Ein noch junger Wittwer hatte zum zweiten Male gefreit, dabei aber seine Augen zu Hause vergessen, so daß er ein gar tückisches Weib in's Haus gebracht hatte. Ein wahres Hundeleben hatte bei ihr das Töchterchen der ersten Frau, welches zwei Jahre alt nachgeblieben war, wie ein Lämmlein. Als die Stiefmutter dann selber ein Töchterchen zur Welt gebracht hatte, ging es dem Stiefkinde vollends gar jämmerlich. Dennoch ertrug das arme mutterlose Geschöpfchen alles Bittere und Schwere, und klagte seine Noth Niemanden, als oftmals unter Thränen seinem Gott im Himmel. — Die schlaue böse Stiefmutter wußte vor den Leuten ihre Bosheit zu verstecken und geberdete sich so, daß Unkundige glauben konnten, sie verhätschele ihre Stieftochter mehr, als ihre eigene leibliche Tochter. Gingen die Töchter Sonntags zur Kirche oder sonst wohin auf Besuch, so sah man stets die Stieftochter hübscher angezogen als das eigene Kind. Es wohnte aber in der Nachbarschaft eine kluge alte Kinderbesprecherin,[28] welche die Sache durchschaute und recht gut wußte, wie es der Stieftochter zu Hause ging, wenn keine Zuschauer da waren. Wenn diese Alte zuweilen hin kam, so streichelte sie heimlich dem Stiefkinde Kopf und Wangen und sagte: »Harre aus und hoffe! es bricht schon noch einmal eine bessere Zeit für dich an.« Dem Wartenden aber wird die Zeit lang; und als Jahr auf Jahr verstrich, ohne ein besseres Leben herbeizuführen, kam die Waise zu der Ansicht, daß das Dorfmütterchen ihr nur leere Worte vorgeschwatzt habe.
Beide Töchter waren herangewachsen, da kam eines Morgens ein Freier auf den Hof. Aber zum Verdruß der Mutter begehrte der Mann nicht ihre eigene Tochter, sondern die Stieftochter zur Frau. Die Mutter sagte: »Meine Töchter sind beide noch sehr jung, und ihr Nacken ist noch zu schwach für das Joch der Ehe[29]; ich will sie nicht so früh verheirathen.« Der Mann mochte aber nicht mehr lange warten und man kam endlich überein, daß er nach einem halben Jahre mit dem (Freier-) Branntwein wieder kommen solle. Die Mutter dachte bei sich: vielleicht gelingt es mir, die Sache so zu[S 62] wenden, daß er dennoch meine Tochter zum Weibe nimmt. Als nun der Freier nach einem halben Jahre wieder kam, hatte die Mutter den Anzug der Töchter vertauscht und beide so an den Spinnrocken gesetzt, daß der in die Stube Tretende nur ihren Rücken erblickte. Der Branntwein wurde angenommen und freundlich sagte die Mutter: »Wohlan, lieber Freier, wenn das alte Wort Wahrheit redet, so muß das Herz dich zu deinem Liebchen ziehen, ohne daß du es siehest. Sage mir jetzt: welche von den beiden Spinnerinnen ist dein Schatz?« Der Freier schritt alsbald gerade auf den Rocken der Stieftochter zu sagte: »Die Schale ist wohl anders aber der Kern steckt doch hier in meinem Schatze.« So mußte denn der Freierbranntwein getrunken werden und obgleich der Mutter das Herz vor heißem Zorne zu springen drohte, zeigte sie doch dem Freier ein freundliches Gesicht. Als der aber fort war, fiel sie ärger als ein Hagelwetter über die arme Stieftochter her, die — so meinte die Frau — dem Bräutigam heimlich ein Zeichen gegeben habe.
Am Hochzeitsmorgen putzte sie ihre eigene Tochter mit prächtigen Kleidern heraus und hüllte ihr das Gesicht in seidene Tücher ein, so daß kaum die Nasenspitze frei blieb, weshalb auch weder Bräutigam noch Hochzeitsgäste den Betrug merkten. Die Stelle der Tochter durfte aber nicht leer bleiben, deshalb hatte sie eine Strohpuppe gemacht, derselben die Kleider ihrer Tochter angezogen und sie an den Heerd gesetzt, so daß sie die Gäste glauben sollten, ihr Kind bleibe zu Hause und koche für die Hochzeitsgäste, während die Stiefschwester in der Kirche dem Manne angetraut werde. Die arme Stieftochter saß aber inzwischen in der Riege[30] in einer alten umgestülpten und mit vielem Geröll bedeckten Tonne, wie eine Maus in der Falle.
