Mimie, ein kleines Teddymädchen, lag im Bett und träumte. Leise hörte man sie im Schlaf seufzen. Sie schlief so fest, dass niemand sie hätte wecken können. Dass sie träumte, sah man aber ganz deutlich daran, dass ihre Nasenspitze und ihre Ohren sich im Traum hin und her bewegten. Mimie hatte seit jeher einen sehnlichsten Wunsch. Sie wünschte sich, für einen Tag ein Engel zu sein, gekleidet in ein weißes Kleid, und goldene Flügelchen sollten ihr das Fliegen ermöglichen.
So lag sie in dieser Nacht im Bett, es war zwei Tage vor Weihnachten, und sie war erfüllt von dem Traum, wie es wäre ein Engel zu sein. Doch was Mimie nicht ahnen konnte, dass heute die Nacht der "Besonderen Wunscherfüllung" war. Dieser Tag war so etwas Einmaliges, dass nur die allerwenigsten Geschöpfe auf der Welt je von ihm erfuhren und davon betroffen waren. Doch das Schicksal wollte es, dass die Engel im Himmel, die Mimies sehnlichsten Wunsch schon seit Jahren kannten, diesmal beschlossen hatten, dass Mimie dieses Jahr das auserwählte Wesen sein sollte, dem man den sehnlichsten Wunsch erfüllen wollte.
Und so kam es, dass in dieser Nacht ein Engel auf dem Weg zu dem Bärenmädchen war. Der Engel, namens Flöckchen, schwebte leicht wie eine Feder zur Tür herein, um die Schlafenden nicht auf sich aufmerksam zu machen. Er hatte ein kleines goldenes Säckchen dabei. Er trat leise an Mimies Bett und verharrte eine Zeitlang dort, um Mimies gekräuselter Nasenspitze zuzuschauen, worüber er sanft vor Entzücken lächelte. Als er so eine Weile gestanden hatte, öffnete er sein Säckchen, entnahm diesem Sternenstaub und streute ihn zart über Mimies Gesicht.
"Wie ist mir? Was ist geschehen? Man hat mich aus meinem schönen Traum gerissen", gähnte Mimie müde. Zuerst bemerkte sie den Engel nicht und wollte sich auf die andere Seite drehen, um zu versuchen schnell wieder einzuschlafen und um möglichst wieder in ihren schönen Traum zu fallen, als der Engel anfing leise zu sprechen. "Mimie erschrick nicht, wenn du mich jetzt hörst und siehst."
Mimie erschrak trotzdem zutiefst, denn eine Stimme in der Nacht ist doch etwas sehr Ungewöhnliches. Der Engel begann leise weiterzusprechen: "Mimie, ich bin der Engel Flöckchen und ich bin den ganzen weiten Weg zu dir gekommen, weil wir im Himmel nicht mehr zusehen können, wie dein sehnlichster Wunsch unerfüllt bleibt. In dieser besonderen Nacht bist du die Auserwählte, der wir ihren innigsten Wunsch erfüllen werden. Ich habe dir ein weißes Engelskleid mit goldenen Sternen und Spitzenbesatz mitgebracht. Komm steh auf, ich helfe dir gleich beim Ankleiden."
Mimie wusste gar nicht wie ihr geschah. Doch inzwischen war sie blitzschnell wach geworden, schaute Flöckchen bewundernd und staunend an und hörte mit offenem Mäulchen zu. Bevor sie das Engelsgewand in Empfang nahm, fragte sie den Engel: "Was wird heute mit mir geschehen, wo wirst du mich hinbringen, womit habe ich das verdient?"
"Auf deine zwei ersten Fragen wirst du erst später eine Antwort erhalten. Lass dich einfach überraschen. Zu der dritten Frage kann ich dir so viel sagen, dass nur Geschöpfe eine Wunscherfüllung verdienen, wenn sie sehr lieb sind, nie etwas Böses getan haben und ihr Wunsch uns so rührt, dass wir beschließen, ihn zu erfüllen, so wie wir es heute bei dir tun. So, jetzt lass uns aber keine Zeit verlieren. Schlüpf geschwind in dein Kleid!"
Mimie, die schon kerzengerade im Bett gesessen hatte, stieg aus dem Bett, schlüpfte aus ihrem Nachtgewand und ihrer geliebten Bettmütze und stieg in das bezaubernde Kleid, das sich um sie legte, als wäre es für sie maßgeschneidert worden. Die Sterne darauf reflektierten das weiße Licht, das von dem Engel ausging. Flöckchen holte jetzt noch zwei kleine goldene Flügelchen hervor. "Das ist das Wichtigste; damit wirst du abheben und mit etwas Übung fliegen können." Mimie hopste vor Aufregung schon durch das ganze Schlafzimmer und konnte kaum still stehen, als Flöckchen ihr die Flügel auf dem Rücken befestigte.
