Ganz einsam und verlassen, auf einem hochgelegenen und kargen Hügel, stand eine sehr alte, düstere Ritterburg. Sogar der Wald, der die Ritterburg von der Nordseite umgab, schien besonders heimlich und dunkel zu sein.
Die Waldbewohner mieden die Burg, machten weite Kreise um sie und sprachen auch nicht gern laut darüber.
Nur Fremde klopften hier und da an das große Tor, um nach dem Weg zu fragen oder in der Hoffnung darauf, vielleicht einen echten Ritter zu treffen.
Was mit den neugierigen Fremden geschah wusste niemand so genau. Man munkelte sie seien vor Schreck erstarrt oder hätten sich in der großen Burg verirrt. Zumindest war man sich sicher: Wer sie betrat, kam nicht mehr zurück.
Besonders die jungen Waldbewohner waren von den überlieferten Geschichten dieser geheimnisvollen Burg fasziniert und lauschten besonders aufmerksam den Erzählungen der älteren Tiere. Einmal im Monat versammelten sich die jungen Tiere vor dem Sonnenuntergang um ein kleines Feuer herum und betrachteten von Weitem die mächtige Ritterburg. Je dunkler es wurde, umso unheimlicher erschien sie ihnen.
Die älteste in dieser Runde war die Eule Berta. Sie hatte die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht, die Ritterburg von dem höchsten Wipfel einer sehr großen Tanne aus zu beobachten.
Immer in der Hoffnung etwas spannendes zu erhaschen, um es dann den anderen bei ihrem nächsten Treffen zu erzählen. Die Burg bei finsterer Nacht zu überfliegen, traute sie sich bisher noch nicht.
„Weiß eigentlich jemand, was mit dem neugierigen Wiesel passiert ist, welches letzte Woche am Tor der alten Burg angeklopft hat?“, wollte der junge Dachs Victor wissen.
„Nun ja, es war so….“, begann Berta zu berichten. „Das neugierige Wiesel klopfte und klopfte und wollte gerade kehrtmachen, als plötzlich die große Zugbrücke hinuntergelassen wurde. Ich konnte eine unheimliche, tiefe Stimme hören die: „Herein! Wer wagt es mich hier zu stören?“ rief. Als die Brücke wieder hochgezogen wurde, versperrte sie mir den Blick auf das Tor. Danach herrschte wieder absolute Stille.“
„Also doch!“, quietschte Sally, das kleine Eichhörnchen, ganz aufgeregt. „Es muss ein Monster sein, welches dort in der Burg wohnt.“ „Oder ein gefräßiger Riese, der jeden Eindringling mit der bloßen Hand zerquetscht“, rief Anton der Fuchs.
Auch das scheue und besonders ängstliche Reh Mathilda hatte eine Vermutung über den Bewohner der Burg. „Wenn ihr mich fragt, wohnt dort der Geist von König Leopold dem Dritten. Davon hat mir schon meine Großmutter erzählt.“
Der kleine Wolf Simon, der vor eigentlich nichts und niemandem Angst hatte, heulte kurz auf und meinte: „Also, wenn dort ein Geist wohnen würde, hätte ich von meinem Großvater ganz bestimmt davon gehört. Aber auch er hat meine Brüder und mich gewarnt, uns beim Spielen nicht all zu nah an die Burg heranzuwagen.“
Als es ganz finster wurde und nur noch das Feuer um die Gruppe herum loderte und hin und wieder ein paar Funken in die Nacht versprühte, rückten die jungen Waldbewohner etwas näher zusammen.
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„Mir ist richtig mulmig zumute,“ rief der Hase Franz und zitterte dabei etwas. „Gut, dass ihr alle da seid!“ „Und ich würde einfach zu gerne wissen, wer in der Burg wohnt“, sagte Linus der flinke Luchs.
„Ich auch, ich auch!“, riefen einige aus der Runde. „Also gut, wenn die Erwachsenen sich nicht trauen, dann finden wir es einfach heraus. Dann hat der ganze Spuk endlich mal ein Ende!“, sagte der Wolf Simon ganz mutig.
Genau in diesem Augenblick erhoben sich zwei große schwarze Vögel aus dem Burginneren und flogen mit lautem Krähen und flatternden Flügel in Richtung des dunklen Waldes.
„Also ich traue mich nicht“, grummelte der Bär Bruno. „Ich glaube, wir sollten es auf ein andermal verschieben“, stimmte Anton der Fuchs ein.
