mechanisch. Sie schaute noch einmal auf zu dem Gemälde - nein, das war unmöglich, ein solches Bild konnte nicht mechanisch und ohne Gefühl entstehen - niemals. Außerdem - hatte Pete nicht gesagt, er wolle es um keinen Preis verkaufen?
Sie wagte es und setzte sich auf sein Bett und schaute ihn einfach nur an.
Plötzlich schlug Karl die Augen auf, und sein Blick fiel auf ein liebliches Gesicht mit vor Aufregung rot gefärbten Wangen, die von hellblondem Haar umspielt wurden, und seine braunen Augen begegneten Sherylls tiefblauen Augen und versanken darin. Traum? Nein, die Realität hatte begonnen ... 
 
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