Möwe Erwin saß gemütlich auf einer roten Fahrwassertonne, die von Land aus immer mal wieder zwischen den hohen Wellen auftauchte. „Gut, dass ich nicht seekrank werde!“, schmunzelte Erwin, der sichtlich Spaß am Schaukeln auf den Wellen hatte.
Trotz des Seegangs schipperten gerade zwei Ausflugsdampfer durch die Fahrrinne an ihm vorbei. „Hey sieh mal die Möwe mit der Mütze da drüben auf der roten Tonne!“, hörte Erwin einen Fahrgast rufen und beobachtete dann, wie die ganze Besucherschar auf die Reling zustürmte. „Hoffentlich kentert der Dampfer nicht gleich, wenn alle Passagiere mit ihren Kameras auf einer Seite stehen“, dachte sich Erwin etwas besorgt.
Dass er manchmal zum Fotomotiv wurde, fand Möwe Erwin ziemlich amüsant und genoss sichtlich die Aufmerksamkeit. Er wechselte dann belustigt die Position, blickte mal nach Süden und mal nach Norden, krächzte manchmal typisch möwenmäßig und flog dann mit aufregenden Manövern über die Köpfe der Touristen hinweg. „Was für ein Spaß das jedes Mal ist“, kicherte Erwin erfreut.
Er wollte sich gerade Richtung Hafen aufmachen, um dort nach dem Rechten zu sehen, als er plötzlich ein klägliches Aufheulen hörte. „Nanu, was ist denn das für ein Geräusch?“, fragte sich Erwin und drehte noch einmal ab – Richtung offenes Meer. Er flog einige Runden um die Stelle, an der das Heulen eben noch zu hören war und stellte dann fest, dass das Geräusch plötzlich verstummt war.
Erwin wollte gerade wieder umdrehen, als er plötzlich zwei kleine graue Köpfchen sah, die sichtlich angestrengt versuchten, nicht mit jeder Welle untergetaucht zu werden.
Erwin flog nun etwas tiefer, um die beiden Gestalten besser sehen zu können. Im Nu war sein Gefieder von den tosenden Wellen und der Gischt, die ihm entgegen spritzte, pitschnass. „Nanu ihr zwei. Ihr seht ja noch ganz jung aus! Was macht ihr denn hier ganz allein bei dem Seegang?“
Die beiden jungen Seehunde sahen sich an und erzählten Erwin aufgeregt davon, dass sie den Anschluss an ihre Familie verloren haben. „Wir haben Tauchübungen gemacht und dann einen ziemlich großen Krebs gesehen. Der krabbelte so flink auf dem Meeresgrund, da wollten wir natürlich sehen, wohin er krabbelt.
Dafür mussten wir so tief tauchen, dass wir beim Auftauchen an die Oberfläche die Orientierung verloren haben. Jetzt irren wir hier seit einiger Zeit umher und alles sieht gleich aus.“
Erwin stimmte den beiden zu. „Wenn die Wellen so hoch sind wie heute, dann könnt ihr vom Wasser aus gar nichts mehr sehen. Ich bringe euch jetzt zu einer kleinen Sandbank ganz in der Nähe und dann mache ich mich auf die Suche nach eurer Familie!“
Möwe Erwin zeigte den beiden erschöpften Seehunden die Richtung und wies sie an, ihm einfach zu folgen. Er drosselte seine Fluggeschwindigkeit und hielt immer wieder nach den beiden Ausschau, um sie bloß nicht zwischen den tosenden Wellen zu verlieren.
Endlich kam die kleine Sandbank in Erwins Sichtfeld. „Jetzt haben wir es gleich geschafft“, freute er sich. Die zwei Seehunde ließen sich kraftlos auf den Sand spülen und waren glücklich darüber, sich endlich etwas ausruhen zu können.
„Hier seid ihr erstmal sicher, bis die Flut kommt“, sagte Erwin. Er kannte die Gezeiten wie sein eigenes Federkleid und wusste, dass er noch einige Stunden Zeit hatte, bis die Sandbank von der Flut verschlungen würde.
„Ihr ruht euch jetzt hier aus und ich mache mich auf die Suche nach eurer Familie!“ Die beiden Seehunde nickten erleichtert und schliefen schon kurze Zeit später erschöpft ein.
Möwe Erwin flog etliche Seemeilen hinaus aufs weite Meer und endlich hörte er ein vertrautes Geräusch. Ein reges Heulen war zu hören und nun konnte er auch graue Umrisse sehen, die sich etwas unbeholfen auf einer großen Sandbank umher bewegten. Endlich angekommen, erzählte Erwin von der Begegnung mit den beiden jungen Seehunden, die er zwischen den hohen Wellen aufgefunden hatte.
„Oh Erwin! Wir suchen die zwei schon seit Stunden und waren schon ganz verzweifelt! Wir folgen dir und holen unsere zwei Abenteurer zurück nach Hause!“
Erwin erhob sich in die Luft und segelte galant durch die Windböen. Unten im Meer konnte er etliche Seehunde sehen, die sich gekonnt durch die aufbrausende See kämpften.
„Tadaa!“, rief Erwin und zeigte zufrieden auf die beiden friedlich schlafenden Seehunde auf der kleinen Sandbank! „Hier habt ihr eure beiden Abenteurer zurück!“
Alle freuten sich riesig über das Wiedersehen und berichteten aufgeregt von der verzweifelten Suche nacheinander. „Jetzt sind wir endlich wieder alle zusammen“, sagten sie erleichtert im Chor.
Erwin war bereits längst wieder zwischen den Wolken verschwunden und machte sich auf zu seinem nächsten Auftrag!