Der Hochzeitstag war noch nicht weit, als die alte Nachbarin dem Mädchen zu Hülfe eilte, es aus seinem Gefängniß befreite und ihm befahl dem Zuge hurtig nachzulaufen, um in der Kirche die Traurede des Geistlichen anzuhören, auf dem Wege zur Kirche aber sangen des Bräutigams Schlittensohlen unaufhörlich:
»Liebchen stöhnet unterem Faß,
Hühnchen seufzet unterm Deckel,
Zieht dein Pferd doch eine Fremde
Ja ein Unhold fährt im Schlitten.«
Der Bräutigam fragte: Was denn die Schlittensohlen so wunderlich quiekten? Schlau erwiderte die Schwiegermutter:[S 63]
»Schlittensohle tanzt zur Hochzeit
Und das Krummholz knarrt vor Freude.«
Die aus dem Fasse befreite Stieftochter lief so rasch sie konnte dem Hochzeitszuge zur Kirche nach, aber freilich waren die Beine der Rosse viel flinker, so daß sie die Hochzeitsgäste nicht mehr einholen konnte. Als sie in die Kirche trat, waren die Ringe schon gewechselt. Was jetzt beginnen? Alle Hoffnung war geschwunden. Weinend verließ die betrogene und verachtete Braut die Kirche und setzte sich am Wege nieder, wo der Hochzeitszug von der Kirche her vorbeifahren mußte. Dort sang sie, als der Zug vorbeikam:
»Haltet, haltet, Hochzeitsgäste,
Weile, weile, lieber Bräut'gam!
Hast 'ne Fremde mitgenommen
Hast dein Hühnchen ja verloren!«
Der Bräutigam fragte wieder, was der Gesang zu bedeuten habe und die Schwiegermutter erwiderte: »Ein ungebetener Gast singt albernes Zeug!« Aber die Sache schien doch dem Bräutigam durchaus nicht so albern; er ließ darum halten, und wollte selbst gehen um zu forschen, was diese Posse zu bedeuten habe. Aber der Brautvater schalt ihn und sagte: »Mache dich doch nicht zum Gespötte vor den Leuten! Wer wird wenn es zur Freite oder zur Hochzeit geht, auf Hundegebell hören? Deinen Schatz hast du im Schlitten, jetzt fahre nach Hause ehe die Würste und Kuchen kalt werden.« Aber das verachtete Mädchen war hinten auf den Tritt eines der Schlitten gesprungen und fuhr so mit den Anderen nach Hause. Als der Zug still hielt, bis des Bräutigams Genossen die Bierkannen aus dem Hause holten[31], schlüpfte das Mädchen vom Schlitten herunter, setzte sich unter einen Wachholderbusch und sang wieder ihren Vers:
»Haltet, haltet, liebe Gäste,
Weile, weile, lieber Bräut'gam!
Dir im Schlitten sitzt 'ne Wölfin —,
Hühnchen unter dem Wachholder.«[S 64]
Dem Bräutigam schwoll das Herz vor Unmuth, er wollte jetzt der Sache auf den Grund kommen, aber die Mutter und der Brautvater wehrten ihm sogleich: »Höre nicht auf das dumme Geschwätz von Eindringlingen, du machst dich nur zum Gespötte vor den Leuten!« So unsicher auch der Bräutigam geworden war, wagte er doch nicht, das Wort älterer Leute in den Wind zu schlagen.
