Aus dem schönen Tale, zu dem die schlesischen Riesenberge den großartigen Hintergrund bilden, erheben sich zwei hohe Granitkegel, die unter dem Namen der „Falkenberge“ bekannt sind. Auf einem derselben stand im zwölften Jahrhunderte eine stolze Burg, in welcher ein gewaltiger Raubritter hauste, Herr Prótzko, auch „der Falke vom Berge“ geheißen. Das war ein gar wilder Gesell und in der ganzen Gegend gefürchtet. Durch Spiel und Zechgelage vergeudete er mit seinen Spießgesellen die Beute, die er den Reisenden und Kaufleuten abgenommen hatte, und führte ein lustiges Leben in seiner festen Burg.
Eines Abends saß er in seinem hohen Gemache und ließ den vollen Becher unberührt vor sich stehen; seine Zechbrüder spotteten darüber, aber ein wilder Blick des Ritters machte sie sogleich wieder stumm. Da kam eilig ein Diener herein und meldete, wie auf der Straße von Schmiedeberg daher ein schwer beladener Wagen komme, der sicher wertvolle Kaufmannsgüter brächte. Mit wildem Geschrei sprangen die Raubritter von der Tafel auf und griffen zu ihren Schwertern; nur Prótzko rührte sich nicht und ließ die wilden Gesellen allein hinausstürmen in die finstere Nacht. Er war wohl sonst bei solchem Tanze nimmer der letzte, heut aber war seiner sanften Mutter Todestag, darum kam kein Scherz aus des Ritters Munde, kein Wein über seine Lippe, und sein blutgewöhntes Schwert blieb in der Scheide. — So war er allein in dem stillen Gemache zurückgeblieben, darin er nun mit großen klingenden Schritten auf und nieder ging. Endlich öffnete er das Fenster und lehnte sich in die Nacht hinaus. Da hörte er das Stampfen der Rosse, den wilden Ruf der Spießgesellen, und nun dazwischen ein Schrei der Angst, der einen wunderbaren Eindruck auf den finstern Ritter machte.
„Sattle mein Roß, Knappe,“ rief er in den Burghof hinab, griff hastig nach seinem Schwerte und stürmte auch schon nach wenigen Minuten auf seinem Streitrosse den steilen Weg vom Falkenberge hinab. Wie eine Wetterwolke stob er gegen die Raubritter, und seine gute Klinge pfiff durch die Luft. „Gebt den Gefangenen frei,“ schrie er wild, als er einen Mann gebunden zwischen den Pferden seiner Spießgesellen, sah, „laßt ihn seines Weges ziehen, oder bei meinem Barte, ihr sollt meinen Arm fühlen!“ —
Die Raubritter murrten, aber Prótzko war ihr mächtigster Verbündeter und seine feste Burg ihr sicherster Zufluchtsort. Darum beschlossen sie, seiner wunderlichen Laune nachzugeben, und banden den gefangenen Kaufmann los. Aber dieser sank währenddessen zu Boden, denn er hatte bei seiner tapferen Gegenwehr eine tiefe Wunde am Halse bekommen und sein Körper war bedeckt mit Blut.
Prótzko neigte sich prüfend über ihn und eine seltene Regung des Mitleids zeigte sich in seinem Gesicht. „Tragt den armen Mann auf euren Armen nach meiner Burg hinauf, er soll dort Pflege und Wartung finden. Auch den Wagen bringt hinauf, aber wer seine Hand an das Eigentum dieses Mannes legt, der hat es mit mir zu tun!“ rief er wild, und jeder sah es ihm an, daß er nicht spaße.
„Der Falke liegt in der Mause,“ höhnten die Raubritter leise, aber es wagte keiner dem wilden Prótzko zu widersprechen, der schweigend und finster dem Zuge voranritt nach seiner Burg. Dort ward der fremde Kaufmann so gut als möglich gepflegt, seine Pferde gut versorgt, und die Kisten mit Waren, die er mit sich führte, von dem Burgherrn selbst verwahrt.
Wochen vergingen, ehe der Kranke genaß und seine Reise weiter fortsetzen konnte. Mit großem Danke schied er endlich von seinem mitleidigen Pfleger, der ihm nicht nur seine reiche Ladung ungeschmälert verabfolgen ließ, sondern ihm auch noch zwei seiner kräftigsten Pferde schenkte, auf daß er rascher ans Ziel seiner Reise komme.
