Ein Edelmann, den Rübezahl schon einmal durch einen Possen gewarnt hatte, da ihm so viele Klagen zu Ohren gekommen, war besonders hart gegen die Armen, wenn er sie im Holze traf und gab ihnen seine Reitpeitsche sogleich zu fühlen. Trieb nun gar ein Bauer das herrschaftliche Wild von seinen Feldern, wo es Verheerungen anrichtete, den verfolgte er mit besonderem Hasse. Wer einen Hirsch tötete, der seine Saaten fraß, ward nicht selten zwischen die Geweihe eines Hirsches gebunden und in den Wald hinausgeschickt, bis das Tier sich seiner Bürde auf irgend eine Weise entledigte. —
„Komm du mir nur einmal ins Gebirge, dir will ich’s heimzahlen,“ denkt Rübezahl. Nun geschieht’s auch wirklich einmal, daß der Edelmann eine große Jagd anstellt und sich dabei um keine Grenze bekümmert. Auf diese Weise kommt er in Rübezahls Gebiet; der hört kaum das Hallo der Treiber, das Knallen der Röhre, so denkt er: „Ha, nun ist’s Zeit!“ Tritt also auf den Edelmann zu und fragt ihn, wer ihm erlaube, auf fremdem Reviere zu jagen.
Der Edelmann erstaunte nicht wenig über die Keckheit des unbekannten, unscheinbaren Mannes, fährt ihn rauh an, ihn fragend, wie er dazu komme, ihm, dem Edelmann, in den Weg zu treten. Rübezahl erwiderte: „Hier bin ich der Herr, und du sollst sehen und fühlen, daß du mit mir nicht umspringen darfst, wie mit deinen armen Bauern.“
Solche kecke Rede hatte der Edelmann noch nie gehört, er stößt in sein Hüfthorn und gibt den herbeieilenden Jägern Befehl, den Mann zu ergreifen. Der bleibt ruhig stehen und sieht einen nach dem andern mit stechenden Augen an und wenn er einen ansieht, so steht dieser gleich starr und steif da. Nun wird der Edelmann wütend, zieht sein Waidmesser heraus und will es dem ersten besten in den Leib stoßen. Aber Rübezahl faßt ihn gelassen an der Brust, so daß er sich nicht rühren und regen kann. Hierauf hält er ihm sein ganzes Sündenregister vor und sagt ihm, dies sei seine letzte Jagd. — Dann verschwand er, nachdem er den Edelherrn auf den Boden geworfen hatte, daß ihm alle Rippen krachten. Kaum war er fort, so bekamen Jäger und Treiber das Leben wieder, machten eine Bahre von Zweigen, legten den Herrn darauf und trugen ihn nach Hause.
Nun war im Schlosse große Trauer und im Dorfe große Freude. Der Doktor wußte nicht recht, was er dem Kranken verschreiben solle und griff bald zu diesem, bald zu jenem. So mußte unser Edelmann ganze Schaufeln Pulver nehmen, Kochtöpfe voll Latwerge und Pillen, so groß wie Straußeneier; aber es half doch alles nichts. Nun wurde ihm Ader gelassen und er mußte so diät leben, wie ein Sperling; darüber verging der edle Herr vollends; zuletzt ward er so verändert und ruhig, daß er sagte: „Mit mir ist’s vorbei, gebt mir meinen Degen an die Seite, daß ich wie ein Edelmann sterben kann.“ „Gebt ihm auch die Sporen dazu,“ sagte einer seiner Freunde, „denn diese gehören zu einem Edelmann, der vor seinen Gott treten soll.“ Da verwunderten sich die Diener, daß ihr Herr auch einen Gott habe, weil sie dies nie zuvor gehört hatten und freuten sich in ihren einfältigen Herzen darüber. Und sie zogen ihm Stiefel und Sporen an, legten ihm den Degen an die Seite, zu Füßen sein Wappenschild. Dann starb der Kranke beruhigt. Auf einmal klopft es an die Tür und ein Fremder tritt herein, der sich für einen adeligen Arzt ausgibt und einen Versuch machen will, ob der Edelmann wirklich kein Leben mehr in sich habe. Das war aber wieder Freund Rübezahl, und wie er den Toten berührt, fällt er sogleich in ein Häufchen Asche zusammen; selbst vom Degen und den silbernen Sporen ist nichts mehr zu sehen.
Vergessen ist der Edelmann wie jeder, der nichts Gutes im Leben geleistet hat, vergessen nicht nur von seinen Feinden, auch die Freunde, die freilich nur auf Äußerlichkeiten sahen, haben nichts zur Erinnerung zurückbehalten, vergessen wie jeder Egoist, der nichts tut, seine Mitmenschen zu beglücken, oder ihnen im Elend zu helfen.