Als wir dann zusammen zu Abend aßen, nahm ich ein Stück Fisch und stopfte es ihm in den Mund. Aber wie das Schicksal es wollte, geriet es ihm in den Schlund und er erstickte daran. Dann nahmen meine Frau und ich den Toten und trugen ihn zum Haus des Arztes. Als er dann zu uns kommen wollte, liefen meine Frau und ich davon. Also, nicht der Arzt ist zu hängen, sondern ich.“
„Nun gut“, sagte der Statthalter. „Dann hängen wir eben den!“ Der Henker seufzte tief, nahm die Schlinge vom Hals des Arztes und legte sie dem Schneider um den Hals. „Jetzt reicht es mir aber!“, schimpfte er dabei. „Immer wenn ich gerade jemanden hängen will, wird er ausgewechselt. Das ist jetzt schon der Vierte. Ich kann mir schon vorstellen, wie das ausgeht: Es wird am Ende niemand gehängt.“
Der Bucklige aber war Hofnarr am Hofe des Königs gewesen. Der König war sehr unruhig, weil er ihn nun schon lange nicht mehr gesehen hatte. Und da er wusste, dass er sich sehr betrunken hatte und am nächsten und am übernächsten Tag nicht erschienen war, fragte er den Kammerherren nach ihm.
„Oh König der Zeiten“, erwiderte der Kammerherr. „Wir haben den Buckligen gefunden. Er ist leider tot. Und wir sind gerade dabei, den Mörder zu hängen. Immer aber, wenn wir einen am Strick haben, meldet sich ein anderer, der seinen Mord begangen haben will. Jetzt haben wir einen Arzt an der Schlinge.
Er gibt auch eine genaue Beschreibung, auf welche Art er zu Tode kam, so dass man ihm Glauben schenken muss. Jetzt frage ich mich nur, wie viele Täter sich noch melden. Es ist noch gar nicht abzusehen, ob nicht wieder und wieder einer kommt, der am Tod des Zwergen Schuld ist.“
Da rief der König: „Oh, du Esel merkst du denn gar nicht, was hier passiert? Laufe schnell zum Statthalter und lass das Gericht unterbrechen. Bringe mir alle Leute, die sich darum gedrängt haben, gehängt zu werden – aber lass sie lebendig!“
Da beeilte sich der Kammerherr, zum Henker zu laufen. Er kam gerade in dem Moment, als der Henker den Strick hinauf ziehen wollte. „Halt! Aufhören!“, rief er. Und er teilte dem Statthalter den Befehl des Königs mit, niemanden zu hängen, sondern sie dem König lebendig vorzuführen.
„Auch gut, dann wird eben niemand gehängt“, rief der Statthalter. Und er ließ den Schneider, den Arzt, den Koch und den Kaufmann mitsamt der Leiche zu König bringen. „Es sind vier“, meldete er dem König. „Mehr haben sich bisher nicht gemeldet.
Der König ließ sich die ganze Geschichte in Ruhe erzählen. „Wer von den Vieren soll denn nun gehängt werden?“ erkundigte sich der Kammerherr. „Schweig!“, befahl der König. „Störe mich nicht. Ich muss nachdenken.“
Und als er lange genug nachgedacht hatte, gab er den Befehl, niemanden zu hängen. Er wollte im Gegenteil diese wunderliche Geschichte in Goldbuchstaben aufgeschrieben wissen. „Noch nie habe ich eine Geschichte gehört, die merkwürdiger als diese ist“, fügte er hinzu.
Als nun der Kaufmann wieder nüchtern war, trat er zum König, verneigte sich und sprach: „Oh König aller Zeiten, ich will euch einen Barbier nennen, von dem erzählt wird, er könne Tote wieder lebendig machen. Jedenfalls schafft er es in dem Falle, wenn jemand unter seltsamen Umständen gestorben ist, so wie unser Hofnarr.“
„Lasst mir diesen Wundermann bringen“, befahl der König. Kurze Zeit später traf der Kaufmann mit dem Barbier zusammen bei König ein. Der König betrachtete ihn interessiert. Es war ein alter Mann, bestimmt neunzig Jahre mit gebräunter Haut, weißen Haaren und Augenbraun und einer riesengroßen Nase. Selbstsicher lachte er den König an.