"Ich denke, dass wir alles Wichtige geplant haben. Jetzt kann es losgehen", sagte der Engel. Er nahm Mimie bei der Hand und sie öffneten das Fenster, stellten sich auf das Fensterbrett und Flöckchen machte Mimie vor, wie sie die Flügel zu bewegen und die Arme zu halten hätte, damit das Fliegen auch klappen würde. Schließlich zog Flöckchen noch schnell das Sternenstaubbeutelchen aus ihrem Kleid hervor, nahm eine Handvoll heraus, ließ es über Mimie wehen und erklärte, dass Mimie nur mit Hilfe dieses Sternenstaubs fliegen könne.
Mimie fühlte sich auf einmal ganz leicht. Alle Zweifel und jedes mulmige Gefühl waren wie weggeblasen. Aufrecht und aufgeregt stand sie neben Flöckchen auf dem Fensterbrett, nahm die Schwingung der Luft wahr und bemerkte, wie Flöckchen sie bei der Pfote nahm. Dann schauten sie empor zum Sternenhimmel, sahen die Sternlein leuchten und hoben Hand in Hand ab, wobei Mimie einen kleinen erstaunten Quietsch von sich gab, worüber Flöckchen lachte. "Gefällt es dir Mimie? Hast du dir so das Fliegen als Engel vorgestellt?"
Mimie war noch zu perplex um zu antworten. Sie brachte nur ein "oh wie herrlich" heraus.
Zuallererst flogen sie über die Häuser hinweg. "Ich muss jetzt meine Arbeit verrichten", sagte Flöckchen. "Ich werde dich mitnehmen, und du kannst mir helfen. Da du jetzt ein wirklicher Engel bist, lernst du so auch die Aufgaben der Engel kennen."
Es schien, als wüsste Flöckchen ganz genau, wo sie hin wollte. Sie flogen über einen Kirchturm und einen Wald. Sie schwebten still dahin. Plötzlich verloren sie an Höhe und landeten nahe bei einem kleinen Häuschen. "Hier wohnt ein ganz liebes Kind. Ich besuche es jede Nacht. Du musst wissen, dass ich in die Fenster lieber Menschen schaue und mich vergewissere, dass alles in Ordnung ist. Ich garantiere ihnen einen ruhigen, erholsamen und behüteten Schlaf."
"Wie schön du das gesagt hast", sagte Mimie. "Ich bin froh, dass es noch Engel in der heutigen Welt gibt, die auf einen aufpassen."
Mimie und Flöckchen flogen weiter und blickten bei vielen Menschen kurz herein. Das Bärenmädchen hinterließ an jeder Fensterscheibe einen kleinen, feuchten Abdruck mit der Nase, weil es sich immer voll Neugier mit dem Gesicht an die Scheibe drückte.
"Mimie, jetzt müssen wir aber weiter. Ich habe auch noch andere Aufgaben und die Nacht ist lang. Komm, wir machen uns auf zu unserem nächsten Ziel!"
Flöckchen zog Mimie sanft von der Fensterbank weg, auf der sie gerade saßen und nahm sie bei der Hand. Sie machten sich wieder auf den Weg. Kaum waren sie über den Baumwipfeln, als Mimie anfing zu schwanken und an Höhe zu verlieren. Flöckchen wusste sofort, was diese Zeichen bedeuteten: der Sternenstaub hörte langsam auf zu wirken. Sie steuerten einen dicken, kahlen Ast an, auf dem sie sich niederließen. Etwas Farbe war aus Mimies Gesicht gewichen, doch als sie saßen, kam die gesunde Färbung in Mimies Gesicht schnell wieder. Flöckchen zog den Beutel heraus und ließ erneut eine Portion des Staubes auf Mimie herabrieseln. Sie flogen weiter und erreichten eine baumumsäumte Lichtung, auf der eine riesige Tanne stand, die ihre Zweige sanft im Wind bewegte.
"Meine Aufgabe heute Nacht ist, diese Tanne mit Lichtern zu schmücken, damit die Waldtiere ein schönes Weihnachtsfest feiern können. Du kannst mir gerne dabei helfen. Jedes Jahr ist es die Aufgabe eines Engels, die Tanne weihnachtlich zu dekorieren; wir Engel gelangen mühelos sogar bis zur Spitze, um die Lichter zu befestigen", erklärte Flöckchen.
