Wo war Schlupps indeß? Der saß auf einem Kirschbaum an der Straße und tat sich gütlich. »Gut, daß ich den [9]Spatzen zuvorkomme,« dachte er. »Braucht der Bauer keine Scheuche aufzustellen, die ihm die Räuber verjagt.« Da sah er von ferne einen Landmann kommen, der hatte die blinkende Sense auf dem Rücken und schritt rüstig aus; denn er war ein gar großer Mann. »Halt,« dachte Schlupps. »Wer weiß, ob der versteht, was ich hier tue. Wenn er mit der Sense ausholt, sitzt mein Kopf etwas tiefer und kommt nimmer an seinen Platz.« Schnell zog er seinen Rock aus, drehte ihn um und tat ihn verkehrt an, den Hut stülpte er so tief auf den Kopf, daß man kaum das Gesicht sah, und dann stand er unbeweglich in den Zweigen.
Der Bauer dachte: »Was ist denn das für ein Ungetüm, vor dem fürchten sich die Spatzen sicher. Wenn ich nur wüßte, wie ich zu einer solchen Vogelscheuche käme.« »Wer hat dich dort oben hingestellt?« rief er hinauf.
»Mein Vater hat mich aus Holz gemacht.
Mein’ Mutter hat mich hierhergebracht.
Mein’ Schwester weint um mich sicherlich.
Rüttle mich fest, so lebe ich,« –
klang es hohl zurück.
Da erschrak der Bauer und meinte nicht anders, als es sei eine verwünschte Seele, die er erlösen könne, stieg auf den Baum und begann den Burschen zu rütteln und zu schütteln. Der sprang herab und rief: »Das lohn’ dir Gott, das lohn’ dir Gott,« dann gab er Fersengeld und lief davon, dem Dorfe zu. Erstaunt ging der Bauer heim und gradaus zum [10]Pfarrer, dem er die Mär von der erlösten Seele beichtete. Der Pfarrer war sehr erfreut, in seiner Gemeinde ein Schäflein zu haben, das irrende Seelen erlösen könne. Er belobte den Bauer um seine Guttat und wies ihn an, den Burschen herbeizubringen. Wie der Bauer das Pfarrhaus verließ und an dem Gottesacker vorbeischritt, da sah er an der Kirchhofmauer eine Gestalt stehen, die kam ihm bekannt vor, und wie er hinsah, war es die Scheuche vom Kirschbaum, angetan wie ein richtiger Handwerksbursch. Das gab eine große Freude im Dorf, als der Geselle unter der großen Linde saß und anhub zu erzählen, wie eine böse Stiefmutter ihn verwünscht habe – dabei hatte er seine Lebtage keine Stiefmutter gehabt – wie der Bauer ihn erlöst habe, und daß er jetzt die Kunst besäße, die Vögel zu scheuchen und von der Saat fern zu halten.
Da wollten ihn die Bauern nimmer fortlassen, und es wurde beschlossen, daß sie reihum den Burschen verpflegen wollten, dafür sollte er abwechselnd ihre Felder und Gärten bewachen. Deß war der Handwerksbursche zufrieden, stand jeden Tag in einem andern Feld und lehrte die Kinder, die sich in Haufen um ihn versammelten, tolle Sachen, Gesichter schneiden, Schelmenlieder singen und kecke Antworten geben. Weil nun immer eine große Kinderschar um den Gesellen war und viel Lärm machte, blieben die Felder spatzenrein. Dafür aß der Bursche für zwei und mancher dachte: »Besser die Spatzen säßen im Feld, als der Fresser am Tisch.« Wagten aber nichts zu sagen, weil keiner vor den Nachbarn als geizig und ungünstig erscheinen wollte.
[11]Als aber der Bursche an das letzte Haus des Dorfes kam, in dem eine arme Witwe wohnte, sagte diese: »Einen Garten zu bewachen habe ich nicht, und die Spatzen können mir nichts nehmen, dieweil kein Halm für mich wächst. Aber zu essen will ich Euch wohl geben, weil Ihr eine irrende Seele seid. Mein Kind und ich können heute das Mittagsmahl entbehren.« Damit setzte sie die Schüssel auf den Tisch und sagte: »Gesegn’s Gott!« Dann nahm sie ihr Bübchen an die Hand und führte es hinaus, daß es nicht zusähe, wie der fremde Mann sein Essen bekäme, und draußen vertröstete sie das weinende Kind auf das Nachtmahl.