Nun wollte der Kaiser selbst die Ware begutachten, solange diese noch auf dem Webstuhl sei. Mit einer großen Schar seiner vertrauten Diener, darunter auch sein erster Minister und der tatkräftige Staatsmann, ging der Kaiser zu den Webern. Als sie bei den Betrügern ankamen, webten diese fleißig ohne Faden und Garn. „Eure Majestät, schaut nur, wie exquisit die Stoffe gearbeitet sind“, sagte der erste Minister und beschrieb alle Einzelheiten, die er sich von seinem ersten Besuch bei den Webern gemerkt hatte. Der tatkräftige Staatsmann schwelgte in Lobreden für die schönen Farben und großartigen Muster, wie er sie besser noch nie gesehen hätte. Außerdem betonte er eindringlich, dass dieser Stoff eines Kaisers würdig sei.
Der Kaiser jedoch stand wie angewurzelt vor den Webstühlen und sah gar nichts. Er fragte sich: „Tauge ich etwa nicht zum Kaiser und bin ich meines Amtes nicht würdig?“ Doch das wollte er vor den anderen nicht zugeben, deshalb sagte er: „Oh, es ist alles so hübsch geworden. Für diese gute Ware bekommt ihr mein allerhöchstes Lob und noch ein paar Golddukaten dazu. Dann wiederholte auch der ganze Hofstaat die Worte des Kaisers und alle Leute hielten Lobreden auf die einzigartigen Stoffe. Der Kaiser verlieh den Betrügern das Ritterkreuz und die Auszeichnung „Hofweber des Kaisers“, die sie öffentlich am Knopfloch tragen sollten. Die Vertrauten des Kaisers rieten ihrem Monarchen, doch beim nächsten großen Fest die prächtigen Kleider aus dem neuen Material zu tragen.
In den darauffolgenden Tagen und Nächten arbeiteten die Betrüger pausenlos, um die neuen Kleider für den Kaiser pünktlich zum Fest fertigzustellen. Alle Leute konnten sehen, dass die Hofweber stark beschäftigt waren und bis zum äußersten ihrer Kräfte gingen, denn die Lichter der Werkstatt brannten Tag und Nacht. Die angeblichen Weber taten so, als nähmen sie die Stoffe vom Webstuhl. Sie schnitten mit den Schneiderscheren in die Luft hinein und nähten fleißig mit Nadeln ohne Faden. Vor dem Fest konnten sie dem Kaiser die neuen Kleider zur Verfügung stellen. Die Hofdiener kamen, hielten die Arme in die Höhe, als ob die Kleider darüber lägen, und liefen so zum Schloss, wo der König in der Garderobe auf sie wartete.
Der erste Minister und der tatkräftige Staatsmann sagten zum Kaiser: „Schaut, die schönen Hosen, die herrliche Jacke und der erlesene Mantel. Alles so leicht wie eine Spinnwebe. Nun tragt Ihr, Eure Hoheit, die schönsten Kleider der Welt am eigenen Leibe. Ihr habt dabei das großartige Gefühl, nichts auf dem Körper zu haben. Beide brachen in Begeisterung aus, obwohl sie überhaupt nichts sahen. Die beiden Weber, die auch mit ins Schloss gekommen waren, wollten es sich nicht nehmen lassen, den Kaiser selbst anzukleiden. Sie baten den eitlen Monarchen, seine Kleider abzulegen, um ihm die neuen anziehen zu können. Die Betrüger taten so, als zögen sie ihm die neue Hose, die Jacke und den Mangel an. Der Kaiser drehte und wendete sich vor dem Spiegel und bewunderte sich von allen Seiten, obwohl er immer noch in Unterhosen dastand und sagte: „Das ist wirklich ein kostbarer und federleichter Anzug mit herrlichen Mustern und leuchtenden Farben!“
Alle Menschen riefen auf der Straße: „Seht unsere Majestät, der Kaiser, wie unvergleichlich er aussieht, in seinen neuen Kleidern!“ Niemand wollte sich anmerken lassen, dass er dumm oder gar unfähig war. Plötzlich trat ein Kind aus der jubelnden Menge heraus und rief: „Aber der Kaiser hat doch gar nichts an!“ Dann schrie das ganze Volk: „Schaut, der Kaiser steht in Unterhosen vor uns!“ Da wusste der Kaiser endlich, dass er betrogen worden war. Doch musste er diesen Spaziergang aushalten, und die Kammerherren hielten dabei immer noch die nicht vorhandene Schleppe hoch in die Luft.
Fragen zum Märchen: Des Kaisers neue Kleider
1. Was war die Lieblingsbeschäftigung des Kaisers?
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2. Welchen besonderen Stoff wollten die Betrüger für den Kaiser weben?
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3. Wer prüfte zuerst die Arbeit der betrügerischen Weber?
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4. Was sahen die treuen Diener des Kaisers?
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5. Was tat der Kaiser, als man ihm die neuen Kleider anzog?
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6. Was rief der kleine Junge, als der Kaiser vorbei flanierte?
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