Als man in's Hochzeitshaus gekommen war, wurde die junge Frau aus dem Schlitten gehoben und an den Tisch geführt, aber die Tücher wurden ihr nicht vom Kopf genommen, so daß der Bräutigam den Betrug nicht gewahr werden konnte. Als man sich zum Essen gesetzt hatte, sang das verachtete Kind hinter der Thür:
»Bräutigamchen ist betrogen
Hat ein fremdes Theil bekommen!«
Die Schwiegermutter sprang zornig vom Tische auf und sagte: »Jagt mir die unverschämten Schmarotzer von der Schwelle!« Aber die Stieftochter flüchtete auf den Boden, wo sie so lange warten wollte, bis das junge Paar in die Schlafkammer geführt würde. Dem Bräutigam schmeckte weder Speise noch Trank mehr, ihn hatten die seltsamen Sänge, die er wiederholt vernommen, ganz verstimmt.
Da die junge Frau keine Brüste hatte, wie sie ihrem Geschlechte eigen sind, so hatte ihr die Mutter Büschel von Hede unter's Hemd in den Busen gestopft. Als nun die Gäste zur Ruhe gingen und auch das junge Paar sich in's Schlafgemach begab, sang das bekannte Stimmchen wieder vor dem Fenster:
»Bräutigamchen, liebes Bürschlein!
Auf der Brust sind Büschel Hede;
Hede giebt dem Kind nicht Nahrung,
Noch dem Manne seine Freude.«
Der Bräutigam stand unschlüssig, das Herz war ihm frostiger als ein Februarmorgen, als aber die junge Frau eingeschlummert war, eilte er sich zu überzeugen, ob der Gesang Wahrheit oder Lüge verkündet habe, und siehe! in der That fand sich Hede am Busen statt der Brüste. Jetzt wurde dem Männlein der Betrug klar, doch sagte er Niemandem ein Wörtchen davon, sondern machte heimlich einen Anschlag, den Frevel zu ahnden. Als er andern Tages mit der jungen Frau nach Hause fuhr, fand er am Flusse ein Loch im Eise, hielt das Pferd an und that als ob er es tränken wolle, packte dann plötzlich die junge Frau bei den Haaren, schleppte sie bis an den Rand des Loches und stieß sie dort Kopf unten Füße oben unter's Eis. »Besser[S 65] unbeweibt leben als eine Hedekunkel umarmen,« dachte der Mann und fuhr seiner Wege.
Als er am Abend nach Hause kam, fand er zu seiner Ueberraschung sein Schätzchen schon vor der Kammer; die alte Nachbarin hatte es heimlich dahin geschafft. Der Mann war mit dem Tausche sehr zufrieden, that aber keinem Menschen kund, was ihm auf der Hochzeit begegnet war, sondern lebte ruhig und glücklich mit seiner jungen Frau weiter.
Ueber ein Jahr später, als die junge Haubenträgerin schon gesegneten Leibes gewesen war, und gerade ihr erstes Kind schaukelte, wollte die Stiefmutter ihr einen Besuch machen; sie hatte nichts von der Vertauschung der Frauen erfahren, sondern meinte, ihre eigene Tochter sei die Gattin des Mannes. Daß die Stieftochter sich nach der Hochzeit nicht mehr hatte blicken lassen, fand die Mutter ganz natürlich. »Das Mädchen hat ein Haar im Hochzeithalten gefunden« — dachte sie — »und weiß schon im Voraus, wie der Feuerbrand auf ihrem Rücken tanzen würde, wenn sie wieder käme.«
Als sie auf der Fahrt zum Schwiegersohn an das Flußufer kam, wo im verflossenen Winter der Mann die ihm angetraute Frau ertränkt hatte, fand sie eine hübsche Teichrose[32] auf dem Wasser blühen. Die Mutter wollte das Blümlein herausziehen und ihrer Tochter mitbringen, daß sie sich daran ergötze. Als sie aber die Hand danach ausstreckte, hörte sie ein Tönen — ob es aus der Luft oder dem Wasser kam, konnte sie nicht recht unterscheiden, aber Gesang ließ sich also vernehmen:
»Laß das Blümlein ungepflücket,
Nimmer brich das blüh'nde Röslein:
Es entsproß aus deiner Tochter,
Es erwuchs aus deinem Liebling,
Aus dem trauten Herzenspüppchen.«
