Es war einmal ein kleines Mädchen, das so liebreizend und herzlich war, dass es jedermann gleich lieb hatte, der ihm begegnete. Seine Großmutter wollte dem Mädchen immerzu etwas Gutes tun. So schenkte sie der Kleinen eines Tages ein Käppchen aus leuchtend rotem Samt. Seit diesem Tage wurde das Mädchen von allen Leuten „Rotkäppchen“ genannt. Eines Tages kam die Mutter zum Rotkäppchen und bat es, der Großmutter einen selbst gebackenen Kuchen und eine Flasche Wein zu bringen. Sie sprach zu dem Kind: „Bring Deiner Großmutter den Korb mit diesen leckeren Köstlichkeiten. Die Großmutter ist krank und schwach, damit kommt sie wieder auf die Beine!“
Rotkäppchen freute sich sehr, dass sie der Großmutter die guten Gaben bringen durfte. Die Mutter gab dem Mädchen einen Korb, in dem sie die Köstlichkeiten gut eingepackt hatte. „Geh jetzt, bevor es zu heiß draußen wird. Wenn Du durch den Wald läufst, bleib immer auf dem rechten Weg, damit Du nicht stolperst und dabei die Flasche zerbrichst. Vergiss auch nicht Deine gute Erziehung und wünsch der Großmutter zuerst einen guten Morgen, bevor Du überall im Zimmer herumguckst“, mahnte die Mutter. „Ich werde schon alles richtigmachen, mache Dir keine Sorgen“, antwortete das Rotkäppchen und verließ fröhlich das Haus.
Als Rotkäppchen schon eine ganze Weile gegangen war, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen hatte keine Furcht vor ihm, denn es wusste ja nicht, dass er ein böses Tier war. Der Wolf grüßte das Rotkäppchen und sagte sehr freundlich: „Na, mein Kind, Du bist ja schon so früh auf den Beinen. Wohin führt Dich denn Dein langer Weg durch den Wald?“ Rotkäppchen antwortete dem Wolf: „Meine Mutter hat mich zu meiner Großmutter geschickt, damit ich ihr Kuchen und Wein bringe. Du musst wissen, dass meine Großmutter schon sehr altersschwach ist. Sie wird sich an den leckeren Sachen laben und sich sicherlich erfreuen.“
„Der Wolf bleckte freudestrahlend die Zähne und sagte scheinheilig: „Da bin ich mir sicher, mein liebes Kind, dass sich Deine Großmutter über die feinen Geschenke freuen wird.“ „Hast Du es denn noch weit und wo wohnt denn Deine Großmama?“, fragte der Wolf das Mädchen weiter aus. Rotkäppchen blieb immer noch ahnungslos und sagte: „Lange muss ich nicht mehr laufen. In einer viertel Stunde werde ich in ihrem Haus sein. Es ist das Häuschen, das unter den drei großen Eichenbäumen steht, dort unten, wo die Nusshecken wachsen. Aber, wenn Du Dich hier ein wenig auskennst, wirst Du das Haus sicher kennen!“
Der Wolf dachte sich: „Die Kleine hier ist für mich ein wahrer Leckerbissen. Ich muss mir nur etwas einfallen lassen, damit ich mir beide einverleiben kann!“ Der Wolf begleitete das Rotkäppchen noch ein Stück. Dann zeigte er auf die vielen schönen bunten Blumen am Wegesrand und sprach. „Schau doch die schönen Wiesenblumen. Es wäre doch eine wunderbare Idee, wenn Du Deiner Großmutter einen schönen Strauß pflücken könntest!“ Ja“, sagte das Mädchen, „da hast Du recht, lieber Wolf, aber meine Mutter möchte nicht, dass ich von meinem Weg abweiche.“ Doch der Wolf meinte, dass doch nichts dabei sei, der Großmutter einen schönen bunten Blumenstrauß zu pflücken. Das überzeugte das Mädchen und sie trug Blume für Blume zu einem schönen Gebinde zusammen und vergaß dabei ein wenig die Zeit.
Der Wolf verabschiedete sich freundlich und beeilte sich, dass er noch vor dem Rotkäppchen im Haus der Großmutter eintraf. Er klopfte an die Haustür, und als die Großmutter fragte, wer denn draußen sei, antwortete er mit verstellter Stimme: „Ich bin es, Rotkäppchen. Die Mutter schickt mich, um Dir selbst gebackenen Kuchen und eine gute Flasche Rotwein zu bringen.“ „Mach einfach die Tür auf. Es ist nicht abgeschlossen. Ich bin heute viel zu schwach, um aus dem Bett aufzustehen. Komm nur herein, mein Kind“, rief die Großmutter von ihrem Bett aus.