Schnellfuß nahm den Weg gen Morgen, von ihm müssen wir nun zuerst erzählen. Daß er mit seinen mächtigen Schritten viel rascher vorwärts kam als seine Brüder, das kann Jeder leicht ermessen, denn wo die Meilen einem Manne unter den Füßen schwinden, ohne daß diese ermüden, da wird ihm das Wandern nicht beschwerlich. Gleichwohl sollte er die Erfahrung machen, daß flinke Beine wohl überall einen Menschen aus einer Gefahr befreien können, aber nicht so leicht zu Amt und Brod verhelfen: denn Hände sind aller Orten nöthiger als Füße. Schnellfuß fand erst nach geraumer Zeit bei einem Könige in Ostland einen festen Dienst. Der König besaß große Roßherden, unter denen viele stätische Renner waren, die kein Mensch fangen konnte, auch nicht einmal zu Roß. Aber mit Schnellfuß konnte kein Pferd Schritt halten, der Mann war immer schneller als das Roß. Was früher funfzig Pferdehirten zusammen nicht ausrichten konnten, das besorgte er ganz allein und ließ nie ein Pferd von der Herde wegkommen. Darum zahlte ihm der König unweigerlich den Lohn von funfzig Hirten, und machte ihm außerdem noch Geschenke. Die flüchtigen Schritte des neuen Roßhirten hatten Windesschnelle, und wenn er vom Abend bis zum Morgen die ganze Nacht durch oder vom Morgen bis zum Abend den Tag über gelaufen war, ohne auszuruhen, so war er doch nicht müde, sondern konnte am andern und am dritten Tage wieder eben so viel laufen. Es geschah oft, daß die Rosse, bei heißem Wetter von[S 38] Bremsen gestochen, nach allen Seiten hin auseinander fuhren und viele Meilen weit rannten: aber dennoch war am Abend die ganze Herde wieder beisammen. Da gab einst der König ein großes Gastmahl, zu welchem viele vornehme Herren und Fürsten geladen waren. Während des Festes hatte der König seinen Gästen viel von seinem schnellfüßigen Roßhirten erzählt, so daß alle den Wundermann zu sehen begehrten. Manche meinten, es dürfe wohl nicht Wunder nehmen, wenn die in der Herde aufgezogenen und an den Hirten gewöhnten Rosse sich einfangen ließen; das allerstörrigste Pferd höre auf des Herrn Wort und komme auf dessen Ruf. Aber gebt ihm einmal ein Pferd aus einem fremden Stalle, das ihn nicht kennt, dann werden wir sehen, wie weit die Schnelligkeit des Mannes gegen die des Rosses kommt. Da ließen einige fremde Herren die bestgefütterten und feurigsten Rosse aus ihren Ställen herführen und dann ins Freie treiben, auf daß Schnellfuß sie einfange. Das war dem Hirten mit den beflügelten Füßen eine Kleinigkeit, denn auch ein gestandennes, wohlgenährtes Pferd kann doch nicht mit Einem um die Wette laufen, der wie ein Vogel des Waldes gewohnt ist, Nacht und Tag sich zu rühren. Die fremden Herrschaften priesen die Schnellfüßigkeit des Mannes und schenkten ihm viel goldene und silberne Münzen, versprachen auch daheim von ihm zu reden, damit man erfahre, wo solch' ein Mann zu finden sei. Bald darauf war im ganzen Ostlande der Name Schnellfuß berühmt geworden, und wenn irgend ein König einmal einen schnellen Boten brauchte, so wurde Schnellfuß gemiethet, der dann reichen Lohn und außerdem noch Geschenke erhielt, damit er sich ein anderes Mal[S 39] wieder willig finden ließe. Als er nach drei Jahren sich aufmachte um in die Heimath zurückzukehren, hatte er soviel Geld und Schätze gesammelt, daß er zwanzig Pferde damit beladen konnte, welche ihm der König geschenkt hatte.
Der zweite Bruder, Flinkhand, der gen Mittag gezogen war, fand aller Orten lohnenden Dienst; alle Meister brauchten seine Arbeit, weil kein anderer Gesell so geschickt war und so viel fertig machte wie er. Obwohl er nicht in einer Zunft ein bestimmtes Handwerk erlernt hatte, so gerieth in seiner geschickten Hand doch jegliche Arbeit; er war Schneider, Schuster, Tischler, Drechsler, Gold- und Grobschmied, oder was sonst dergleichen, und es war auf der Welt kein Meister zu finden, dem er nicht zum Gesellen getaugt hätte. Einmal war er bei einem Schneidermeister auf Stücklohn in Arbeit und nähte in einem Tage zwanzig Paar Hosen, ein anderes Mal machte er für einen Schuster in eben der Zeit ebensoviel Paar Stiefel fertig. Dabei war Alles, was er machte, so vollkommen, daß, wer einmal seine Arbeit kennen gelernt hatte, von derjenigen anderer Meister und Gesellen nichts mehr wissen wollte. Flinkhand hätte bei jedem Handwerk ein reicher Mann werden können, wenn er irgendwo längere Zeit hätte aushalten können, allein er sehnte sich darnach, die weite Welt zu sehen und streifte deßhalb gewöhnlich von einem Ort zum andern. So kam er auch einmal in eine Königsstadt, wo er Alles in großer Bewegung fand. Es sollten Truppen gegen den Feind ausgesandt werden, aber es mangelte an Kleidern, an Fuß- und Kopfbedeckung und auch an Waffen. Und obgleich überall Meister und Gesellen von früh Morgens bis Mitternacht eifrig arbeiteten[S 40] und sogar Sonntags und Montags nicht feierten, so konnten sie doch in der kurzen Zeit nicht soviel anfertigen, wie der König wollte. Zwar wurde nah und fern nach Gesellen gesucht, die helfen sollten, aber des Fehlenden war so viel, daß all' die Arbeit nicht hinreichend schien, es herzustellen.