„Aber ich mache es!“, rief plötzlich das kleine Waldmäuschen Lissi, welches die ganze Zeit nur ganz ruhig gelauscht hatte, sodass man es bisher nicht so richtig wahrgenommen hatte. „Was soll denn schon passieren? Ihr seid doch alle da!“, rief es und lief schnurstracks in Richtung der unheimlichen Burg.
Bevor jemand überhaupt etwas sagen konnte, stand Lissi bereits vor dem riesigen Tor und klopfte so laut sie konnte mit ihrer kleinen Pfote an die eiserne, schwere Tür.
Schon im nächsten Augenblick flackerte in dem höchstem Turm der Burg ein Licht auf. Die große Brücke setzte sich langsam in Bewegung, senkte sich mit grauenhaftem Quietschen und gewährte nun freien Eintritt ins Innere.
„Wir können Lissi jetzt nicht allein lassen!“, rief Simon der Wolf und die ganze Tierschar lief mit schlotternden Knien und bibbernden Zähnen auf die Brücke zu und hinein in den düsteren Burghof.
Sogar die Eule Berta nahm ihren ganzen Mut zusammen und überflog zum ersten Mal in ihrem Leben die unheimliche Burg und landete bei den anderen.
In dem finsteren Hof gingen nun immer mehr Fackeln an, sodass man sich immer besser orientieren konnte. Vor lauter Aufregung vergaßen die Tiere ihre Furcht, denn was sie jetzt sahen, erstaunte sie sehr.
Vor ihnen stand ein mittelgroßer, alter und etwas traurig und müde wirkender Drache. Und er erzählte den Tieren seine Geschichte. Dass er der letzte seiner Art war und nur noch mit einigen Raben und Fledermäusen diese verlassene Burg bewohnte.
Und dass er genauso viel Angst hatte, dass man ihn aus seiner Burg verjagen würde, wenn man erst wüsste, dass er kein Feuer mehr speien konnte und gar nicht mehr so furchterregend war, wie alle dachten. Deshalb lebte er jetzt sehr zurückgezogen in seinem Reich und war sehr einsam.
„Aber was passierte mit den ganzen Fremden und vor allem dem kleinen Wiesel, die bei dir auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind?“ fragte das scheue Reh Mathilda und alle anderen spitzten ihre Ohren.
„Ganz einfach!“, sagte der alte Drache. „Die Fremden sind sehr neugierig und möchten hier in der Burg starke Ritter treffen und bestenfalls mit ihnen reden. Und wenn sie dann in den alten Gemäuern keine vorfinden, verirren sie sich schnell in der großen Burg. Dann folgen sie einem schmalen Pfad, der besonders finster ist. Der führt sie zu einem unterirdischen Burggewölbe und dort befindet sich ein geheimes Labyrinth, das sie auf die andere Seite des Flusses hinter dieser Burg bringt. Dabei gruseln sie sich mächtig und werden sich an dieses Abenteuer noch lange erinnern. Die Ritterburg werden sie sicher nicht so bald wieder besuchen und auch keinem anderen dazu raten. Und ich habe wenigstens ein wenig Spaß und etwas Abwechslung.“
„Das Wiesel kennt mich schon länger und weiß von meiner Geschichte. Es besucht mich ab und zu. Damit mein Geheimnis gewahrt bleibt und ich weiterhin hier in Ruhe hausen kann, hat es mir versprochen, mit niemandem darüber zu sprechen.“
Dann meldete sich die Eule Berta neugierig zu Wort: „Aber woher erscheint denn die unheimliche Stimme, wenn jemand an dein Tor klopft?“
„Vielleicht sind es die ehemaligen Bewohner, die Rittergeister, die hin und wieder mal ihre Burg aufsuchen, um nach dem Rechten zu schauen?“, überlegte der schlaue Fuchs Anton.
Lange antwortete der Drache nicht auf diese Frage, bis er schließlich mit tiefer und rauchiger Stimme sagte: „Das wird für immer ein Geheimnis bleiben!“
Lissi, das kleine Waldmäuschen und die mutigste von allen aus der Gruppe meinte: „Weißt du Berta, wenn man vor jemanden oder vor etwas riesige Angst hat, dann erscheint einem alles viel größer, lauter und gewaltiger, als es in Wirklichkeit ist.“
Alle Tiere nickten zustimmend.