Warum? Während wir weiter durch den Schnee stapften, dachte ich über Pauls Frage nach. Warum. Mein Sohn produzierte täglich viereinhalbtausend Fragen mit diesem kleinen Wörtchen und meistens konnte ich sie auch beantworten. Na ja, außer neulich die Sache mit dem Strom aus der Steckdose.
Das halb vom Schnee verdeckte Rot einer Fußgängerampel zwang uns zum Stehenbleiben. Ich wischte eine Schneeflocke von meinem Nasenrücken und sah aus dem Augenwinkel, dass Paul zu mir hochblickte. Seine Augenbrauen gehoben.
"Eine gute Frage", hatte ich ihm zuvor bescheinigt - mit langgezogenem 'u'. Das war immer meine Antwort, wenn ich keine Antwort hatte.
Warum also hatte mein Sohn kurz hintereinander zwei Nikoläuse gesehen? Beide einen Kopf kleiner als ich, wobei man aus der Körperfülle des einen gut und gern zwei hätte kneten können. Womit ich wieder beim Thema war.
"Papa?"
"Ja?" Diesmal dehnte ich kräftig das 'a'. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken.
"Wir fragen einfach daheim die Mama."
Diese ultimative Drohung heizte meinem Gehirn ordentlich ein und brachte mich schließlich auf eine Idee. "Hab ich dir eigentlich schon vom Krampus erzählt?"
"Ja klar, dem mit der Rute, oder?"
"Genau. Der die bösen Kinder bestraft."
"Den mag ich aber nicht." Paul sah mich aus verengten Augenschlitzen an, als ob ich etwas dafür könnte.
"Das ist egal, ob du den magst oder nicht. Hast du ihn denn heut schon gesehen?"
Paul schüttelte langsam den Kopf. Die Ampel sprang auf Grün. Wir überquerten die Straße und sahen vor uns bereits den Haidhauser Weihnachtsmarkt.
"Warum arbeitet der Krampus heute nicht, Papa?"
"Du möchtest wissen, wie es dazu kam?"
Pauls Zipfelmütze vollführte einen Tanz, als er nickte. Wir setzten uns auf eine Bank mit Blick auf den Glühweinstand.
"Dann hör gut zu ...
… Vergangene Woche trafen sich Nikolaus und Krampus wie üblich in der Bar am Nordpol. Um sich für den Nikolaustag zu besprechen. Als der Nikolaus die Bar betrat, musste er den Krampus eine Weile suchen. Schließlich fand er ihn in der hintersten Ecke.
'Grüß dich, Kramperl, warum schaust du denn so grimmig?'
'Ich habe nachgedacht.'
'Oha, nachgedacht - aber worüber denn, Kramperl?'
Bei 'Kramperl' zog Krampus jedes Mal kurz die Mundwinkel nach unten.
'Über meine Arbeit.'
'Oho - willst du etwa mehr Geld?'
Der Nikolaus zog seine pelzigen Augenbrauen zusammen.
'Nein, darum geht es nicht, Nikolaus. Ich will ...'
Krampus wandte seinen Blick vom Nikolaus ab und sah zur Theke, an der bereits einige Engel Schräglage hatten.
'Was willst du, Krampus?' Die Augenbrauen des Nikolaus berührten sich nun fast.
'Ich will - dass mich die Kinder mögen.'
Der Nikolaus schnaubte durch die Nase und sagte nichts.
'Dich lieben sie, weil du ihnen Geschenke bringst, und mich - mich hassen sie.' Die zusammengepressten Lippen des Krampus waren nur mehr ein dünner Strich inmitten seines dichten Vollbarts.
'Aber einer muss sie doch bestrafen, Kramperl, sonst ...'
'Sonst was? Die Kinder, die ich im Jahr zuvor bestraft habe, sind im Jahr darauf meist wieder an der Reihe. Das bringt doch nichts!'