„Mein lieber Barbier, was für eine ungewöhnlich große Nase du hast“, sprach der König und lachte. „Nun, man hat mir ungewöhnliche Dinge über dich berichtet, ungewöhnlichere noch als deine Nase. Wie steht es damit?“
„Oh König“, rief der Barbier nun. „Gestattet mir zunächst die Frage, was es mit den vier Personen, dem Schneider, dem Arzt, dem Koch und dem Kaufmann auf sich hat. Und warum liegt dieser buckelige Zwerg hier auf dem Boden. Ich bin ganz gewiss nicht neugierig, aber die Geschichte interessiert mich schon.“
„Erzähle sie ihm“, befahl der König dem Kammerherrn. „Aber fasse dich kurz.“ Und so berichtete der Kammerherr die ganze Geschichte, die sich zugetragen hatte. Staunend hörte der Barbier zu. Dann beugte er sich zu dem Buckligen hinunter. „Ich werde ihn einmal genauer untersuchen“, sagte er. Aufmerksam schaute er in das Gesicht des Buckligen. Dann begann er, laut zu lachen. Er lachte so laut, dass er auf sein Hinterteil fiel.
„Wahrhaftig“, sagte er dann. „Dieser Tod ist es wert, aufgeschrieben zu werden, mit flüssigem Golde, wie es unser König gesagt hat. Dabei konnte unser König noch überhaupt nicht wissen, was noch so alles geschehen kann.“
Alle Umstehenden schüttelten verwundert den Kopf. „Rede!“, befahl der König. Doch der Barbier redete nicht, sondern sagte nur „Psst“, und begann mit seiner Arbeit.
Er zog eine Dose Creme aus seinem Gürtel und rieb die Schlagadern und den Nacken des Buckligen damit ein. Dann nahm er eine Zange zur Hand, öffnete den Mund des Buckligen, steckte die Zange dort hinein und zog mit einer geschickten Bewegung ein Stückchen Fisch wieder hinaus.
Dann sprach er: „So tot, wie ihr angenommen habt, ist der Tote gar nicht. Ich sage euch nämlich…“ Was er sagen wollte, erfuhren die Umstehenden nicht mehr. Denn der Bucklige schnaufte plötzlich wie ein Nilpferd. Dann öffnete er die Augen, strich mit den Händen durch sein Gesicht und sprang auf seine Füße.
„Allah ist groß“, sagte er. „Beinahe wäre ich an dem Bissen erstickt.“ Und dann blickte er sich erstaunt um, und auch die Anwesenden waren erstaunt. Auch der König blickte verblüfft von einem zum anderen und brach schließlich in ein lautes Lachen aus. Er lachte so laut, dass Tränen über sein Gesicht liefen. Da lachten auch die anderen. Und sie alle bewunderten die Arbeit des Barbiers und freuten sich mit ihm.
Der König erklärte auf`s Neue, dass man die ganze Geschichte mit goldenen Buchstaben aufschreiben und sie im Stadtarchiv sorgfältig aufbewahren sollte. Dann beschenkte er alle Verurteilten, den Schneider, den Arzt, den Koch und den Kaufmann mit wunderschönen Kleidern, den Barbier aber ernannte er zu seinem Leibarzt.
Sein Hofnarr aber wurde sein persönlicher Minister, und er entwickelte sich zu dem besten Minister, den das Land je gesehen hatte. So lebten alle heiter und zufrieden Jahr für Jahr, bis sie von Allah in alle Ewigkeit heimgerufen wurden.
So erzählte Scheherazade und der König lachte und war über die Geschichte höchst zufrieden. Trotzdem war Scheherazade besorgt, der König könne diese Art von Geschichten auf Dauer langweilig finden, und sie überlegte, wie sie eine neue Abwechslung finden konnte. Ihr Blick folgte dem des Königs, und sie sah, wie er zum goldenen Vogelhaus hinüber schaute, das in seinem Gemache stand. Schöne und seltene Vögel waren in diesem Käfig, mit bunten Federn wie ein Feuerwerk.
Da kam ihr eine Idee, und sie lenkte das Gespräch auf die Vögel. Der König sagte, der Mensch sei der Herrscher der Tiere, damit sie ihm dienten und ihn belustigten.
Da wiegte Scheherazade den Kopf hin und her. „Oh König der Zeiten“, sagte sie. „Ich erinnere mich an eine Tiergeschichte, da erzählten sich die Tiere, wie sie den Menschen sehen. Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn ich ihr davon hört.“ Der König nickte. „Erzähle!“, sprach er.
Und Scheherazade erzählte.