Robinsons Aufenthalt in Brasilien als Pflanzer. – Eine neue Reise. – Schiffbruch.
Mein edelgesinnter Kapitän hatte drei Monate auf Ladung gewartet und stand eben im Begriff, die Rückreise anzutreten, als ich das Gespräch auf das Kapital brachte, welches ich noch in London stehen hatte. Er erteilte mir den wohlmeinenden Rat: »Senhor Inglese, gebt mir Vollmacht und legt mir einen Brief bei an diejenige Person in London, bei welcher Euer Geld steht. Laßt Eure Effekten nach Lissabon gehen, die ich als Euer Bevollmächtigter Euch auf meiner nächsten Reise mitbringen werde. Da aber die menschlichen Dinge tausend Zufälligkeiten ausgesetzt sind, so möchte ich Euch raten, mir nur eine Anweisung auf 100 Pfund Sterling, als die Hälfte Eures Vermögens, auszustellen; denn geht diese verloren, so bleibt Euch doch noch die andre Hälfte.«
Ich nahm diesen Rat an und ließ die Vollmacht für den Portugiesen ausfertigen. Der Witwe des englischen Kapitäns schilderte ich meine Abenteuer, meine Sklaverei, mein Entrinnen sowie das Zusammentreffen mit dem portugiesischen Kapitän und dessen menschenfreundlichen Beistand. Als der Mann nach Lissabon kam, fand er Mittel, der Frau meines verstorbenen Freundes meinen Brief zu übersenden, worauf sie ihm nicht nur das bare Geld, sondern auch ein Geschenk für seine liebevolle Teilnahme einschickte. Der Kaufmann in London legte diese 100 Pfund in englischen Waren an, wie ihm der Kapitän aufgetragen hatte, und sandte sie nach Lissabon ein. Diese Waren nebst allerhand nützlichen Werkzeugen überschickte mir der Kapitän; ja sogar einen Diener hatte er für die fünf Pfund Sterling, die er von der Witwe zum Geschenk erhalten, für mich angeworben mit der Verpflichtung, mir sechs Jahre zu dienen. Auch der Erlös aus den englischen Manufakturwaren übertraf meine Erwartungen, so daß ich mit meinen Vermögensverhältnissen vollkommen zufrieden sein konnte. Nun dachte ich daran, noch einen europäischen Diener zu mieten und einen Neger zu kaufen. Die Ernte im nächsten Jahre fiel glänzend aus.
Wäre ich in den Verhältnissen geblieben, in welchen ich mich jetzt befand, so hätte ich bis an mein Lebensende ein ruhiges und beschauliches Glück genießen können. Allein in meinem Kopfe tummelten sich tausend hochfahrende Unternehmungen. Dergleichen Pläne sind ja oft das Verderben selbst erfahrener Männer, und ich sollte das auch empfinden.
Als Pflanzer in Brasilien hatte ich zum Nachbar einen Portugiesen aus Lissabon von englischer Herkunft, Namens Wells, dessen Umstände den meinigen ähnlich waren. Zwei Jahre lang hatten wir alle Hände voll zu thun, um nur unsern Lebensunterhalt zu verdienen, aber schon im dritten Jahre ernteten wir Tabak, und im vierten Jahre gedachten wir Zuckerrohr zu bauen. Ich hatte 50 große Rollen Tabak, von denen jede 100 Pfund wog, auf meinem eignen Grund und Boden erbaut und sie für die Rückkehr der Flotte von Lissabon wohl aufbewahrt. Indes fühlten wir recht drückend den Mangel an mithelfenden Armen, und ich wünschte mehr als je meinen flinken Xury zurück, der mir recht gute Dienste hätte leisten können.
Da wir die sämtlichen Arbeiten nicht selbst ausführen konnten, blieben wir mit vielem im Rückstande. Es währte nicht lange, da fühlte ich mich in meiner Lebensweise unbehaglich. Natürlich! Ich hatte mich einer Beschäftigung hingegeben, die meiner Wanderlust gerade entgegenlief. Jetzt sah ich ein, daß mein Vater recht hatte, als er mir den Mittelstand als den glücklichsten angepriesen. »Und dies alles«, sagte ich häufig zu mir selbst, »hättest du leichter in deinem Vaterlande haben können; manche Leiden hättest du dir erspart, wenn du daheim geblieben wärst! Jetzt mußt du nun hier leben, wo kein Freund an deinem Schicksal teilnimmt.«
Während der vier Jahre meines Aufenthalts in Brasilien hatte ich die Landessprache erlernt und ebenso die Bekanntschaft mehrerer Kaufleute in San Salvador gemacht, mit denen ich mich manchmal über meine Jugendschicksale und besonders über die Reisen an der Guineaküste unterhielt. Dabei ließ ich nicht unerwähnt, mit welcher Leichtigkeit man dort durch Austausch von Kleinigkeiten, wie Glasperlen, Spiegeln, Messern, Spielzeug und dergleichen, gegen Goldstaub ein gutes Geschäft machen könne. Besonders aufmerksame Zuhörer hatte ich an jenen Kaufleuten, wenn ich von dem Negerhandel sprach, der damals noch ausschließlich von Spanien und Portugal aus getrieben wurde.