Kaum hatte sie ausgesprochen, hörten sie Hufgetrappel auf dem weichen federnden Waldboden. Ein Eselchen kam herangetrabt und brachte die Lichterkette für die Tanne. Mimie und Flöckchen nahmen sie ihm ab und dankten ihm sehr. Sie begannen mit der Arbeit und flogen mit der Lichterkette immer höher um den Baum, bis sie oben an die Spitze kamen und jedes Lichtchen an der richtigen Stelle platziert war. Zum Schluss ließ Flöckchen auf den Baum erneut Sternenstaub hinabrieseln, der sich an die Nadeln heftete und anfing wie Diamanten zu glitzern. Mimie blieb das Mäulchen vor Entzücken offen stehen. "Ich habe noch nie einen so schönen Baum gesehen. Es ist wie ein Zauber, den du verbreitest. Ich bin heute Nacht so glücklich wie noch nie zuvor. So schön war Engelsein nicht einmal in meinen herrlichsten Träumen."
"Es freut mich sehr, dass es dir so gut gefällt, und wir dich mit der Erfüllung deines Wunsches so glücklich machen können, kleine Mimie. Jetzt sollst du noch etwas Besonderes erleben. Du bist ja nicht nur Engel, damit du mir beim Arbeiten hilfst. Ich nehme dich jetzt mit in das Himmelreich, wo du Dinge erleben wirst, die noch keiner von der Erde erleben durfte. Das hast du dir verdient!"
Sie flogen noch einmal um die geschmückte Tanne herum, bis sie sich in die Luft schwangen, an Höhe gewannen und bald die Erde weit unter sich ließen. Mimie war schon sicher beim Fliegen geworden und kreiste übermütig herum. Flöckchen ließ sich auf ein Wettfliegen ein, das sie Mimie gewinnen ließ. Nach einem erlebnisreichen Flug bremsten sie ihre Geschwindigkeit ab, denn die Himmelspforte war nicht mehr weit. "Hier beginnt das Reich der Engel. Sie erwarten uns schon und sind neugierig darauf dich kennenzulernen", berichtete Flöckchen.
Mimie wurde jetzt doch etwas mulmig zumute. Ganz alleine im Himmel mit all den Engeln, dachte sie. Was werden sie sagen, wenn sie einen dicken Bären in einem Engelskleid vor sich sehen?
Flöckchen schien zu merken, dass Mimie zögerte durch die Himmelspforte zu gehen. Sie nahm sie fest bei der Pfote, redete aufmunternd zu ihr und zusammen betraten sie das Engelreich. Kaum waren sie eingetreten, erschien schon eine Vielzahl von Engeln, Wolkenkindern und Sternenkindern, um sich vor Mimie zu verneigen und sie herzlichst willkommen zu heißen. Mimie wurde vor Verlegenheit ganz rot und stotterte: "Schönen guten Abend". Doch die himmlischen Wesen machten es ihr leicht sich wohlzufühlen und die Scheu zu verlieren. Sie tanzten in einem Kreis um Mimie herum bis es ihnen ganz schwindelig wurde, und sie lachend auf dem Boden lagen. Flöckchen blieb die ganze Zeit neben Mimie stehen und ermahnte die anderen, wenn sie zu wild und ausgelassen wurden. "Nachdem ihr kaum noch stehen könnt, schlage ich vor, dass wir uns mit unserem Gast auf eine Wolke setzen, ein köstliches Mahl einnehmen und uns etwas ausruhen. Mimie muss von dem Flug und dem Erlebten schon ganz erschöpft sein."
Daraufhin führten sie Mimie zu einer wunderbaren, weichen, flockigen Wolke. Mimie ließ sich einfach hineinplumpsen, und ein Seufzer entfuhr ihr. "Noch nie habe ich so bequem gesessen wie jetzt. Ihr seid alle sehr liebenswürdig zu mir. Heute Nacht erlebe ich das Schönste und Wunderbarste, was mir je widerfahren ist." Kaum hatte Mimie ausgesprochen, kamen Engel mit meterhohen Eistorten, Eiskonfekt und anderen Köstlichkeiten. Alle stopften sich die Mäulchen voll, bis sie sich stöhnend die Bäuchlein rieben und zufrieden auf dem Rücken lagen, um Mimie viel von sich und ihrer Welt zu erzählen. Aber genauso viel wie sie von sich preisgaben, wollten sie von Mimie wissen. Alle redeten durcheinander und Flöckchen versuchte immer wieder Ordnung in das Geplapper zu bringen.
Allmählich ließ das Völlegefühl nach, und die ganze Gruppe sammelte sich, um auf den Wolken zu hopsen, Fangen zu spielen und andere wunderliche Dinge auszuprobieren. Mimie geriet ganz außer Atem, weil sie nicht gewohnt war, sich auf den einsinkenden Wolken so flink zu bewegen wie die Himmelsbewohner. Doch sie hatte einen mächtigen Spaß.
