Bei meinem ersten Morgenspaziergange, welchen ich, mit einer Flinte bewaffnet, unternahm, um irgend etwas Eßbares zu schießen, machte ich die erfreuliche Entdeckung, daß die Insel mit zahlreichen Ziegen bevölkert war; doch zeigten sie sich so scheu und schnellfüßig, daß ich mich ihnen nicht auf Schußweite nähern konnte. Ich hatte beobachtet, daß sie stets erschreckt davonliefen, wenn sie vom Berge herab mich im Thale bemerkten; weideten sie jedoch im Thale und ich selbst stand auf dem Felsen, so nahmen sie keine Notiz von mir. Dies brachte mich auf die Vermutung, daß jene Tiere wohl leicht von oben herab, aber schwer von unten nach oben sehen könnten. Um zu erfahren, ob meine Vermutung richtig sei, stieg ich auf einen Berg, während unten die Herde graste. Mit dem ersten Schuß, den ich abfeuerte, erlegte ich eine Ziege, die ein Junges bei sich hatte. Als ich mich dem getöteten Tiere näherte, um es aufzuheben, blieb jenes ganz harmlos stehen, ja es folgte mir freiwillig in mein Zelt. Ich hoffte, das Junge aufziehen zu können; doch da es keinerlei Futter annehmen wollte, so sah ich mich genötigt, es zu schlachten und zu verzehren. Durch diese beiden Tiere war ich auf etliche Tage hinlänglich mit gutem Fleisch versehen und sparte dadurch an meinem Vorrat, welchen ich vom Schiffe gerettet hatte.
Robinson erlegt die erste Ziege.
Einige Zeit nach meiner Landung dachte ich daran, eine Zeitrechnung aufzustellen, um in der Tag- und Monatsfolge nicht ganz irre zu werden und ebenso den Sonntag nicht mit den Werktagen zu verwechseln. Da ich weder Papier, noch Tinte, noch Federn besaß, verfiel ich auf die Abfassung einer Art Kalender.
Ich rammte einen viereckigen Pfahl in die Erde und befestigte an dessen oberen Teil in Gestalt eines Kreuzes eine länglich viereckige Tafel; nach den Berechnungen, die ich anstellte, war ich am 30. September 1659 an dieser Insel angelangt, die etwa 9° 22' nördlich vom Äquator gelegen sein mußte: deshalb schnitt ich auf die Tafel mit großen Buchstaben ein:
»Hier landete Robinson Crusoe am 30. September 1659.«
An jedem neuen Tage machte ich an der Kante des Pfahles einen Messereinschnitt, deren siebenter, länger als die übrigen, den Sonntag bezeichnete. Der erste Tag eines Monats wurde durch einen stärkeren größeren Schnitt angemerkt. So ging es eine längere Zeit fort, während welcher ich emsig an der Vergrößerung meiner Höhle arbeitete, auch einen Tisch und einen Stuhl fertigte. Dabei kamen mir noch allerhand Dinge zu statten, die ich nicht einzeln, sondern in Kästen und Säcken verpackt vom Wrack abgeholt hatte. So fand ich mehrere Kompasse, mathematische Instrumente, Ferngläser, Seekarten, deren Nützlichkeit mir in meiner damaligen Lage nur wenig einleuchtete. Was mich aber in eine freudige Aufregung versetzte, war der Fund eines vollständigen Schreibzeuges. Nun fühlte ich mich in meiner Einöde nicht mehr so verlassen wie vorher, konnte ich doch dem Papiere alle meine Gedanken und Eindrücke anvertrauen. Also begann ich ein Tagebuch anzulegen und schrieb meine Lebensgeschichte seit dem 30. September nieder. Leider hatte ich in meinem Tagebuche gar bald ein Ereignis zu verzeichnen, das leicht unglücklich für mich hätte ablaufen können. Ich schrieb darüber die nachstehenden Zeilen nieder:
Am 10. Dezember. – Ich hatte an der Vergrößerung meiner Höhle gearbeitet, die Erdarbeiten waren glücklich von statten gegangen, meine Arbeit schien beinahe vollendet; da stürzte plötzlich unter furchtbarem Gekrach eine gewaltige Erdmasse von der Decke und von einer Seite nieder. Jedenfalls hatte ich meine Minierarbeit zu weit ausgedehnt und dadurch den Einsturz selbst veranlaßt. Ein Glück war's, daß ich mich in demselben Augenblicke nicht in der Höhle befand, sonst wäre ich unzweifelhaft mein eigner Totengräber geworden.
Die Wiederherstellungsarbeiten – die Reinigung des Ganges, die Unterstützung der Decke – nahmen eine geraume Zeit in Anspruch.
Am 27. Dezember. – Die Tage des Weihnachtsfestes verliefen sehr traurig; es regnete unaufhörlich, und so blieb ich in das Innere meiner Hütte gebannt. Da tauchten die trauten Bilder der Heimat und der fröhlichen Jugendzeit mit schmerzlicher Sehnsucht in mir auf, und ich überließ mich willenlos gaukelnden Träumen, die mich hinübertrugen weit übers Meer an Englands Küste und in das Vaterhaus, in welchem die Eltern gewiß weinend des verschollenen Sohnes gedachten. Meine Wehmut löste sich in ein inbrünstiges Gebet auf zu dem, der alles herrlich hinausführt; allmählich zog Trost ein in mein banges Herz.
Am zweiten Tage nach Weihnachten klärte sich das Wetter, und eine erfrischende Brise kräuselte die Wogen des Meeres. Ich streifte in mein Revier hinaus und schoß eine junge Ziege; eine andre verwundete ich nur, fing sie deshalb und führte sie in meine Hütte. Dort verband ich ihr den verwundeten Fuß, legte ihr Schienen an und pflegte sie auf das sorgsamste. Unter meiner ärztlichen Behandlung gedieh das Tier ganz vortrefflich und wurde mit der Zeit so zahm, daß es bei meiner Wohnung behaglich graste, ohne davonzulaufen.