Eines Tages kamen drei jener Kaufleute zu mir, um mir einen Vorschlag zu machen; sie teilten mir mit, sie hätten alle drei gleich mir Pflanzungen, denen es zum besseren Betriebe nur an geeigneten Arbeitskräften fehle. Deshalb wollten sie ein Schiff nach Guinea ausrüsten, nicht etwa um Sklavenhandel zu treiben, sondern um Schwarze aus Afrika zu holen und sie gleichmäßig unter sich zu verteilen. Es sei nur noch die Frage, ob ich als Aufseher des Schiffes mitgehen und den Handel an der Guineaküste leiten wolle. Für die Einwilligung würden sie mich durch einen gleichen Anteil an den Negern entschädigen sowie durch den Vorteil, keine Kosten zu dem Unternehmen beisteuern zu müssen.
Obgleich dieser Vorschlag unrecht war, wie aller Negerhandel, war ich doch so thöricht, darauf einzugehen. Ich stellte nur die Bedingung, daß meine Pflanzung bis zu meiner Rückkehr gut überwacht würde und, falls mir ein Unglück widerführe, demjenigen übergeben werden sollte, den ich als Nachfolger bezeichnete. Zu meinem Universalerben setzte ich den portugiesischen Kapitän ein, unter der Bedingung, daß er die Hälfte meines Vermögens nach England gelangen lassen solle.
Die Ausrüstung des Schiffes ging rasch vor sich; am 1. September 1659, demselben Tage, an welchem ich vor acht Jahren das elterliche Haus verlassen hatte, um mich in Hull einzuschiffen, stachen wir in See. Unser Schiff hatte gegen 120 Tonnen, führte sechs Kanonen und 14 Mann, den Kapitän samt seinem Schiffsjungen und mich eingerechnet. Die Ladung des Schiffes bestand nur aus solchem Tand, der sich am besten zum Handel mit Negern eignet.
Wir steuerten anfangs längs der Küste von Brasilien nordwärts, weil wir beabsichtigten, den 12. Grad nördlicher Breite zu erreichen und dann, wie damals üblich, nach Afrika hinüberzusegeln. Solange wir an der Küste hinfuhren, wurden wir von dem prächtigsten Wetter begünstigt; bei dem Kap St. Augustin verloren wir das Land aus dem Gesicht und steuerten, als wollten wir die Insel Fernando de Naronha erreichen, Nordost bei Nord. Die eben genannte Insel ließen wir aber östlich liegen und passierten nach einer Fahrt von zwölf Tagen die Linie. Bisher hatten wir uns des schönsten Wetters zu erfreuen gehabt, jetzt aber brach ein heftiger Wirbelwind los.
Zwölf Tage hindurch blieben wir ein Spiel der Winde. Dann ließ der Sturm endlich etwas nach; der Steuermann fand, daß wir uns in der Richtung nach der Küste von Guinea oberhalb des Amazonenstromes und nicht weit vom Orinoko befanden. Wir überlegten, was unter diesen Umständen zu thun sei, zumal das Schiff ein Leck bekommen hatte; endlich entschlossen wir uns, nach Barbados zu segeln, indem wir uns weit genug auf offener See hielten, um die Einfahrt in den Mexikanischen Meerbusen zu vermeiden. In vierzehn Tagen konnten wir bei den Karibischen Inseln sein und steuerten deshalb nordwestlich.
Es sollte jedoch anders kommen, als wir dachten. Unter dem 14. Breitengrade erhob sich von neuem ein gewaltiger Sturm und trieb uns weit fort, als plötzlich inmitten aller Schrecknisse der Ruf: »Land! Land!« ertönte. Schon wollten wir sehen, welchem Teile der Welt wir entgegengingen, als ein erneuter heftiger Windstoß unser Fahrzeug auf eine Sandbank trieb.