"Komm Mimie", sagte ein kleines Wolkenkind. "Jetzt zeige ich dir wie man Wolkenschlitten fährt." Sie führte Mimie zu einem Wolkenhang, wo kleine Schlitten standen, auf die sie sich setzten um mit hohem Tempo den Wolkenberg hinunterzurasen. Als Mimie die Hälfte des Berges bewältigt hatte, konnte sie sich nicht mehr festhalten, rutschte vom Schlitten und purzelte in vielen Purzelbäumen hinunter. Doch sie hatte sich überhaupt nicht wehgetan, weil die Wolke so flauschig weich war. Als sie unten ankam, lachte sie und strahlte vor Wonne über das ganze Bärengesicht. Alle machten es Mimie nach und, anstatt den Schlitten zu benutzen, ließen sie sich den Hang hinunterrollen.
"Ich habe noch eine letzte Überraschung für Mimie", sagte Flöckchen." Wir zeigen ihr jetzt den berühmten Regenbogen, auf dem man so phantastisch herunterrutschen kann."
"Oh, ja bitte, ich wollte immer schon mal den bunten Regenbogen aus der Nähe sehen", sagte Mimie.
Sie setzten sich gemeinsam in eine goldene Wolkenkutsche, die angeflogen kam, und ließen sich zum Regenbogen fahren. Sie stiegen schnell aus, kletterten den Regenbogen auf der einen Seite hinauf und rutschten auf der anderen Seite hinunter. Es brachte allen so ein Vergnügen, dass sie gar nicht mehr aufhören wollten. Doch als der Regenbogen vom vielen Rutschen begann, Farbe zu verlieren und sich wieder erholen musste, hörten sie auf und fuhren mit der Kutsche zurück zur Himmelspforte.
Flöckchen mahnte zum Abschiednehmen, da langsam die Sonne begann aufzugehen, und sie Mimie noch heil auf die Erde zurückbringen musste. Mimie umarmte jedes einzelne Himmelsgeschöpf und nahm schweren Herzens Abschied. Als Andenken und besonderes Abschiedsgeschenk überreichte man ihr ein kleines goldenes Säckchen. "In dem Säckchen befindet sich Sternenstaub. Wenn du verzweifelt bist oder Sehnsucht hast, dann zieh dein Kleidchen mit den Flügeln an, streue den Staub über dich und komm hinauf zu uns ins Himmelreich."
"Ich weiß gar nicht, wie ich euch für alles danken soll", sagte Mimie leicht verlegen." Ihr habt mir meinen sehnlichsten Wunsch erfüllt. Ich werde euch das nie vergessen."
Flöckchen nahm sie an die Hand und gemeinsam verließen sie die Pforte. Hinter ihnen standen alle und winkten ihnen so lange nach, bis die Beiden nur noch als kleine Punkte zu erkennen waren. Mimie genoss noch einmal jede Sekunde des Fliegens, schwebte leicht neben Flöckchen dahin und entdeckte weit unter sich die von ihnen geschmückte Tanne auf der Waldlichtung. Langsam begannen sie mit dem Sinkflug, denn Mimies Heim war nicht mehr weit. Sie landeten zielsicher auf dem Fensterbrett, von dem sie in dieser besonderen Nacht losgeflogen waren und Mimies Abenteuer begonnen hatte.
Sie stiegen hinein in den dunklen Raum. Flöckchen half ihr noch beim Auskleiden, legte das Kleidchen mit den Flügeln und, ganz wichtig, das Säckchen daneben auf einen Stuhl. Als Flöckchen das Bärenmädchen sanft umarmte, kullerten Mimie die Tränen über das Gesicht. "Sei nicht traurig, Mimie, du kannst jederzeit wiederkommen, und wer weiß, was nächstes Jahr um diese Zeit geschehen wird. Das bleibt aber mein Geheimnis. Bleib so lieb wie du bist und denk an diese Nacht. Auch wir im Himmel werden diese Nacht nie vergessen."
So nahmen sie Abschied voneinander. Mimie kuschelte sich ins Bett, Flöckchen ließ noch Sternenstaub über sie rieseln, damit sie schnell wieder einschlief und verließ leise durch das Fenster das Zimmer.
Am nächsten Morgen erwachte Mimie und ihr erster Blick fiel auf den Stuhl neben ihrem Bett, wo sie das Engelskleid mit den Flügelchen und das Säckchen mit Sternenstaub entdeckte. Die Gedanken an die letzte Nacht kamen ihr wieder und zufrieden, mit einem Lächeln stieg sie aus dem Bett. Es war nur noch ein Tag bis Weihnachten.