Die Mutter erschrak über das, was sie vernommen; sie wußte nichts besseres zu thun, als einen Weisen aufzusuchen, dessen Zauberkraft das Töchterchen aus der Blumenhaft befreien könne. Mit Hülfe dieses Weisen erhielt denn auch die Teichrose ihre Menschengestalt zurück und so kam die Mutter wieder zu ihrer verlorenen Tochter, und fuhr mit ihr nach Hause zurück. Hier begann sie mit sich zu Rathe zu gehen, wie der Schwiegersohn, der ihr theures Kind im Flusse ertränkt hatte, am besten zu bestrafen wäre. Nachdem sie lange[S 66] fruchtlos hin und her gesonnen hatte, ging sie wieder zum Weisen und bat ihm um Hülfe. Der Weise versprach, die Tochter in eine Katze zu verwandeln und so in den Hof des Schwiegersohnes zu schicken, dort sollte die Katze bei Nacht in aller Stille dem Kinde der Stiefschwester die Kehle dermaßen zerkratzen, daß das Kind nicht wieder aufwachen würde. Aber die alte Kinderbeschwichtigerin, welche eine nicht minder verschlagene Zauberin war, lief voraus in des Schwiegersohnes Hof, wo sie noch vor der Katze ankam; sie unterrichtete die Frau und sagte: »Wenn die fremde Katze am Abend in die Stube kommt, so gieb ihr Milch zu lecken, streichle sie und locke sie auf deinen Schooß. Alsdann versenge ihr mit heißer Asche Krallen und Pfoten und wirf sie zur Thür hinaus.« Die junge Frau erfüllte genau die Vorschrift des Dorfmütterchens und hörte dann noch eine gute Weile, wie die Katze draußen schmerzlich wimmerte.
Am folgenden Tage wurde in der Nachbarschaft ruchbar, daß die Tochter, welche in Katzengestalt gegangen war, plötzlich schwer krank geworden sei, so daß sie nicht aufstehen konnte. Hände und Füße waren in Lappen gewickelt, aber welcherlei Schaden sie genommen hatte, das erfuhr Niemand, da Mutter und Tochter über den bösen Vorfall schwiegen. Die Mutter aber sann Tag und Nacht auf nichts weiter, als wie sie dem Schwiegersohne und der Stieftochter Schlimmes zufügen könnte. Sie dachte: wenn der Weise mich in ein Thier verwandelt, so wird die Sache besser gehen: ich werde ihnen die verbrannten Hände und Füße meiner Tochter mit Zinsen heimzahlen. Der Zauberer verwandelte sie in einen Hund, schlug heimlich des Schwiegersohnes Hund todt, balgte ihn ab und zog die Haut über die zum Hunde umgewandelte Mutter, so daß des Schwiegersohnes Hausgesinde das Thier für den eigenen Hund halten sollte. Aber die Kinderbeschwichtigerin war wieder schneller; sie lief auf des Schwiegersohnes Hof und sagte: »Euer Hofhund droht toll zu werden, er läuft umher und sucht Menschen und Thiere zu beißen. Drum haltet ihn fest, wenn er den Abend nach Hause kommt, legt ihm einen Strick um und schlagt ihn die Zähne aus dem Maule, schneidet ihm auch die Ohren ab, dann wird Niemand ihn zu fürchten haben.« Der Mann that nach der Zauberin Geheiß, zerschmetterte dem Hunde die Zähne mit einem Steine, schnitt ihm die Ohren glatt vom Kopfe und trieb ihn dann hinaus. Man hörte draußen noch lange das Schmerzgeheul des Hundes.
Den andern Morgen aber lag die in Hundsgestalt umgegangene Schwiegermutter schwer krank im Bette, der Mund geschwollen und blutig,[S 67] die Ohren in Tücher gewickelt. Weder Mutter noch Tochter hatten jetzt noch Lust zum dritten Male ihr Heil zu versuchen, obwohl sie im Stillen hin und her dachten, wie sie einmal dem Tochter- und Schwestermann Alles heimzahlen könnten. Sie versprachen dann dem Weisen eine sehr große Belohnung und zahlten ihm den dritten Theil als Handgeld voraus, damit er ohne ihr Zuthun selber die Züchtigung vollstrecken möge. Wohl versuchte jetzt der Weise allerlei List und Ränke, aber die zauberkundige Kinderbeschwichtigerin machte alle seine Künste zu nichte, so daß der Alte endlich froh war, nur mit heilen Gliedmaßen davon zu kommen.