Wenn im Dezember ein klarer Tag kommt, an dem die Welt winterhimmelblau leuchtet, dann sehen die Nachbarn in der Kranichstraße öfter aus dem Fenster als sonst. Sie wissen, dass an einem solchen Tag Johannes seine Weihnachtsmannmütze aufsetzt, seine Frau ruft und mit seinem Rollstuhl losfährt, um den Weihnachtsbaum zu holen.
Eine Krankheit hat Johannes die Schritte gestohlen, obwohl er noch jung ist. Aber zu seinem Weihnachtsbaum kommt er trotzdem. Dieser Baum soll mindestens so groß sein wie Johannes, wenn er aufrecht stünde. Und Johannes ist kein kleiner Mann. Innen ist er sogar noch größer. Vielleicht wird der Baum deswegen jedes Jahr ein Stückchen höher.
Der Elektromotor vom Rollstuhl brummt, als hätte sich eine Hummel aus dem Sommer verirrt, und unter den Reifen knirscht der Schnee. An den Bordsteinkanten muss Johannes vorsichtig sein und rückwärts fahren, sonst kippt der Stuhl um. Manchmal muss er auch Umwege fahren. Aber egal wie lang es dauert, Johannes kommt an. Der Baumverkäufer freut sich schon, wenn er ihn von weitem sieht.
Johannes fährt auf den Platz voller Bäume und dreht sich ein paarmal schweigend im Kreis. "Der da", sagt er dann und zeigt auf einen, der ganz weit hinter den anderen am Zaun lehnt.
Der Verkäufer zieht den Baum heraus. "Stimmt", sagt er anerkennend, "das ist der Schönste. Aber ist der nicht zu groß?"
"Der ist zwei Meter vierzig", sagt Johannes, "der passt genau!"
"Der ist mindestens zwei achtzig", sagt der Verkäufer und zieht den Zollstock aus der Tasche. Dann schüttelt er den Kopf, denn der Baum ist auf den Zentimeter genau zwei Meter vierzig hoch.
Johannes strahlt.
"Wie kommt der Baum jetzt nach Hause?", fragt der Verkäufer, obwohl er die Antwort kennt. Er hört sie so gerne.
"Das macht mein Mann", sagt Johannes' Frau stolz.
Der Verkäufer stellt den Baum zwischen Johannes' Füße auf die Stützen, und Johannes rollt los. "Frohe Weihnachten", wünscht er.