Aber die Spießgesellen des Ritters waren mit dieser unzeitigen Großmut sehr unzufrieden und grollten, daß ihnen eine so gute Beute entgangen war, und sannen auf eine Rache, wie sie ihm etwas anhaben könnten. Es war an einem schwülen Sommertage, die Sonne verschwand grade blutrot hinter den Bergen und vergoldete mit ihren letzten Strahlen die Zinnen der Burg. Prótzko saß sinnend und allein in seinem Speisesaal und sah auf die Landschaft hinaus, als sein treuer Burgvogt atemlos gelaufen kam und meldete: „Herr, die Mannen des Herzogs Bolko umschleichen unsere Burg und haben gefährliche Waffen bei sich.“ Prótzko sprang, kaum seinen Ohren trauend, auf und befahl die Tore zu schließen, die Zugbrücke herabzulassen und jedem Knappen auf seinen Posten zu gehen. Lautlos und beobachtend standen sie da, entschlossen, sich nicht zu ergeben, als ein plötzlicher, brandiger Geruch ihnen die Vermutung brachte, daß sie verraten und Feuer in der Burg angelegt sei. Mit Blitzesschnelle verbreitete sich dasselbe durch das ganze Schloß und in wenigen Minuten prasselten blauzüngelnde Flammen fast zu allen Seiten des Daches hoch empor, und die Feinde drangen ein, so daß der arme Ritter sich nur mit großer Not durch einen unterirdischen Gang retten konnte.
Verlassen und verraten von treulosen Freunden irrte der Flüchtige nun durch die Nacht, als er plötzlich jenen Kaufmann dem er so viel Gutes getan hatte, in Fischertracht vor sich stehen sah.
„Kommt mit mir in meine arme Hütte, Herr Ritter,“ sagte dieser freundlich zu Prótzko, „sie wird euch sicher Schutz und Obdach gewähren. Ich bin durch Unfälle aller Art arm geworden und lebe hier ganz einsam und still als Fischer; hier wird niemand den tapfern Ritter vom Falkenberge suchen, und ich kann euch einen Teil des Dankes abtragen, den ich euch schuldig bin.“
Prótzko verschmähte dies Anerbieten nicht. Sein Wirt versorgte ihn reichlich mit Speise und Trank, als aber der Ritter am andern Morgen erwachte, war dieser verschwunden und hatte ihm sein Fischergerät zurückgelassen. Damit erwarb sich Prótzko nun seinen Unterhalt, während die Mannen des Herzogs seine Burg völlig zerstörten und dann abzogen. Nun durfte sich der Ritter mehr aus seinem Versteck wagen, um als Fischer seine Beute feilzubieten, und lebte lange Zeit davon. Aber wenn er die Ruinen seiner Burg sah, das zerstörte Nest des Falken, da ward sein Herz traurig. Er sehnte sich nach einem ritterlichen Leben, und obschon er sein früheres wüstes Treiben verabscheute, so schmerzte es ihn doch, sein treues Schwert verloren und statt dessen die Angelrute in der Hand zu haben.
Traurig senkte er diese in das klare Bächlein, das unfern seiner Hütte vorüberfloß; es war eben wieder der Todestag seiner Mutter, und schwere Gedanken bedrückten Prótzkos Herz; da fing sich ein Fisch von ganz ungewöhnlicher Größe an seinem Haken, den er nur mit der größten Kraftanstrengung ans Land zu ziehen vermochte. Er mußte tief in den Bach hinein waten, um den Fang herauszuholen; aber siehe da! von gediegenem Golde war der köstliche Fisch, und nun erst ward es dem Ritter klar, daß jener Kaufmann, dem er einst Güte und Milde hatte angedeihen lassen, niemand anders, als der mächtige Geist der Riesenberge, Rübezahl, gewesen sei.
Nun war er mit einem Male wieder reich und fand bald wieder Anhänger; er begründete in dem weniger bewohnten, östlichen Gebirgstale ein neues Schloß, an derselben Stelle, wo sein Zufluchtsort, die kleine Fischerhütte, gestanden hatte. Mitten im Walde erhob sich bald die Burg des Ritters; er gab ihr einen hohen Turm und mächtige Wälle und nannte dieselbe, in dankbarer Erinnerung der Weise, wodurch ihm die Mittel dazu geworden waren, Fischbach.
So entstand mit Hilfe des Berggeistes das schöne Dorf, welches jetzt, als einer der interessantesten und berühmtesten Punkte des Gebirgstales, von vielen Reisenden besucht wird und das Eigentum einer Fürstenfamilie geworden ist.